Im Jänner dieses Jahres stieg ich einmal aus dem Lift und sah die Drei Könige samt Begleitpersonen vor meiner Wohnungstür stehen. Ich bin zwar kein Christ und dem Einsatz von Kindern zum Gelderbetteln abhold, aber ich drängte mich nicht zur Türe durch und verschwand kommentarlos, sondern hörte mir aus Höflichkeit die kurze Darbietung an und spendete auch. In den fünf Minuten, die der katholische Mummenschanz dauerte, fiel mir auf, dass einer der drei Könige ein Farbiger war, aber nicht den Melchior gab. Dieser hinwiederum war nicht black-faced geschminkt. Also ein weißer Melchior neben einem „echt“ schwarzen Balthasar. Mein während des Gesangs vor seine Tür getretener greiser Nachbar kriegt das offenbar nicht mit, denn er sagte zu dem Farbigen: „Gell, dich haben sie nicht lange schminken müssen.“ Der Junge wirkte daraufhin betreten, antwortete aber nichts, und die zwei begleitenden Erwachsenen schwiegen auch, vielleicht, weil der joviale Nachbar gut sichtbar einen Fünfziger in der Hand hatte. Ich dachte mir jedoch, die Jungschar oder wer immer das organisiert, sei aber schon sehr amerikanisch politisch korrekt.
Da wusste ich noch nicht, dass es an deutschen Theatern schon längere Zeit keine schwarzen Othellos mehr gibt. Dieses Phänomen hat auch die für ihren strikten Antirassismus bekannte österreichische Hauptstadt erreicht, in der Wiener Staatsoper darf in der Neuinszenierung von Verdis „Otello“ von Adrian Nobel der Othello der Mohr seine Schuldigkeit nicht schwarz geschminkt tun. „Die Presse“ kommentiert das so: „Aleksandrs Antonenkos Otello muss, wiewohl in Boitos Libretto durchwegs als ,il moro’ apostrophiert, als bleicher Geselle seinen Mann stehen.“
Eine andere seltsame Meldung kommt aus den USA selbst. Die US-Schauspielerin Bella Thorne (21) hatte ihrem Freund Oben-Ohne-Fotos geschickt, die anscheinend von einem Hacker gestohlen und zur Erpressung verwendet wurden, bis Thorne die Fotos selbst ins Netz stellte, bevor er das tun konnte. Das ist aber noch nicht das Seltsame, obwohl man es seltsam finden kann, dass jemand im zumindest ehemaligen Mutterland der freien Meinungsäußerung 2019 mit Oben-Ohne-Fotos erpresst werden kann. Thorne kam in die Whoopi-Goldberg-Show und musste sich dort von der schwarzen Oscar-Preisträgerin und bekanntesten US-Talkmasterin anhören: „Wenn du berühmt bist, egal wie alt du bist: Du machst keine Nacktfotos von dir.“ Da schleimte Thorne auf, obwohl „berühmt“ für sie doch wohl ein Kompliment war, brach in Tränen aus und schrieb später auf Instagram: „Die Mädchen zu beschuldigen, dass sie überhaupt Nacktfotos machen? Ist pervers und, ehrlich gesagt, eklig. (...) Dein Blick auf die Sache ist schrecklich. Ich hoffe, du änderst deine Denkart, zumal du in deiner Show junge Mädchen ansprichst.“ Diese Sätze wurden in den meisten Meldungen publiziert, der Mittelteil seltener: „Was kann ein Mädel ihrem Freund schicken, wenn sie keine sexy Fotos von sich hat? Nur, was er schon gesehen hat? Soll ich als Frau so eingeschüchtert sein in meiner Wohnung, am Telefon, bei irgendwas? Ist es das, wie du unsere Frauen willst? Wegen ihrer Sexualität Angst vor den Massen? Willst du das? Ich nicht. Ich bin beleidigt worden für jede da draußen, die jemals ein sexy Foto gemacht hat. Für Jennifer Lawrence, die sich öffentlich vergewaltigt fühlt. Für jede Person, die Selbstmord begangen hat, weil jemand ihre Nacktfotos gegen ihren Willen veröffentlicht hat.“ Zur Untermauerung ihrer Position sendete sie noch mehrere Schluchz-Videos. Also noch einmal: die Frau ist 21 Jahre alt und würde verzweifelt in ihrer abgesperrten Wohnung herumirren, wenn sie ihrem bleichen Gesellen keine Bilder zum Wichsen schicken könnte? Sie ist die selbsternannte Patronin der Kinder, die sich wegen Nacktfotos umgebracht haben? Sie nennt die Frau, die ihr klar zu machen versucht, dass sie als Filmsternchen nicht zugleich öffentlich und privat sein kann, krank im Sinne von pervers (sick)? Und was schreibt ein österreichischer Poster zum „Standard“-Artikel über die Angelegenheit: „Wieso wird die alte Schrulle überhaupt gefragt? Die war ja schon außer Mode, da hat Bella Thorne’s Mutter noch ihre eigenen Nacktfotos verschickt.“ Die alte Schrulle ist 63. Wenn Bella Thornes Mutter ihre Aktfotos vor Bellas Geburt verschickt hätte, würde sie wohl noch die U.S.Mail damit beauftragt haben.
In der Schweiz hat ein Parlamentarier Probleme damit bekommen, dass er seine Penisfotos aus dem Bundeshaus verschickt hat – das sei der Würde des Parlaments unangemessen, obwohl er nicht während einer Sitzung, sondern abends in seinem Büro fotografiert hatte. In Österreich hat ein Museumsmann bei einem Jobwechsel sein Diensthandy zurückgelassen, ebenfalls mit einer nicht gelöschten Serie von Erektionsbildern. Das ist in Mitteleuropa aber zumindest bislang nur eine süffisante Bemerkung im Klatschteil der Zeitungen wert. Und eigentlich nicht einmal das.