Ben Vautier. Ist alles Kunst?

Ben Vautier (*1935) ist seit den späten 1950er-Jahren als Künstler, Performer, Organisator, Erfinder in Sprache und Neudenker der Kunst präsent. Er gehört zu den Pionieren der Fluxus-Bewegung in Europa und war als Mitstreiter der École de Nice eng befreundet mit Künstlern wie Arman, Yves Klein und Martial Raysse. Er ist bekannt für seine Schriftbilder, die mit kurzen, prägnanten Sätzen das Leben und die Kunst gleichermassen befragen wie herausfordern.

Ben Vautier ist im Museum Tinguely die erste umfassende Retrospektive in der Schweiz gewidmet. Neben einem Blick auf wesentliche Werkgruppen der ersten 20 Jahre seines Schaffens, richtet der Künstler im Museum Tinguely über 30 Räume ein, in denen er verschiedene Themen der Gesellschaft, Kunst und Politik thematisiert, kommentiert und Position ergreift. Die Schau präsentiert in Basel weit über 400 Werke des bis heute sehr aktiven Künstlers und ist vom 21. Oktober 2015 bis zum 22. Januar 2016 zu sehen.

Zum ersten Mal wird Ben Vautiers künstlerisches Universum umfassend in der Schweiz gezeigt. Der in Nizza lebende und bei vielen schlicht unter der Kurzform "Ben" bekannte französisch-schweizerische Künstler, signiert alles ("Je signe tous") – und kommentiert dabei mit seinen Bildern und Aktionen die Welt als Ganzes. "Kunst ist nutzlos" (L’art est inutile), "Ich bin der Wichtigste" (Je suis le plus important) – Ben Vautier fordert mit derartigen Aussagen seit fast sechzig Jahren ganz bewusst heraus, regt damit aber genauso häufig auch zum Nachdenken an.

Mit seinen Schriftbildern stellt er essentielle Fragen nach der Wahrheit in der Kunst, der Rolle des Künstlers in der Gesellschaft und der Beziehung von Kunst und Leben. Sie behandeln ein breites Spektrum, von der Selbstreflexion als Künstler über postmoderne Kunsttheorien bis hin zu Völkerkunde und Religion. Sie zeugen von einem kritischen Geist, der sich nicht scheut, alles und jeden in Frage zu stellen – das eigene Ego mit eingeschlossen.

In seiner Verschränkung von bildender Kunst, Philosophie und Alltag ist das Werk von Ben einzigartig. Von Duchamps Ready-Mades ausgehend, verfolgt Ben konsequent die Annahme, dass sich ein Kunstwerk nicht auf Grund seiner materiellen Beschaffenheit, sondern ausschliesslich durch die Signatur zu erkennen gibt. Die meist in Schreibschrift verfassten, bildhaften Kommentare können bei Ben sicherlich als wesentliches Merkmal seiner Kunst und somit zu seiner Signatur hinzugefügt werden.

Ben war einer der ersten Künstler, die in Europa die Kunst unmittelbar auf die Strasse brachten. Ab 1959 erweiterte er den bis dahin gängigen Kunstbegriff mit seinen sogenannten "Actions de rue". Dazu zählen alltägliche Gesten, wie etwa das Warten an einer Bushaltestelle oder auch sonderbare Handlungen, wie das Durchschwimmen des Hafens von Nizza mitsamt Hut und Kleidern. In den 1960er-Jahren wurde Ben mit seinen zahlreichen Aktionen zu einer wesentlichen Figur der Fluxus Bewegung in Europa. Eine Auswahl seiner Performances – er nennt sie schlicht "Gestes" – werden im Museum Tinguely mit quadratischen, schwarz-weiss bemalten und collagierten Bildtafeln sowie anhand von historischem Original-Filmmaterial präsentiert.

Ein zentrales Werk der Ausstellung ist Bens "Magasin", sein Laden für gebrauchte Schallplatten in Nizza (1958-1973). Dieser Ort wurde während der 1960er-Jahre zum Haupttreffpunkt der Kunstszene und zugleich Schauplatz zahlreicher Aktionen und Ausstellungen. Die auffällige Fassade und unkonventionelle Einrichtung erregten grosses Aufsehen. Die Ladengestaltung mit zahlreichen Schriftbildern und Objekten ging einher mit der Entwicklung der Schriftbilder, für die Ben heute bekannt ist. Diese von ihm konstant weiterentwickelte "Installation" wurde mit seiner originalen Fassade und dem Interieur 1975 vom Centre Pompidou angekauft und zur Eröffnungsausstellung des Museums in Paris gezeigt.

Dieses aussergewöhnliche Gesamtkunstwerk schlägt eine Brücke zu den frühesten Anfängen seines Schaffens und bündelt seine zentralen künstlerischen Themenkomplexe, die bis heute seine Arbeiten prägen. Der erste, retrospektive Teil der Ausstellung, kuratiert von Andres Pardey, richtet den Fokus auf die Anfänge und zeigt ausgewählte Schlüsselwerke von 1958 bis 1978. Den Auftakt bilden Zeugnisse von Bens Suche nach einer ureigenen abstrakten Formensprache bis zu den ersten Schriftbildern ("vieilles écritures"). Dabei wird nachvollziehbar, wie Ben sich von rein formalen Experimenten abwendete und fortan sein Hauptaugenmerk auf Inhalte und Bedeutung legt.

Präsentiert wird das gesamte Spektrum seines künstlerischen Repertoires: Über die zahlreichen Strassenaktionen ab den 1960er Jahren und den Höhepunkten von Fluxus in Nizza, bis hin zu Ben als Kunstphilosoph und -theoretiker. All dies spielt sich in einer kurzen Zeitspanne ab und bildet das Fundament seines nachfolgenden Schaffens. Bens Status, seine zentrale Position in der Kunstszene Nizzas, für Fluxus in Europa und weltweit, seine weitverzweigte Vernetzung mit Künstlern, Philosophen, Literaten, internationalen Politikern und Sammlern wird hier exemplarisch deutlich. Gestreift werden Themen wie die Multimedialität, die für den Netz-Aktivisten der ersten Stunde mit eigener Website, eigenem Web-Radio und Newsletter selbstverständlich ist, oder das riesige Archiv, das Ben zu seinem eigenen Werk wie zu denen seiner Künstlerfreunde angelegt hat.

Die Werkgruppe "Introspection" thematisiert Ben Vautiers bildnerische Selbstbetrachtung und hinterfragt sein eigenes Künstlerego. Der Blick von aussen nach innen leitet dabei den zweiten Teil der Ausstellung ein. Neben einem Einblick in das jüngere Werk Ben Vautiers wird darüber hinaus Bens kreativer Umgang mit seinem eigenen Werk anschaulich präsentiert. Mehr als dreissig Räume und Themen gestaltet der Künstler selbst und ordnet sie zu einem einzigartigen Gesamtkunstwerk in Basel an. Von seinen "kleinen Ideen", zu "neuen Schriftbildern", "Spiegel", "Photographie" bis zu Themen wie "Zeit", "Tod" und einer "Hommage an Tinguely" präsentiert Ben ein Kaleidoskop seiner aktuellen Arbeiten und Werkkomplexe.


Ben Vautier. Ist alles Kunst?
21. Oktober 2015 bis 22. Januar 2016