Berlin in der Revolution 1918/19

Mit über 300 Fotografien, Postkarten, Plakaten, Notentitelblättern, Zeitungen und Illustrierten, mit Filmausschnitten, Wochenschauen und Audiostationen zeigt die Ausstellung "Berlin in der Revolution 1918/19" im Museum für Fotografie gleichermaßen eine fotografische Bildgeschichte der Revolution 1918/19 in Berlin wie ein Panorama der Unterhaltungskultur dieser unruhigen Monate.

Die Revolution im Winter und Frühjahr 1918/19 und damit der Kampf um den Aufbau der ersten deutschen Republik entschied sich in den Straßen der Reichshauptstadt Berlin. Mit Demonstrationen vor Reichstag und Schloss feierten die Berlinerinnen und Berliner am 9. November 2018 die Abdankung des Kaisers, im Zeitungsviertel wurden im Januar 1919 aus Druckpapierrollen die Barrikaden der Spartakisten gegen die anrückenden Regierungstruppen errichtet, über die Frankfurter Allee zog nach dem Ende der Kämpfe der große Trauerkondukt zum Friedhof in Friedrichsfelde.

Mit dabei waren immer Pressefotografen, die mit ihren großen Plattenkameras die Redner in der Menge, die Soldaten hinter den Maschinengewehren, die Plakatwagen der Parteien für die Wahlen zur Nationalversammlung sowie die zerstörten Häuser und verwüsteten Plätze aufnahmen. Doch gleichzeitig ging der Alltag in der Stadt weiter, besuchten die Menschen die vielen Kinos mit ihrem expandierenden Filmangebot, amüsierten sich in Revuen und Kabaretts, tanzten One-Step, Two-Step und Foxtrott.

Dabei lieferten die Fotografen kein objektives Bild der Geschichte. Sie konnten nicht an allen Brennpunkten arbeiten, richteten ihre Kameras nach subjektiven Kriterien auf das Geschehen und legten mit dem Bildausschnitt fest, was überliefert werden sollte. Und doch lassen ihre Aufnahmen die Ereignisse wieder lebendig werden. So helfen sie bei der Rekonstruktion dramatischer Episoden wie den Weihnachtskämpfen um Schloss und Marstall zwischen Volksmarine-Division und Regierungstruppen.

Sie zeigen die riesige Zahl der um Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg Trauernden und halten beispielhaft das Engagement der Schauspielerin Senta Söneland als Wahlkampfrednerin für die Nationalversammlung fest. Auch lassen die Pressefotos kritische Nachfragen zur Geschichtsschreibung der Revolution zu: Die Kleidung der Demonstranten und Kämpfer legt nahe, dass sich keineswegs nur Arbeiter und Soldaten, sondern genauso Angestellte und Bürgerliche politisch engagierten.

In den ersten Tagen der Revolution waren die Gebrüder Otto und Georg Haeckel die wichtigsten Pressefotografen. Als erfahrene Kriegsreporter begleiteten sie reaktionsschnell die spontanen Kundgebungen Unter den Linden und vor dem Schloss. Sie arbeiteten ohne Auftrag und boten Verlagen wie Mosse oder Ullstein ihre Aufnahmen als Kontaktabzüge im Format 13 x 18 cm für die wöchentlichen Bildbeilagen der Tageszeitungen (z.B. für die "Zeitbilder" der "Vossischen Zeitung") oder Illustrierten (z.B. die "Berliner Illustrirte Zeitung") an.

Belege von den Kampfhandlungen selbst gibt es nur wenige. Eher stellten die Fotografen in den Kampfpausen Szenen mit Soldaten mit schussbereiten Waffen oder an den Barrikaden nach. Von Willy Römer sind die meisten Aufnahmen der Revolution in Originalkontaktabzügen überliefert. Eine seiner Fotografien entstand sogar unmittelbar vor seiner eigenen Festnahme durch einen Trupp Spartakisten. Römer hatte ein waches Auge für die besonderen Situationen des Alltags, wenn er etwa die ungewöhnlichen Fortbewegungsmittel der Berliner während des Generalstreiks im Januar fotografierte.

In den Kinos berichteten die Wochenschauen deutschlandweit von den Kundgebungen und Demonstrationen in Berlin, brachten Film-Porträts der Minister der neuen Reichsregierung und zeigten als Beweis für die wieder hergestellte Ordnung Alltagsszenen aus den Straßen der Hauptstadt. Gleichzeitig warben sie für die Nationalversammlung. Der humoristische Kurzfilm "Anna Müller-Lincke kandidiert" führte die bunte Palette der Kandidaten und Kandidatinnen vor und forderte die Bevölkerung zur eigenständigen Wahlentscheidung auf.

Aufgrund der längeren Produktionsabläufe boten die Spielfilme im Winter 1918/19 noch keinen Reflex auf die Revolution. Doch ermöglichte die Aufhebung der Zensur die Produktion neuer, gewagter Filme, die sich etwa gegen die strafrechtliche Verfolgung Homosexueller richteten. Unmittelbar in die Zeit des Revolutionsgeschehens in Berlin fielen Richard Oswalds Arbeiten an "Anders als die Andern", dem ersten Film, der explizit gegen den § 175 Stellung bezog.

Einer der bedeutendsten Spielfilme zur Revolution und zugleich ein repräsentatives Beispiel der von der Filmindustrie unterstützten (sozial-)demokratischen Werte ist "Die entfesselte Menschheit" von Joseph Delmont, der 1920 in die Kinos kam. Bei den Dreharbeiten im Herbst in Kreuzberg an nachgebauten Barrikaden war Willy Römer als Pressefotograf dabei. Seine Aufnahmen wirken dramatischer als viele Fotografien der Revolution noch im Jahr zuvor.

Als Reaktion auf das Ende des Krieges und ohne zunächst den Gefahren der Revolutionskämpfe Rechnung zu tragen, herrschte im Winter und Frühjahr 1918/19 in Berlin eine beispiellose Vergnügungssucht. Neben Opernhäusern und Sprechtheatern frequentierten die Berlinerinnen und Berliner die populäreren Operetten- und Revuetheater, die Kinos, aber ebenso auch Ballhäuser oder Kaschemmen, um dort zu tanzen. Operetten wie "Schwarzwaldmädel" in der Komischen Oper sollten das Publikum in eine heile Welt entführen und vom Kriegs- und Revolutionsalltag ablenken.

Doch gab es auch Revuen, die tagesaktuell auf Themen wie die Wohnungsnot und die Streiks reagierten wie "Halloh! Halloh!" von Rudolf Nelson (Musik) und Fritz Grünbaum (Text). Die Misere der Kriegsinvaliden war gleichfalls ein Sujet der populären Musik. In dem Lied "Bein ist Trumpf" aus dem Jahr 1919 wird das Schicksal vieler kriegsversehrter Männer angesprochen: der Tanz mit dem Holzbein oder der Prothese im Getriebe eines sich immer weiter drehenden Weltgefüges. Zugleich zeigten die Aufnahmen der Pressefotografen sie mit Krücken und gefesselt an Rollstühle sowie ihre Proteste gegen die unzureichende Versorgung.

Die Ausstellung im Museum für Fotografie speist sich in wesentlichen Teilen aus dem Archiv Willy Römers, das in der Sammlung Fotografie der Kunstbibliothek – Staatliche Museen zu Berlin bewahrt wird. Die umfassenden Bestände der bpk-Bildagentur und von ullstein bild bieten wertvolle Ergänzungen. Für den Bereich Film und Unterhaltungskultur konnte auf Exponate der Sammlung Grafikdesign der Kunstbibliothek zurückgegriffen werden. Wichtige Leihgaben kommen aus der Musikabteilung der Staatsbibliothek zu Berlin, aus der Stiftung Deutsche Kinemathek, dem Museum und Galerie Falkensee sowie aus Privatsammlungen.


Berlin in der Revolution 1918/19
Fotografie, Film, Unterhaltungskultur
9. November 2018 bis 3. März 2019
Eröffnung: Do 8. November 18, 19 Uhr