Beuys' Rasierspiegel

Am Sonntag, dem 9. September 2012, öffnet das erweiterte Museum Kurhaus Kleve – Ewald Mataré-Sammlung seine Türen für das Publikum. Erstmals zu erleben ist dann nicht nur ein neuer Museumsteil, das restaurierte sog. "Friedrich-Wilhelm-Bad" mit dem Atelier von Joseph Beuys, sondern auch die Sammlung des Museum Kurhaus Kleve in allen ihren Facetten. Die Eröffnungsausstellung trägt den Titel "Mein Rasierspiegel" und umfasst Meisterwerke vom Mittelalter bis zur Gegenwart.

Joseph Beuys studierte von 1946-1954 an der Düsseldorfer Kunstakademie, ab 1947 in der Klasse von Ewald Mataré, dessen Meisterschüler er 1952 wurde. Mit Mataré, der früh seine einzigartige Begabung erkannte, verband ihn eine enge Beziehung; an vielen seiner Werke für den öffentlichen Raum wirkte er maßgeblich mit, u.a. an den Türen für das Südportal des Kölner Doms (1947-54). Nach der sehr bewusst vollzogenen Trennung von seinem Lehrer durchlebt Beuys ab 1955 eine Zeit der Krise, des "Umbruchs", wie er selbst es nannte. In materieller Not und geplagt von depressiver Erschöpfung, kehrt er 1957 an den Niederrhein zurück. Er hält sich viel bei seiner Familie und bei Freunden in Kleve auf und arbeitet einige Wochen auf dem Hof der Familie van der Grinten in Kranenburg.

1957 mietet Beuys einige Räume im Erdgeschoss des leerstehenden Friedrich-Wilhelm-Bades an, des ältesten Teils des historischen Kurhauses des Stadt Kleve. Hier soll das "Büdericher Ehrenmal" realisiert werden, das ihn schon seit 1955 beschäftigt. Es wird der einzige große öffentliche Auftrag bleiben, den er ausführen kann. Das zweiteilige Werk – ein monumentales Tor und ein frei im Raum hängendes Holzkreuz – erinnert noch an die Formensprache Matarés. Parallel dazu aber experimentiert Beuys bereits frei mit neuen Formen und neuen Materialien, und es entstehen zahlreiche Arbeiten, die später in den "Darmstädter Block" eingehen.

Aus dem Klever Atelier stammen auch wesentliche Teile der "4 Bücher aus: "Projekt Westmensch 1958"" (1958-65), ein erstes Kompendium der Zeichnung als dem eigentlichen Reservoir seines Denkens. 1958-59 betreibt er nach seiner eigenen Aussage nochmals intensive naturwissenschaftliche Studien (er habe "die gesamte mir zur Verfügung stehende Literatur" durchgearbeitet) und legt so das Fundament für einen alternativen Wissenschaftsbegriff. Im Frühjahr 1961 schließlich bewirbt Beuys sich aus dem Klever Atelier heraus um eine Stelle als "Professor für monumentale Bildhauerei" an der Kunstakademie Düsseldorf – mit Photographien seiner Werke, die Fritz Getlinger vor Ort gemacht hatte.

Joseph Beuys fasste 1980 im Gespräch mit Hermann Schreiber diese entscheidenden Jahre in seiner Biographie mit folgenden Worten zusammen: "Ich musste alles auf neue Begriffe bringen. Dass ich viel intensiver, sagen wir einmal: erkenntnis-theoretischer, arbeiten musste, dass ich also auch Klarheit schaffen musste mit der ganzen verzweifelten Situation der modernen Kunst, die ja auch ein Grund für meine Krise gewesen war. Also, da entstehen die ersten theoretischen Strukturen zur Erweiterung des Kunstbegriffes auf den Menschen im allgemeinen – heraus aus dem tradierten Kunstbegriff, aus dem bürgerlichen Kunstbegriff, aus dem Reduktionismus, der dort herrscht, und hin zu den Phänomenen des Lebens."

Mein Rasierspiegel – Von Holthuys bis Beuys
9. September 2012 bis 7. April 2013