Aus den Fugen

In der Kunstbox am Jahnplatz sind seit dem 11. September die Arbeiten von Ursula Dünser und Karin Nussbaumer zu sehen. Die Künstlerinnen haben über 2 Jahre hinweg die Strassen von Feldkirch, Hohenems, Dornbirn und Götzis durchkämmt und Pflanzen gesammelt, wo sie weder erwünscht noch erlaubt sind - aber dennoch wachsen. Gesammelt, getrocknet, fotografiert und mit Heiß Kleber arrangiert besteht jedes der drei Objekte, das die Kunstbox ziert aus 500-700 einzelnen Individuen, allen voran Taraxacum offizinale, der Löwenzahn. Der Form haben die Künstlerinnen nur Richtung gewiesen, das meiste haben die Pflanzen selbst bestimmt. Der Boden der Kunstbox ist mit Erde befüllt um „ihr Leben einzuhauchen, die schwebenden Samen und die fruchtbare Erde bilden ein Spannungsfeld,“ Erklären die Künstlerinnen. Makroaufnahmen der getrockneten Pflanzen zieren die James-Joyce Passage. Diese Ausstellung kann als Kritik an der Bodenversiegelung, als Appell für die Akzeptanz eines Pflanzenbewusstseins und die Wertschätzung der Baustoffe des Lebens gelesen werden.

Carpe Diem in Feldkirch

Die beiden Photographinnen teilen das Atelier in Hohenems. Die Photographie wenden sie als Methode an, sie steht aber nicht im Zentrum ihrer künstlerischen Arbeit. Im Zentrum steht das Haptische, das Dreidimensionale. Sie sind erfahren in der Zusammenarbeit, im gemeinsamen Bespielen von Räumen, zum Beispiel die Mikwe, das rituelle Tauchbad in Hohenems. Für die Kunstbox, auf diesem grossen herausbetonierten Platz war sofort klar: Die Arbeit soll von Pflanzen handeln. Ihre Arbeit nimmt Bezug zum europäischen Stillleben, die verwelkte Blume gilt als das Vanitas Motiv, als Symbol der Zeit, der Vergänglichkeit und des Todes, ein Memento Mori – oder besser: Ein Carpe Diem! Nütze den Tag. Wenn der Tod unvermeidlich ist, sollst Du das Leben um so intensiver leben. Weitere Bezüge lassen sich herstellen zu Ikebana, der japanischen Kunst des Blumen Arrangierens, zur ökologisch orientierten Konzeptkunst, LandArt, Arte Povera mit ihrer Wertschätzung des Alltäglichen, ihrer Dekonstruktion klassischer Ästhetik. Die scheinbar wertlose Wald und Wiesenblume Taraxacus Offizinalis, der Löwenzahn, wird erhöht, gerät ins Zentrum der Aufmerksamkeit.

Betonieren Sie ihren Parkplatz?

Weil das so pflegeleicht ist und einen sauberen Eindruck macht? Ursula Dünser und Karin Nussbaumer sehen das anders. „Wir laden Sie ein, der Natur den Raum zu lassen, den wir durch Bodenversiegelung und Bebauung immer wieder einschränken.“ „Aus den Fugen“ ist nicht die Pflanze die zwischen dem Katzenkopfpflaster in Feldkirch wächst, sondern das Vorarlberger Raumplanungsgesetz. Der Versiegelungsgrad ist 58,5 %  – über die Hälfte der in Anspruch genommenen Fläche ist versiegelt. Die tägliche Neuversiegelung wird auf etwa 0,7 Hektar/ein Fussballfeld geschätzt. Klar ist: Wir entnehmen dem Lebendigen zuviel Boden. Versiegelte Böden nehmen kein Regenwasser auf, das führt zu Grundwassermangel, Verlust von Biodiversität, Hochwassergefahr. Wer versiegelt? Die Straßen Erhalter Land, Bund und Gemeinden. Politiker lieben es, Aufträge zum Strassenbau, die aus unseren Steuern bezahlt werden an Bauunternehmer zu vergeben. Wird auch entsiegelt? Der ORF berichtet am 9.September: Der Symphoniker-Platz in Bregenz ist nominiert für den grösste Betonschatz Vorarlbergs – der Preis für die grausamste Betonwüste Österreichs. Greenpeace fordert zu diesem Anlass von der Bundesregierung verbindliche Gesetze gegen Bodenverbrauch, für Entsiegelungs-Maßnahmen für Begrünung.

Kerchern Sie das Moos aus den Fugen?

Sehen Sie die Natur oft als grüne Masse anstatt einer Vielzahl genetisch verschiedener und zerbrechlicher Individuen? Dann stopp! Die Kunstschaffenden laden mit ihrem Artist-Statement die Besucher ein, „das stille Dasein, das selbst in den kleinsten Ritzen und Zwischenräumen seinen Platz findet bewusst wahrzunehmen.“ Pflanzen sind 80% der lebenden Materie. Aber sie sind uns evolutionär so fern, dass wir uns oft nicht einmal vorzustellen können, dass eine Pflanze so etwas wie eine „Lebensweise“ besitzt. Dieses Phänomen heisst „Pflanzenblindheit“. Die Botaniker sind sich einig: Pflanzen sind Subjekte, nicht Objekte. Sie haben subtile Sinne. Sie können Selbst vom Fremd unterscheiden: sie Hören, Fühlen, Sprechen. Sie Verhalten sich, Erinnern sich, haben ein Geschlechtsleben. Ein grosses Lager der Botanik teilt die Ansicht, es sein höchste Zeit, die homozentrische Begrifflichkeit von Bewusstsein und Intelligenz so zu erweitern, dass diese auch die Pflanzen umfassen.

Machen die Bäume wieder besonders viel Dreck diesen Herbst?

Bezeichnen Sie einen passiven Menschen auch mal unfreundlich als „Gemüse“? Sind Pflanzen „Nutzloses Unkraut“? „Nein!“ antworten die Künstlerinnen in ihrem Artist-Statement, „Im Gegenteil, Leben!“ Pflanzen Essen Licht. Die Pflanze, diese Chimäre aus algenähnlicher Zelle und Cyanobakterium erschafft aus Dingen die niemals lebendig waren die Zutaten für das Leben: Mit Photosynthese produzieren Pflanzen aus Licht, aus den Photonen der Sonne aus dem Weltall, Co2 und Wasser den Sauerstoff, den wir atmen und die Glucose, der Zucker, aus dem wir gebaut sind.

6 Co2+6 H2O = 6 O2 +1Glucose

Der Philosoph Emanuel Coccia schreibt, die Pflanzen erbauten unseren Kosmos “Die Welt ist vor allem das, was die Pflanzen daraus zu machen wissen.“ Das Fleisch unserer Knochen und auch die Knochen selbst tragen die Signatur der Zuckermoleküle. Unser Körper ist aus Strängen gebaut, die von Pflanzen gesponnen wurden. Jeder Gedanke, sehr geehrte Lesende, der Ihnen durch den Kopf geht, wurde von Pflanzen ermöglicht. Das ist alles erschreckend buchstäblich gemeint: Unser Gehirn wird hauptsächlich von Glukose angetrieben. Ohne ständige Zufuhr kommt es zum Erliegen. Hinter unserem Denken und allen seinen Folgen stehen Billionen von Pflanzenkörpern, die diese Welt hervorbringen. „Wir sind nicht die Herren dieser Erde.“ Schreibt die Botanikerin Mary Geniusz “Wir sind die Säuglinge in dieser unserer Familie. Wir sind die Schwächsten, die in höchstem Masse abhängig sind.“

Nach den Quellen:
Hartmut Rosa, Resonanz, eine Soziologie der Weltbeziehung 2016
Zoe Schlanger, The Light Eaters, 2024
https://www.flaechenversiegelung.at/de/bundeslaender (12.9.25)
https://vorarlberg.orf.at/stories/3320934/ (12.9.25)