Balthasar Burkhard - Songlines

Schon seit längerer Zeit hatte Balthasar Burkhard die Absicht, den weiblichen Akt ins Auge zu fassen. In Zusammenarbeit mit seinem langjährigen Freund Jean-Christophe Ammann entstand die Idee von Songlines. Eine Ausstellung im Museum Franz Gertsch zeigt nun vom 11. November 2007 bis 16. März 2008 die neuesten Fotografien von Burkhard, die im Frühling 2007 in Sevilla aufgenommen wurden.

Die Aktdarstellungen der Artistinnen und Künstlerinnen erscheinen zeitlos in einem undefinierten Raum, als wären sie Traumbilder oder Erinnerungsbilder mystischer Schönheiten. Ihr Auftauchen ist gleichsam ein Entschwinden. Die Aktfotografien erinnern an die Altmeister der Kunstgeschichte und an die längst vergangene traditionelle Ateliersituation. Die namenlosen Frauen stehen auf Stoffbahnen, deren Faltenwürfe sich um ihre nackten Füsse legen und eine tellurische Struktur aufweisen. Es scheint, als transformiere sich der Hintergrund und Boden in eine von Erosion durchzogene Landschaft.

Der Titel "Songlines" bezeichnet unsichtbare Grenzlinien, die den gesamten Kontinent Australien durchkreuzen und auf eine alte Mythologie der Aborigines zurückgehen. Bei der Berührung mit einer Songline beginnt der Aborigine zu singen. In der deutschen Übersetzung werden die "Traumpfade" mit der Mythologie der Traumzeit und dem Wandern der Nomadenstämme in Verbindung gesetzt. Auch der Autor britische Bruce Chatwin hat dieses Thema aufgegriffen und 1987 den gleichnamigen Roman verfasst, in dem er aufzeigt, wie die Linien stellvertretend für Lieder stehen, denen die Aborigines mit Gesang folgen.

Neben den Aktfotografien zeigt Balthasar Burkhard elementare Sujets der Natur. Das Wasser stellt er zum einen als Ursprung und Quelle in Form eines aus dem Gestein entspringenden Wasserfalls (La Source, 1988) dar. Dieser erscheint als Riss der Erde in ihrer Haut – und gleichzeitig als Spur der Geschichte. Zum anderen weist er auf die Elementargewalt hin, indem er die Kraft einer Wasserwelle (Normandie, 1995) fotografisch festhält. Er trifft genau den Moment, in dem die Welle sich mit ihrer grössten Kraft aufwirft, bevor sie sich dann in ihrer Bewegung wieder zurückzieht. Die Welle ist nur ein Beispiel für den endlosen und immer wiederkehrenden Lauf der Natur.

Elementar, als "Ursprung der Welt", versteht sich auch die Fotografie "L’Origine" von 1988. Balthasar Burkhard rückt in einer Nahsicht das weibliche Geschlecht ins Bildzentrum. Der nackte Körper geht in den dunklen Hintergrund über, wohingegen die geöffneten Schenkel im Bildvordergrund die Aufmerksamkeit des Betrachters auf sich lenken. Die Schneckenserie Escargot (1992/93) fordert den Betrachter beinahe heraus mit Assoziationen zu spielen. Die kleinen Weichtiere eröffnen sich ihm in grossformatiger Nähe. In dieser Form von Annäherung werden die Öffnungen und Windungen des Fleisches zu unantastbaren verletzlichen Gebilden.

Balthasar Burkhard bewahrt bei allen seinen Motiven die nötige Distanz. Eine Distanz, die die "Linie" nicht überschreitet. Zudem fotografiert er aus seiner ganz eigenen Sichtweise: eine, die das Licht benutzt, um das Motiv zu erschliessen und gleichsam immer die Reinheit eines unverstellten Blicks bewahrt. Die Fotografien werden von einer raumfüllenden Grossprojektion ergänzt: dem 1999 entstandenen Film "Ciudad", einem dokumentarischen Kunstwerk und zugleich eine moderne Symphonie der Grossstadt Mexico-City. Schwarz-weisse und farbige Filmsequenzen wechseln sich ab, Luftaufnahmen mit diskreten Einblicken in die Stadt und ins Leben. Aufbruch und unkontrolliertes Wachstum werden sichtbar. Menschen, Maschinen, Autos - alles rotiert in einer entrückten Welt zwischen Himmel und Erde.


Balthasar Burkhard - Songlines
11. November 07 bis 16. März 08