Begegnungen mit der Ewigkeit

Seit Napoleons Ägyptenfeldzug, einer militärischen und wissenschaftlichen Unternehmung (1798 bis 1801), ist das Interesse des westlichen Publikums am alten Ägypten ungebrochen. Entscheidend dazu beigetragen hat die sog. "Description de l’Egypte", eine berühmte Text- und Bildsammlung von neun Quart- und elf Bildbänden in übergrossem Format. Wer im 19. Jahrhundert aus Ägypten heimkehrte, nahm gerne auch Souvenirs mit.

So gelangten über 30‘000 Ägyptiaka in Schweizer Museen. Auch mehr als zwei Dutzend Mumien und Mumienteile kamen so ins Land. Die prominenteste Schweizer Mumie – sie kam 1820 als erste hier an – ist die Mumie aus der Stiftsbibliothek, Schepenese mitsamt ihren Sarkophagen. Ihr kommt denn auch ein zentraler Platz in der Ausstellung zu. Im gleichen Raum befindet sich auch eine zu Lebzeiten mögliche Freundin von Schepenese. Es ist die heute im Musée historique in Vevey aufbewahrte Gem-tu-es, die Tochter eines Amun-Priesters. Von ihr haben sich leider nur der prächtige Sarkophag und einige Knochen erhalten.

Die Mumie kam 1858 als Geschenk eines in Ägypten wohnhaften Schweizers nach Vevey. Dort wollte sie eigentlich niemand haben, und es begann eine mehrjährige Irrfahrt durch verschiedene Museen und Depots. Als ihr Schüler einen Fuss abgerissen hatten, äscherte man die Mumie 1948 kurzerhand ein. Das ist das Schlimmste, was einer altägyptischen Mumie überhaupt passieren kann. Nach altägyptischen Vorstellungen gilt der Feuertod als eine der schlimmsten Todesarten überhaupt, da die Vernichtung der Mumie eine Fortexistenz im Jenseits verunmöglicht.

Das museale Ausstellen von menschlichen Überresten (etwa Skelette, Kopftrophäen [sog. Schrumpfköpfe] oder Mumien) ist umstritten. Nicht selten bestimmt die fachlich-thematische Ausrichtung eines Museums, wie diesbezüglich verfahren wird. Während kulturhistorisch und naturwissenschaftlich orientierte Häuser beziehungsweise Kuratoren weniger Probleme mit dem Ausstellen zum Beispiel von Mumien haben, gibt es bei rein archäologisch-ethnologisch geprägten Museen und Wissenschaftlern häufiger Bedenken. Hier wird nicht selten die Meinung vertreten, dass die Ausstellung von Mumien im Museum unterbleiben und dass man es bei einer würdigen Verwahrung im Depot belassen sollte.

Entscheidet sich aber ein Museum für das Präsentieren von menschlichen Überresten, entstehen fast immer Diskussionen. Bei Skeletten sind diese allerdings geringer als bei Schrumpfköpfen oder Mumien. Ursache hierfür könnte sein, dass Mumien – wegen ihrer besonderen Erhaltung – dem Lebensbild eines Menschen ähnlicher sind als Knochen. Dieser Umstand zeigt, dass die Diskussion um die Ausstellung menschlicher Überreste häufig subjektiv und emotional geführt wird. Hinzu kommt, dass vor allem in der modernen westlichen Gesellschaft Sterben und Tod mehr und mehr aus dem Alltag verbannt werden.

Das Historische und Völkerkundemuseum hat sich – in Absprache mit der Stiftsbibliothek – entschieden, Schepenese aus ihrem Biedermeiersarg herauszunehmen und frei auszustellen. Dies geschieht in höchstmöglicher Würde und Pietät und mit Achtung der Persönlichkeit der Verstorbenen. Das gilt gleichfalls für den Innen- und Aussensarkophag, deren Zeichnung und Bemalung so optimal zur Geltung kommen. Aussergewöhnlich sind auch Deckel und Wanne des Sarkophags von Gem-tu-es, der zu Lebzeiten möglichen Freundin von Schepenese. Da Gem-tu-es am 30. Dezember 1948 ihren zweiten Tod erlitt und eingeäschert wurde, sind nur deren sterbliche Überreste in einer Glasurne zu sehen.

Die Ausstellung beginnt mit einem sog. Bauchsarg, dem grössten in der Schweiz vorhandenen Sarkophag. Er ist eine Leihgabe aus dem Museum für Völkerkunde in Burgdorf, aus dessen Sammlung auch das mumifizierte Krokodil stammt. In einer nachgebildeten Grabkammer werden wertvolle Grabschätze gezeigt, darunter ein Sarkophag mit einer Kindermumie. In einer Vitrine sind Uschebtis zu sehen. Das sind Statuetten in Mumienform, die dem Verstorbenen als Helfer zur Verfügung stehen. Nach der religiösen Vorstellung der alten Ägypter rief der Verstorbene den Uschebti in der Totenwelt an, damit er diverse Arbeiten – vor allem im landwirtschaftlichen Bereich – für ihn verrichten konnte. Die sog. Uschebtikästen dienten zur Aufbewahrung der Uschebti-Figuren, die den verstorbenen Pharaonen und höheren Beamten mit ins Grab gegeben wurden.

Mit zwei altertümlichen Vitrinen wird gezeigt, wie in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts Ägyptiaka ausgestellt wurden. Sie kontrastieren auffällig mit den modernen, innenbeleuchteten Vitrinen, wie sie im heutigen Museumsalltag verwendet werden.

An der hinteren Wand läuft über vier Bildschirme verteilt der erste Mumienfilm: "The Mummy" aus dem Jahr 1932 mit Boris Karloff in der Hauptrolle. Dieser Film – Pate aller nachfolgenden Mumienfilme – entstand zehn Jahre nach der sensationellen Entdeckung des Grabs von Tutanchamum durch den englischen Archäologen Howard Carter. Carters sensationeller Fund von 1922 begründete die zweite Welle einer Ägyptomanie, die die ganze westliche Welt erfasste und bis heute anhält.

Im Banne Ägyptens
19. Juni bis 6. März 2011