Bei der Architektur-Biennale in Venedig geht es um vielschichtige Intelligenz

Intelligens. Natural Artificial Collective – das wurde zur 19. Architektur-Biennale ausgerufen. Kurator Carlo Ratti öffnet im Arsenale einen weltweiten Ideenraum, die Länderpavillons interpretieren das Generalthema auf ihre Weise und bezüglich Vermittlung mal eindrücklich, mal sperriger.

Ein Open-call ging in die Welt hinaus, und Carlo Ratti – der italienische Architekt leitet am Massachusetts Institute of Technologie (MIT) das Senseable City Lab, ein hochdotiertes Forschungslaboratorium für die Stadt von Morgen – inszeniert die über 300 Beiträge von Architekten, Ingenieuren, Mathematikern und Klimaforschern, Philosophen, Künstlern, Köchen und Programmierern, Schriftstellern, Holzschnitzern und Landwirten als dynamisches Laboratorium. Dichte Packung!

Am Start der monströsen Säulenhalle, der Corderie, ein krasser Effekt: Umwerfend, die Abluft von dutzenden Klimaanlagen simuliert die zukünftige Sommertemperatur in Venedig (42 Grad), im Pulk der Begierigen verliere ich die Orientierung, greife vorsichtig auf die spiegelnde Fläche, es ist warmes Wasser, um dann an der hochgemauerten weißen Wand anzustehen. Ist diese überwunden, werden die drei Themenwelten mit ihren spezifischen Anpassungsexperimenten aufgeschlagen: Natürliche Intelligenz, Künstliche Intelligenz und Kollektive Intelligenz. Am Anfang ob der Komplexität und auch wegen der Ästhetik in der Sektion Natur noch beeindruckt, wird es immer anstrengender in der vollgeschlichteten Ausstellung etwas aufzunehmen. Nach einem doch recht emphatischen Gespräch mit der in allen Sprachen antwortenden KI flüchte ich mich in den Park hinter dem italienischen und chinesischen Pavillon, im Vorbeigehen beobachte ich die Wasserfahrräder nur, die am futuristisch gestalteten Steg von Norman Forster auszuprobieren wären, denn meine Energie reicht dafür nicht mehr.

Am nächsten Tag ging es – wieder ausgeruht – in die Giardini. Die subjektiven Favoriten seien hier betrachtet, wo es gelungen ist, bei der Besucherin trotz inhaltsschwerer Darbietung in kurzer Zeit – wer hält sich denn stundenlang in einem Pavillon auf! – Eindruck und Anregung zu hinterlassen. Platz Eins: Spanien mit „Architekturen für territoriales Gleichgewicht“. „Iternalities“ ist ein neuer Begriff für Architektur, die auf Umwelt-Externalitäten – das sind indirekte Kosten, die nicht mit der Produktion eines Produktes zusammenhängen, sondern mit Auswirkungen, Emissionen etc. – reagiert, um die Dekarbonisierung der spanischen Baubranche voranzutreiben. Im zentralen Raum halten sich bei 16 Projekten jeweils Modelle von Konstruktionen mit dem Material, welches das Gebäude am ambitioniertesten internalisiert hat, die Waage mit jenen im territorialen Maßstab zu Gewinnung und Herkunftsgebiet. In den Räumen rundherum ergänzen Ergebnisse von Forschungsteams die fünf Hauptthemen zur Dekarbonisierung von Architektur: Material, Energie, Handwerk, Abfälle, Emissionen – vermittelt in eindrucksvollen Fotografien.

Ebenfalls sehr gelungen ist der emotionale Einstieg beim Pavillon der USA. „Porch. An Architecture of Generousity“. Eine aufsehenerregende Holzkonstruktion wird davorgestellt. Die amerikanische Veranda ist eine Architektur sozialer Verhandlungen und kulturellen Austauschs, wo sich Privates mit öffentlichem Leben verflechten, sich Beziehungen und Nachbarschaft festigen und mit dem bürgerlichen Leben interagieren – ein großzügiger Ort, der gemeinschaftliche Intimität vermittelt, ein Dazwischen von Innen und dem Außen mit seinen Unwägbarkeiten von Wetter und Klima. Erfolgreich eingestimmt lass ich mich interessiert auf die vielfältigen Beispiele in der Ausstellung ein, die Architekten, Landschaftsarchitekten, Designer, Künstler, Designer, gemeinnützige Organisationen, öffentliche Einrichtungen, sogar Einzelpersonen und auch Studierende aus den gesamten USA auf den Open-call hin eingereicht haben. Gar nicht anstrengend ist es, ein Buch durchzublättern, sich in die Situationen auf Bildern und Modellen hineinzuträumen, die textilen Kunstwerke zu betrachten.

Überraschend Grundlegendes beim dänischen Pavillon: dieser wird als Ausstellungsort neu konzipiert und zur umfassenden Echtzeitstudie nachhaltiger Architekturpraxis. „Build of Site“ zeigt die Dekonstruktion und den über zwei Jahre laufenden Wiederaufbau des restaurier-würdigen Bauwerks sowie den Wert überschüssiger Materialien und eine Architekturpraxis, die auf Wiederverwendung und Anpassung basiert. Auf dieser Baustelle wird zudem die umfassende Untersuchung der Pavillonmaterialien und ihre Nutzbarkeit nachvollziehbar. „Wir haben bereits alles geschaffen, was wir brauchen. Die Herausforderung besteht darin, das Vorhandene besser zu verstehen und seinen Wert zu erkennen“, sagt der verantwortliche Architekt Søren Pihlmann.

Agency for better living. Im österreichischen Pavillon wird die Wohnungsnot thematisiert und die gegensätzlichen Wohnmodelle zweier Großstädte verglichen: Wien mit seiner jahrhundertelangen Tradition des sozialen Wohnbaus und Rom mit seinen informellen, selbstorganisierten Wohnformen. "Die Wohnsituation in Rom ist mit jener in Wien kaum vergleichbar. Hier eine enorme Wohnungsnot, die die Stadt kaum im Griff hat und die dazu führte, dass sich nun Interessensgruppen formieren, um leerstehende Häuser zu besetzen und in Eigenregie Wohnrechte zu erkämpfen, dort eine Stadt, die mit 220.000 verwalteten Mietwohnungen der größte Wohnungsgeber Europas ist und die weltweit als leistbares Idealmodell zitiert wird", sagt Michael Obrist, der den Pavillon gemeinsam mit Sabine Pollak und Lorenzo Romito kuratiert hat. Zweifellos ein spannender Ansatz, doch diese substanzvolle Forschungsarbeit mit bis in lichte Höhen hinauf tapezierten Ergebnissen überfordert. Es bleibt der Eindruck einer durchaus gut gemachten, klassisch formatierten Ausstellung mit Fotos, Grafiken und ausführlichen Erläuterungstexten; die ziegelumrandete Insel im Hof, mit den 25 m2 einer Wohneinheit im Einküchenhaus in Wien oder einer ehemaligen Büroeinheit in Rom, hab ich glatt übersehen.

19. Architektur-Biennale in Venedig
vom 10. Mai bis 23. November 2025
geöffnet täglich außer an Montagen