Aus dem Auge

Die in Genf lebende Video-Künstlerin Luzia Hürzeler (*1976) hat verschiedentlich mit hervorragenden Arbeiten auf sich aufmerksam gemacht. Das Kunstmuseum ihrer Heimatstadt Solothurn widmet ihr nun die erste Einzelausstellung in einem Museum und ermöglicht damit die Entdeckung einer jungen Künstlerin, die nach Studien in Genf (Ecole Supérieure des Beaux-Arts) und London (Slade School of Fine Art) bereits über ein sehr eigenständiges Schaffen verfügt.

Obwohl der Videofilm Luzia Hürzelers Hauptmedium bleibt, befasst sie sich mit dem Körper als Skulptur und interessiert sich für seine Wirkung zwischen (scheinbarer) Leblosigkeit und Lebendigkeit. Damit ermöglicht sie nicht nur eine kunstimmanente Betrachtung zu den unterschiedlichen Medien, sondern stellt zugleich existentielle Fragen. Besondere Beachtung schenkt sie den spezifischen Präsentationsformen ihrer Videos und findet dabei oft installative Lösungen.

Die Ausstellung erstreckt sich über drei Säle. Neben einer Auswahl der wichtigsten Arbeiten der letzten acht Jahre wird auch erstmals eine fünfteilige Werkgruppe präsentiert, die sie während ihrem zweijährigen Aufenthalt am Istituto Svizzero in Rom (2007–2009) geschaffen hat. Im Zentrum dieser neusten Werke steht der Videofilm "Il nonno" (2009/10): In eindringlichen Bildern wird darin die Begegnung zwischen einem ausgestopften und einem lebendigen Löwen gezeigt. Dabei geht es nicht nur um Schein und Sein, sondern um die Vergänglichkeit, wie sie sich am Nebeneinander der (Tier-) Generationen zeigt. Auch die weiteren Filme unterstreichen Hürzelers Interesse für den Körper als Skulptur. So wie der Präparator aus dem Körper des toten Löwen eine lebendig erscheinende Skulptur macht, zeigt sich umgekehrt der Strassenkünstler Marcelo in "A sculpture has to remain still" (2008/09) als lebendige Skulptur, indem er eine dynamische Bewegung im Laufe anhält und fast eine Stunde lang in ihr verharrt.

Dialektisch zu den kaum sichtbaren Bewegungen Marcelos kann der Videofilm "I always" (2009) stehen, in dem ein illegaler Strassenhändler im geschützten Rahmen eines Innenhofs seine Fluchtbewegungen vor der Polizei nachstellt. Viele von Hürzelers Arbeiten sind von einem fast wissenschaftlichen Interesse motiviert, "hinter die Kulissen" zu sehen. Es ist daher bezeichnend, dass sie mit den Akteuren der erwähnten Filme auch Interviews geführt hat. Bei den vorerst dokumentarisch anmutenden Aufnahmen interessiert sich die Künstlerin ebenso sehr für die auffallende Gestik und für die Frage, wie "natürlich" man sich bei Filmaufnahmen überhaupt zeigen kann. Natürlichkeit und Künstlichkeit, Spiel und existentielle Not sind in dichter Weise miteinander verwoben. Die Thematik von Schein und Sein wird auch durch die Präsentation der Filme unterstrichen: Sie werden auf grosse hölzerne Bildwände projiziert, deren Gestalt an Potemkinsche Dörfer erinnert. Ebenso leitmotivisch ist die Beschäftigung mit der Zeit: Mit dem bewegten Medium ihrer auffallend langsamen Videos schafft sie gleichsam "Zeit-Skulpturen".

Im grossen Quersaal sind vier Arbeiten zusammengefasst, die in zirkulären Kompositionen Öffnen und Schliessen thematisieren. Als Grossprojektionen begegnen sich u.a. die Werke "L’occhio del Pantheon" (2008) und "Closing Eye" (2002): Die kreisrunde Öffnung des Römer Pantheon lässt Gläubige und Touristen gebannt nach oben schauen. Der intensive Wunsch, die Blickrichtung für einmal umzukehren, um den Kirchenraum aus dem "göttlichen Auge" zu sehen, hat die Arbeit "L’occhio del Pantheon" motiviert. Mit dem Eye der zweiten Arbeit ist das "Auge" einer Kamera gemeint, das sich, von einem aufgehenden Teig umgeben, zunehmend schliesst. Die Linse der laufenden Kamera ist auf einen Spiegel gerichtet; Hürzelers Video zeigt das sich zunehmend verdunkelnde Spiegelbild. Die Thematik der Selbst-Bespiegelung wird im letzten Saal mit Hürzelers Selbstbildnissen aufgenommen. Die Monitore der präsentierten Videos sind (fast wie eine Ahnengalerie) auf Sockel gestellt und verdeutlichen den skulpturalen Hintergrund der Werke. Sprechend ist etwa die Arbeit "Selbstporträt für die Katz" (2006), die Hürzelers eigene Büste zeigt. Sie besteht aus Katzenfutter, das von der eigenen Katze kontinuierlich aufgefressen wird. Kritisch und humorvoll hinterfragt die Künstlerin den Wunsch nach Selbsterkenntnis und den Ewigkeitsanspruch der Kunst. Christoph Vögele

Luzia Hürzeler. Aus dem Auge

6. März bis 16. Mai 2010