Beatriz Santiago Muñoz - Lob des Unsinns

Beatriz Santiago Muñoz ist überzeugt vom transformativen Potenzial der Kamera. Sie ermöglicht es, die Welt neu zu denken und vermeintlich feststehende Bedeutungen neu zu verhandeln. Gerade der Unsinn steht im Mittelpunkt ihrer drei Filme, die in der Secession zu sehen sind. Die neu entstandenen Arbeiten wurden auf 16mm-Film gedreht und anschließend auf Video übertragen. In freier Assoziation und spielerischem Umgang mit der Form stellen sie Beziehungen zwischen Ton und Bild her, die sich bewusst einer rationalen Sinnsuche entziehen.

Inspiriert wurden die drei Filme von "jitanjáforas" - erfundenen sinnlosen Wörtern, die in der karibischen Dichtung und Musik des 20. Jahrhunderts in überbordender Vielfalt verwendet wurden. Ihre poetische Dimension entfalten diese spekulativen Wörter vor allem in ihren phonetischen Eigenschaften. Dabei erheben sie Chaos, Dissonanz und revolutionären Geist über reaktionäre Konzepte fester Wahrheiten, die den politischen und sozialen Status quo sichern.

Auch Muñoz’ Filme erfinden "neue Worte". Mit ihrem Fokus auf Rhythmus, Form, Klang und Bewegung durchbrechen sie das lineare Erzählen und die traditionelle Produktion von Bedeutung. Der Titel "Elogio al disparate" (Lob des Unsinns) bezieht sich auf einen kurzen Essay des peruanischen Marxisten José Carlos Mariátegui (1894-1930) über die Gedichte des peruanischen Autors Martín Adán (1908-1985). Mariátegui betont das Potenzial des Unsinns, die Heuchelei und die Philosophie der alten Ordnung zu entlarven; die von ihm ausgehende Störung könne deren Auflösung beschleunigen.

Muñoz’ Praxis dreht sich vor allem um ihre Heimat Puerto Rico, mit Verweisen auf haitianische Poetik und feministische spekulative Fiktion. Die Insel gilt als älteste Kolonie der Welt; nach mehr als vier Jahrhunderten spanischer Herrschaft wurde sie 1898 im Zuge des Spanisch-Amerikanischen Krieges von den USA besetzt. Während Puerto Rico vor allem durch exotisierende Darstellungen bekannt ist, setzt sich Muñoz mit seinen politischen und ökologischen Krisen, mit Gentrifizierung und Vertreibung sowie mit ehemals militärisch genutzten Räumen auseinander. Um alternative Erzählungen zu formulieren, arbeitet die Künstlerin oft mit Laiendarsteller:innen vor Ort zusammen. Darunter sind Aktivist:innen oder Heiler:innen, die sie einlädt, Ereignisse aus ihrer eigenen Populärkultur, Geschichte und indigenen Mythologie nachzustellen.

Muñoz’ Arbeit wurzelt in der Langzeitbeobachtung, einem in der Ethnologie und im Dokumentarfilm verbreiteten Ansatz. Gleichzeitig verwendet die Künstlerin den Film nicht im Sinne eines klassischen Realismus, sondern als eine Form der Poesie. Dabei macht sie sich die Sprache des Theaters und des Expanded Cinema zu eigen und verwischt bewusst die Grenzen zwischen Fakt und Fiktion. Indem sie der Improvisation und dem Zufall Raum gibt, erforscht sie die Möglichkeiten, Geschichte neu zu schreiben.

Der verwirrende und doch lebendige Zustand, der sich einstellt, wenn das Bestehende aus den Fugen gerät, sich aber noch kein neuer Sinn entwickelt hat, mag in seiner Beliebigkeit Unbehagen auslösen - in Muñoz’ neuen Filmen gibt es keinen festen Anhaltspunkt, keine Logik, keinen Grund -, aber er ist auch voller alternativer Deutungen, Erfindungen und Möglichkeiten. Oder wie es die Künstlerin selbst formuliert: "Ich versuche, die Auflösung einer Ordnung, die sich zu sehr auf die Vernunft verlässt und womöglich den Blick versperrt, wenigstens ein Stück weit voranzutreiben".

Beatriz Santiago Muñoz wurde 1972 in San Juan, Puerto Rico, geboren, studierte in Chicago und lebt und arbeitet heute in San Juan. Ihr Werk wird durch die von ihr mitbegründete Künstler:innen-Kooperative Sociedad del Tiempo Libre in San Juan repräsentiert, die kollektive Projekte jenseits bestehender Kunststrukturen organisiert.

Beatriz Santiago Muñoz
Elogio al disparate
bis 23. Februar 2025
Grafisches Kabinett