Bissiger Kritiker der US-Gesellschaft: Mike Nichols

1. Dezember 2014 Walter Gasperi
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Mit der Verfilmung von Edward Albees "Wer hat Angst vor Virginia Woolf?" und "Die Reifeprüfung" gelangen Mike Nichols, der am 19. November 2014 im Alter von 83 Jahren verstarb, zwei Welterfolge. Doch nicht nur in diesen Filmen nahm der gebürtige Berliner die US-Gesellschaft mit Biss unter die Lupe.

Während andere US-Regisseure seiner Generation wie Sidney Lumet, Robert Altman oder Robert Mulligan übers Fernsehen zum Film kamen, führte der Weg von Mike Nichols über das Theater. Und dem Theater blieb er auch später verpflichtet, inszenierte noch 2012 am Broadway Arthur Millers "Tod eines Handlungsreisen", während er sich vom Kino schon 2007 mit der Satire "Charlie Wilson´s War" verabschiedet hatte.

Geboren wurde Nichols als Sohn eines russischen Arztes, der vor Stalin nach Deutschland geflohen war, und Brigitte Landauer am 6. November 1931 in Berlin als Michael Igor Peschkowsky. Aufgrund ihrer jüdischen Abstammung floh die Familie 1938 in die USA und nahm den Namen Nichols an. Nach Abschluss der Highschool nahm Mike zunächst diverse Gelegenheitsjobs an, ging dann nach Chicago, um Psychologie zu studieren.

Bald entdeckte er aber seine Liebe zum Theater, ließ sich ab 1953 in New York bei Lee Strasberg zum Schauspieler ausbilden und schloss sich zwei Jahre später in Chicago der Theatergruppe Compass Players an. In Elaine May fand er eine kongeniale Partnerin, mit der er Sketche ausarbeitete, und hatte mit ihrer Show "An Evening with Mike Nichols und Elaine May" auch am Broadway Erfolg.

Nach ihrer Trennung 1961 begann er am Broadway zu inszenieren und triumphierte unter anderem mit Neil Simons "Barefoot in the Park" (1963) und "The Odd Couple" (1965). Alle Türen standen ihm nun offen, die Verfilmung von "Barefoot in the Park" mit Robert Redford und Jane Fonda wollte er aber nicht machen.

Statt diese Komödie wählte er Edward Albees "Who´s Afraid of Virginia Woolf?" (1965) für seinen Einstieg in die Filmbranche und landete damit auch einen sensationellen Erfolg. In 13 Kategorien wurde das Debüt für einen Oscar nominiert und gewann fünf Trophäen.

Der Erfolg dieses Dramas, in dem sich ein Ehepaar unter zunehmendem Alkoholeinfluss konsequent und erbarmungslos zerfleischt, lag einerseits sicherlich an der Schonungslosigkeit der Darstellung und der Sprache, andererseits aber auch wesentlich am Coup, der Nichols mit der Besetzung der Hauptrollen mit Elizabeth Taylor und Richard Burton gelang. Denn die beiden Stars waren damals als Paar im realen Leben in den Medien und lieferten sich zumindest später auch im Alltag einen heftigen Ehekrieg.

Wie Nichols hier zwei erfahrene Schauspieler zu Höchstleistungen führte, so verhalf er mit seinem folgenden Film "The Graduate" (1967) einerseits dem jungen Dustin Hoffman zum Durchbruch, andererseits Anne Bancroft zu ihrer berühmtesten Rolle.

Ursprünglich sollte Robert Redford die Rolle des unsicheren und unerfahrenen Ben spielen, doch der Hollywood-Schönling sah Nichols für diese Rolle einfach zu gut aus, sodass er Hoffman vorzog. Auch dieser Film wurde mehrfach für den Oscar nominiert und brachte Nichols die Statue für die beste Regie ein.

Auch weiterhin bewies er sein Gespür für die richtige Besetzung, förderte die Karrieren von Meryl Streep und Cher mit ihren Rollen in dem Atomskandal-Thriller "Silkwood" (1983), verschaffte John Travolta eine Traumrolle in der Bill-Clinton-Satire "Primary Colors" ("Mit aller Macht", 1998) und Julia Roberts einen hinreißenden Auftritt als texanische Milliardärin in "Charlie Wilson´s War" (2007).

Siebzehn Mal wurden Schauspieler in seinen Filmen mit einem Oscar ausgezeichnet, ihm selbst gelang aber auch das seltene Kunststück neben einem Oscar auch einen Emmy, einen Tony und einen Grammy zu gewinnen.

Doch nicht alle Filme von Nichols waren Erfolge. Auf die gallige Militärsatire "Catch 22" (1970) folgten mehrere Flops, die ihn bewegten für mehrere Jahre dem Film den Rücken zuzukehren und sich dem Theater zu widmen. Erst 1983 gelang ihm mit "Silkwood" ein Comeback, worauf eine produktive Phase folgte, in der er in "Working Girls" ("Die Waffen der Frauen", 1988) vom Aufstieg einer rücksichtslosen Angestellten erzählte, aber auch in "Wolf" ("Das Tier im Manne", 1994) mit Jack Nicholson in der Hauptrolle den Werwolf-Mythos nutzte, um das Managertum der 1990er Jahre zu kritisieren.

Seinen bissigen Blick auf die US-Gesellschaft hat sich der New Yorker stets bewahrt. In "Primary Colors" ("Mit aller Macht", 1998) deckte er anhand des Vorwahlkampfs eines demokratischen Präsidentschaftskandidaten den Wertewandel der Gesellschaft auf und in seinem letzten Film "Charlie Wilson´s War" (2007) erzählte er die auf Tatsachen beruhende Geschichte eines antikommunistischen texanischen Kongressabgeordneten, der nach dem Einmarsch der Sowjetunion in Afghanistan in den 1980er Jahren den Mujaheddin Waffen und Munition verkaufte.

Mögen diese Filme auch nicht zu seinen stärksten zählen, so hat sich Nichols doch zumindest mit "The Graduate" und "Who´s Afraid of Virginia Woolf?" einen fixen Platz in der Filmgeschichte gesichert. Mit seinem Tod hinterlässt er eine Lücke, denn nicht zahlreich gesät sind seine Nachfolger, die mit einem ähnlich bissigen Blick auf die US-Gesellschaft blicken.

Trailer zu "Who´s Afraid of Virginia Woolf?"