Wie erratische Blöcke ragen die sieben Filme Andrej Tarkowskijs nicht nur aus der sowjetischen, sondern auch aus der globalen Filmlandschaft heraus. Unverwechselbar und einzigartig sind Meisterwerke wie "Andrej Rubljow", "Stalker" oder "Nostalghia" durch die grandiosen Bildkompositionen mit wiederkehrenden Leitmotiven, den langsamen Erzählrhythmus und die grüblerische Auseinandersetzung mit existentiellen Fragen. – Das Zürcher Kino Xenix widmet dem Meisterregisseur im Januar eine Retrospektive.
Wer die Filme des 1932 geborenen und 1986 in Paris an Lungenkrebs verstorbenen Andrej Tarkowskij einmal gesehen hat, wird zumindest einzelne Bilder nie mehr vergessen: Unauslöschlich prägen sich diese ins Gedächtnis ein - die Traumbilder einer glücklichen Kindheit, die die Kriegsszenen in "Iwanowo detstwo" ("Iwans Kindheit", 1962) durchbrechen, ebenso wie die Fahrt auf einer Draisine aus einer verfallenen monochrom braunen Industrielandschaft in die verbotene grüne Zone, die gleitende Kamerafahrt über fließendes Wasser zu Worten aus der Apokalypse des Johannes, die Schlussansprache der Frau des Führers in "Stalker" (1979), das Schlussbild in "Nostalghia" (1983), in dem der nach Italien emigrierte russische Schriftsteller mit Hund in russischer Landschaft vor einer Holzhütte sitzt und dieses Bild wiederum in eine gewaltige Kirchenruine eingebettet ist, oder die eindringliche Evokation einer globalen Atom (?)-Katastrophe allein durch das Klirren von Glas und Verschütten von Milch in "Offret" ("Das Opfer", 1985/86).
Mit seinen radikal subjektiven poetischen Filmen, mit seiner Zivilisationskritik und seinem grüblerischen Forschen nach Moral, Aufgabe des Künstlers und Verantwortung des Menschen brachte er schon mit seinem zweiten Spielfilm die sowjetischen Behörden gegen sich auf. Zwar spielt das dreistündige Epos über den russischen Ikonenmaler "Andrej Rubljow" (1966) im Mittelalter, doch sowohl die düstere Darstellung dieser Zeit als Periode von Bürgerkriegen, Tartarengemetzel, Hungersnöten und brutalen Strafaktionen der Herrschenden als auch die mit zahlreichen Symbolen arbeitende Bildsprache missfiel den Machthabern. Mehrere Jahre wurde dieser epochale Film auf Eis gelegt, erst 1971 für die sowjetischen Kinos und nochmals zwei Jahre später für das westliche Ausland freigegeben.
Konnte Tarkowskij die darauf folgende Stanislaw Lem-Verfilmung "Solaris" (1972) ohne große Behinderungen realisieren, so wurde der autobiographisch geprägte "Serkalo" ("Der Spiegel", 1975), in dem mit einer elaborierten Montage Vergangenheit und Gegenwart, Spielszenen und dokumentarisches Material sowie Privates und Öffentliches verschränkt werden, wegen "Subjektivismus" von offizieller Seite abgelehnt. Sind Tarkowskijs Werke schon im Allgemeinen aufgrund ihrer poetischen Bildsprache und der vielfältigen kunstgeschichtlichen Anspielungen schwer zu entschlüsseln, so multipliziert sich in "Serkalo" durch die verschachtelte Konstruktion der enigmatische Charakter noch.
Aber auch ein – äußerlich betrachtet - geradliniger Film wie "Stalker" erhielt erst nach langwierigen Auseinandersetzungen mit der Zensurbehörde die Freigabe. Systemkritik sah man wohl in der Schilderung eines tristen in Sepiatöne getauchten Alltags, aus dem ein Führer oder Stalker – eine Christusfigur – die Menschen in eine Zone führt, in der angeblich die geheimsten Wünsche in Erfüllung gehen.
Auf solche konkrete Kritik an aktuellen Verhältnisse kann man allerdings Tarkowskijs Filme nie reduzieren. Bohrend wirft er in extrem langsamem kontemplativem Erzählrhythmus und eindringlichen, vielfach von der christlichen Ikonographie beeinflussten Bildern grundsätzliche philosophische und religiöse Fragen auf. Einlassen muss sich der Zuschauer freilich auf diese in ihrem formalen und gedanklichen Reichtum schwierigen Filme, sonst wird er sich bald gelangweilt abwenden. Nicht durch Worte, sondern mehr in langen Plansequenzen, mit einer ausgefeilten Licht- und Farbdramaturgie, bei der immer wieder die Tendenz zu Monochromem auffällt, wird hier der Diskurs über moralische Fragen und die Verantwortung des Menschen geführt.
Konsistenz gewinnt Tarkowskijs Gesamtwerk dabei auf der visuellen Ebene auch durch wiederkehrende Bilder wie Wasser, vor allem fließend, Regen und Pfützen, Pferde in idyllischer Landschaft, ein schwarzer Hund als Begleiter, die Betonung der vier Elemente, schwebende Frauen und ausgeschüttete Milch oder grandiose Bild-im-Bild-Kompositionen, auf der akustischen Ebene durch die Musik von Johann Sebastian Bach und auf der Handlungsebene durch die Fokussierung auf zweifelnd suchende Männerfiguren, während Frauen positiv nur als Mütter gezeichnet werden.
Nach "Stalker" erhielt Tarkowskij die Genehmigung im Westen zu drehen. In Italien realisierte er "Nostalghia" (1982/83). Weit tiefer als im alltäglichen Sprachgebrauch greift hier der Begriff, meint keine harmlose verklärende Sehnsucht, sondern eine innere Zerrissenheit, an der man schließlich zugrunde geht. Wenn Tarkowskij hier von einem russischen Schriftsteller erzählt, der in der nicht sonnigen, sondern Nebel verhangenen Toskana an letztlich tödlichem Heimweh erkrankt, dann spricht der Regisseur wohl auch von seinen eigenen Gefühlen.
Wie die Hauptfigur des Films hat wohl auch Tarkowskij die Sehnsucht nach Heimat und Familie zerrissen und letztlich wohl seine tödliche Krankheit (mit)verursacht. In die Sowjetunion kehrte er nie mehr zurück, drehte stattdessen in Schweden, schon an Krebs leidend und in der Vorahnung seines eigenen Todes "Offret" (1985/86), in dem er vor dem Hintergrund einer in der bloßen Andeutung höchst beunruhigenden (atomaren) Katastrophe nochmals die Frage nach der Verantwortung des Menschen aufwirft, die Bedeutung des Glaubens und der Opferbereitschaft herausstreicht und der technologieorientierten rationalistischen Welt eine Absage erteilt.
Tarkowskij selbst sprach in Bezug auf die Bilder seiner Filme nie von Symbolen, forderte nicht den analytischen Zuschauer, sondern den, der sich auf diese Bild- und Gedankenwelten einlässt. In diesem Pochen auf das Versinken im Film, im Verständnis des Films im gewissen Sinne als Gottesdienst und in der Kritik an der Rationalität sind Tarkowskijs auch unübersehbar von der Romantik geprägten Filme bei aller formalen Innovation und Meisterschaft auf der inhaltlichen Ebene durchaus antiaufklärerisch, stellen damit aber auch wieder eine aufregende Gegenposition zur heutigen Welt dar.