26. Juli 2016 - 4:30 / Walter Gasperi / Filmriss
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Mit stupender Liebe zum Detail und zahlreichen magischen Momenten hat Steven Spielberg Roald Dahls 1982 erschienenes Kinderbuch "Sophiechen und der Riese" verfilmt. Das Abgründige der Vorlage wird im Sinne familienkompatibler Unterhaltung und klassischer Spielberg-Motive bei dem visuell berauschenden Film, der durchaus auch als selbstreferenzielles Werk seines Regisseurs zu lesen ist, freilich weitgehend ausgespart.

Zwischen zwei Polen pendelt Steven Spielberg, der 1974 mit "Der weiße Hai" die Ära des Blockbuster-Kinos einläutete. Auf der einen Seite dreht er immer wieder historische Filme wie "Schindlers Liste", "Lincoln" oder "Bridge of Spies", auf der anderen dazwischen immer wieder pure Unterhaltungsfilme wie die "Indiana-Jones"-Serie oder "Jurassic Park". Auch Familienfilme wie "E.T.", "Hook" oder nun "BFG" sind zu letzteren zu zählen.

Nicht nur Filme für die ganze Familie sind dies, sondern die Familie bzw. die Sehnsucht nach einer heilen Familie ist dabei immer wieder ein zentrales Thema. Einsamkeit steht so auch am Beginn von "BFG", wenn die zehnjährige Sophie (Ruby Barnhill) nachts durch ein Londoner Waisenhaus streift, weil sie nicht schlafen kann. Als sie dabei durchs Fenster einen Riesen (Mark Rylance) sieht, nimmt dieser sie mit.

In jeder Einstellung spürt man in dieser Exposition die Liebe, mit der dieser Film gemacht wurde. Mit Detailfreude evoziert Spielberg die Stimmung des nächtlichen London und im Waisenhaus, mischt bei der spektakulären Flucht, bei der sich Spannung und Witz abwechseln, souverän Realfilm und Computeranimation. – Das Staunen, das immer auch zum Kino gehört, kann dieser Film wieder lehren.

Wie Odysseus und seine Gefährten in der Höhle des Zyklopen sitzt die kleine Sophie so bald im Riesenland in der durch einen Felsblock verschlossenen Höhle ihres Entführers. Will sie zuerst flüchten, so freundet sie sich bald mit dem Riesen an, entdeckt sie doch auch seine Einsamkeit. Im Land seiner Artgenossen ist dieser gutmütige Gigant nämlich ein Ausgestoßener nicht nur weil er wesentlich kleiner als die anderen Riesen ist, sondern weil er im Gegensatz zu diesen auch Vegetarier ist.

Bezaubernde Momente entwickelt "BFG" in der Höhle durch das Spiel mit den Größenverhältnissen, begeistert auch hier mit Detailfreude und sorgt für pure Kinomagie, wenn der Riese mit Sophie ins Traumland geht, um Träume einzufangen, die er dann wieder unter den Menschen verteilt.

Doch droht hier freilich auch Gefahr, denn bald finden die anderen Riesen Indizien, dass BFG wieder einmal ein Menschenkind versteckt hat. Während Sophie keine Furcht kennt und ihren neuen Freund auffordert Widerstand zu leisten, lässt dieser praktisch alles mit sich machen, bis das Mädchen einen Plan entwickelt.

So großartige und begeisternde Momente Spielberg auch bei der Umkehrung des Spiels mit den Größenverhältnissen gelingen, wenn Sophie und der Riese die britische Königin besuchen, so unpassend ist für einen Märchenfilm das militaristische Finale.

Etwas schlicht ist auch für knapp 120 Minuten die Geschichte und es mangelt insgesamt auch an Drive, doch wird durch diese Langsamkeit der Blick stärker auf die Figuren und ihre Probleme gelenkt. Großartig vermitteln diese die wunderbar natürlich spielende Ruby Barnhill und ein durch die Maske fast unkenntlicher Mark Rylance, der aber durch seine Augen, das Wackeln seiner riesigen Ohren und seine sanfte Stimme große Melancholie ausstrahlt.

Ganz bei sich ist Spielberg und knüpft direkt an seinen Welterfolg "E.T." an, für den ebenso wie für "BFG" die im Herbst 2015 verstorbene Melissa Mathison das Drehbuch schrieb, wenn er von Einsamkeit und dem Wert der Freundschaft erzählt, wenn er zwei Außenseiter zu Protagonisten macht, die durch Zusammenhalt Gefahren überwinden und schließlich auch ihr Glück finden. Aber es lässt sich auch eine Änderung der Weltsicht feststellen, denn anders als in "E.T." gibt es hier auch das Böse, das besiegt werden muss.

Gleichzeitig lässt sich "BFG" aber auch als selbstreferenzieller Film Spielbergs über seine eigene Position als Regisseur lesen. Denn wie der Traumsammler und Traumverteiler BFG, der wie Spielberg an Dyslexie leidet und ständig Wörter verwechselt, generiert er Kinoträume, mit denen er das Publikum, das hier durch Sophie vertreten wird, in eine andere Welt entführt. Wer aber in der Filmwelt im Gegensatz zum gütigen Riesen Spielberg die bösen Riesen sind, die Sophie und damit das Publikum verschlingen wollen, muss wohl jeder für sich entscheiden.

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Trailer zu "BFG - Big Friendly Giant"

Die Meinung von Gastautoren muss nicht mit der Meinung der Redaktion übereinstimmen. (red)



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