Bettina Mürner & Amrei Wittwer: Das "Zusammen" als Conditio humana

Unter dem Titel "Zusammen" wollen die beiden Keramikkünstlerinnen Bettina Mürner und Amrei Wittwerk im Rahmen einer gemeinsamen Ausstellung in der "Gepäckausgabe" im Güterschuppen beim Kunsthaus Glarus den sozialen Zusammenhalt als wesentliche Bedingung der menschlichen Existenz untermauern. Vor diesem Hintergrund handelt die Ausstellung vom Wesen des "In-der-Welt"-Seins, von der eigenen Bedingtheit und nicht zuletzt von der Forderung nach einem gemeinsamen, guten Leben, in dem "Milch und Honig fließen" können.

Mürner und Wittwer unterziehen sich der Arbeit mit widerspenstigem Material: Keramik spreche mit eigener Stimme. Sie lasse sich nie vollkommen beherrschen, vorhersehen, sie sei unverfügbar, so die beiden Künstlerinnen.

In Mürners und Wittwers Werk verschwimmt die Grenze zwischen Artefakt und Gebrauchsgegenstand, doch es stellt sich keine Routine ein. Was einen da als Produzenten oder Konsumenten von Kunst unerwartet anrufen kann, ist unscharf und mehrdeutig, handelt vom In-der Welt Sein und von Bedingtheit, von der abstrakten und konkreten Forderung nach einem guten Leben, aber auch nach verbindlichen Gesetzen, Gleichberechtigung, Natur und Artenschutz.

Für die Gepäckausgabe im Güterschuppen beim Kunsthaus Glarus haben die beiden Künstlerinnen eine Installation aus funktionalen und nichtfunktionalen keramischen Objekten und Stoffen geschaffen. Ein rituell genutzter Tisch wird zum Altar. Die Objekte dienen dazu, ins Ungleichgewicht geratene Beziehungen mit der materiellen und immateriellen Welt zu kitten. Im Fokus der beiden Keramikerinnen  liegt dabei die Transsubstantiation – im Sinne einer Transformation zwischen Brot, Leib und Geist. Ihre Ornamentik bezieht sich auf universelle und von den Glarner Druckereien angeeignete Symbole sozialer Gemeinschaften aus aller Welt.
 
Mürner und Wittwer arbeiten mit hölzernen Druckstöcken aus der lokalen Textilindustrie Glarus. Bettina Mürner verwendet die Muster und ritzt mittels einer von Amrei Wittwer erlernten Technik die Muster in Schalen aus Porzellan, um sie zu entfremden und zu verwandeln. Die als "Glarner Episode" bezeichnete Serie bezieht sich einerseits auf die "glokale“, universelle Ornamentsprache der traditionellen Glarner Drucktechnik, und andererseits auf die Farben des Glarner Wappens als Hommage an die Region und an das handwerkliche Wissen, das diese Region prägt. Die Serie von Schalen gründet auf familiären Bezügen zur Region. In der Erkundung dieses spezifischen Erbes drückt Mürner eine Hingabe und Wertschätzung gegenüber den Dingen, die sie umgeben und gegenüber dem Leben selbst aus. Das Hadern mit der Vergänglichkeit spielt dabei eine zentrale Rolle. Dem gegenüber stellt sie ihre Auseinandersetzung mit Übergängen und verwandelt das Ungewisse in eine transformatorische künstlerischen Kraft.     

Amrei Wittwer wiederum transferiert die Muster der Druckstöcke  auf Steinzeug und brennt Glasuren mit Edelmetall. Diese "Glarner Platten“ sind gleichzeitig inverse Stempel und Serviertableau. Mit den beiden auf eine regionale Tradition bezogenen Serien in Resonanz begibt sich ein weiterer Werkzyklus Wittwers mit dem Titel "Gefäße für Milch und Honig“. Die großen, mit archaischen Symbolen und Figuren geschmückten Keramikgefässe appellieren an die Ursprünge der menschlichen Kultur, an die Wertschätzung des gesunden Körpers als Mittel zur mystischen Erfahrung und an Aspekte von alle und alles verbindenden Elementen, Ritualen und Formen. Sie nehmen Bezug auf mitteleuropäische Gebrauchs- und Kultkeramik der frühen Jungsteinzeit (5'500 v. Chr.), der Badener Kultur und vom Typus Retz.

Wie diese prähistorischen Funde sind die Gefässe schwarz, mit eingekerbten Furchen und weisser Knochenpaste versehen. Frau und Tier als wichtigste Themen steinzeitlicher Kunst stehen im Zentrum der Ikonographie. Form, Funktion und dekorative Elemente sind jedoch abgewandelt – als Ornament dienen Symbole der Transformation: Es finden sich Vulven, Schlangen, Nachtfalter und Skarabäen, legale und illegale Stimulanzien und Halluzinogene.

Bettina Mürner & Amrei Wittwer: "Zusammen"       
Im Offspace "Gepäckausgabe" des Kunsthauses Glarus  
SBB Bahnhof, CH-8750 Glarus      
Bis 19.10.2024