Begehren und Vernunft - Die Filme von Jane Campion

3. Juni 2013 Walter Gasperi
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Immer noch ist "The Piano" der berühmteste Film der am 30. April 1954 in Wellington geborenen Neuseeländerin Jane Campion. Als erste Frau und erste Künstlerin ihres Kontinents überhaupt gewann sie mit diesem Frauendrama 1993 die Goldene Palme von Cannes. Von weiblicher Selbstfindung erzählen auch die anderen Filme Campions, deren bislang schmales Werk das Filmpodium Zürich derzeit zeigt.

Neben Kurzfilmen nur sieben lange Spielfilme und die zuletzt entstandene TV-Miniserie "Top of the Lake" (2013) umfasst das Werk Jane Campions. Im Mittelpunkt stehen dabei immer Frauen, die vielfach gegen den Widerstand der Gesellschaft für ihre Lebensentwürfe kämpfen. Dies kann im 19. Jahrhundert wie in "The Piano" (1993), der Henry James-Verfilmung "The Porträt of a Lady" (1996) oder "Bright Star" (2009) ebenso spielen wie in der Gegenwart wie in dem Psychothriller "In the Cut" (2003) oder der auf Tatsachen beruhenden Entwicklungsgeschichte "An Angel at My Table" (1990).

Geboren in eine Theaterfamilie wollte sich Campion von diesen Wurzeln lösen. Nach einem Studium der Anthropologie studierte sie in London und Sidney Kunst mit dem Schwerpunkt Malerei, ehe 1981 bis 1984 eine Regieausbildung an der Australian Film, Television and Radio School folgte. Speziell die Ausbildung in Malerei hat Campions Filme sichtlich geprägt, denn Farben spielen bei ihr immer eine große Rolle, kehren die Gefühlswelt der Protagonistinnen nach außen und wie Gemälde wirken viele Einstellungen.

Schon mit ihren Kurzfilmen machte sie intenational auf sich aufmerksam und gewann 1986 mit "Peel" in Cannes den Kurzfilmpreis. Ihren ersten Langspielfilm drehte sie 1989 mit "Sweetie", auf den ein Jahr später mit "An Angel at My Table" folgte, mit dem sie die Lebensgeschichte der neuseeländischen Schriftstellerin Janet Frame verfilmte, die wegen ihren Unkonventionalität als schizophren diagnostiziert und acht Jahre in die Psychiatrie gesperrt wurde.

In eine fremde und feindliche Umwelt wird auch die seit ihrem sechsten Lebensjahr stumme Ada (Holly Hunter) in "Das Piano" geworfen. Aus dem England des 19. Jahrhundert wird sie von ihrem Vater mit einem ihr unbekannten Neuseeländer verheiratet. Mit ihrer unehelichen Tochter (Anna Paquin) und ihrem Piano, mit dem Ada ihre Gefühle ausdrückt und gleichzeitig auch ihre Individualität in dieser von Männern dominierten Gesellschaft bewahrt, reist sie ans andere Ende der Welt. Während sie hier zu ihrem Mann (Sam Neill), der ihr Klavierspiel ablehnt, keine Gefühle entwickeln kann, verliebt sie sich in dessen Freund Baines (Harvey Keitel).

Campion lässt nicht nur englische Kultur auf neuseeländische Natur prallen, sollen stellt der kalten Vernunftehe auch die wachsende Leidenschaft gegenüber. Wie hier Ada sich von ihrem Mann zunehmend emanzipiert, sich für die große Liebe entscheidet und um ihre Selbstständigkeit zu kämpfen beginnt, so stehen die Frauenfiguren Campions oft zwischen Vernunft und erwachendem Begehren und entscheiden sich erst nach langen inneren Kämpfen für die Liebe.

Dies gilt auch für die Schneiderin Fanny Browne, die sich in dem ebenfalls im 19. Jahrhundert spielenden "Bright Star" in den armen romantischen Dichter John Keats verliebt. Lange hält sie sich zurück, auch weil ihre Mutter, die an die materielle Sicherheit der Tochter denkt, gegen die Beziehung ist, doch immer stärker werden die Gefühle. Ganz auf das Paar fokussiert Campion und kehrt wie in "The Piano" in meisterhaft komponierten Bildern und einer ausgefeilten Farbdramaturgie die Gefühlswelt der Protagonistin nach außen. Leise, aber mit größtem Feingefühl zeichnet sie in diesem wunderbar runden und zeitlosen Meisterwerk die Entwicklung dieser Beziehung nach und vermittelt eindringlich und ohne jeden Anflug von Kitsch die Tiefe der Gefühle.

Im Gegensatz zu Fanny entscheidet sich die von Nicole Kidman gespielte Protagonistin der Henry James-Verfilmung "The Portrait of a Lady" zunächst für die Vernunft und hört nicht auf ihre Gefühle. Bittere Erfahrungen muss sie folglich in der Ehe machen, bis sie erkennt, wen sie wirklich geliebt hat, und aus ihrem Ehegefängnis ausbricht. Die Frage der Selbsterkenntnis wirft Campion dabei im Spiel mit Spiegeln auf und schlägt den Bogen vom New York des 19. Jahrhunderts zur Gegenwart, wenn sie mit Aufnahmen heutiger Mädchen und Frauen andeuten will, dass sich an der Liebesproblematik für Frauen bis heute nichts geändert habe.

Zwischen Vernunft und Leidenschaft pendelt auch die Lehrerin Frannie (Meg Ryan) in dem sinistren Thriller "In the Cut", der in ein verdrecktes und dunkles New York der Gegenwart entführt. Während ihre Halbschwester von einem Männerabenteuer ins nächste stürzt, lebt Frannie allein. Doch im Verborgenen schlummert in ihr ein großes sexuelles Bedürfnis. Als sie dem Polizisten Malloy begegnet, verfällt sie ihm, lebt mit ihm ihre Sexualität aus, obwohl sich der Verdacht verstärkt, dass er ein Frauenmörder ist. Und auch in der TV-Miniserie "Top of the Lake" lauern Abgründe hinter der majestätischen neuseeländischen Natur.

Das Widersprüchliche bringt Campion dabei immer auch durch die Form zum Ausdruck, durch die Farbdramaturgie ebenso wie durch ungewöhnliche Kameraperspektiven. Nie hat sie Angebote aus Hollywood angenommen, ihre eigenen Filme will die derzeit wohl bedeutendste Regisseurin drehen – und das heißt wohl weiterhin Geschichten von Frauen erzählen, die auf der Suche zu sich selbst, sich zunächst aus der Abhängigkeit von Männern befreien müssen.

Trailer zu "The Piano"