Aufbruch zum Mond - First Man

13. November 2018 Walter Gasperi
Bildteil

Damien Chazelle zeichnet Neil Armstrongs Weg zum ersten Flug zum Mond nach. Statt ein Heldenbild aufzubauen, schlägt er dabei aber überraschend nachdenkliche Töne an und lässt durchaus auch Zweifel an der Sinnhaftigkeit des Wettlaufs um das All aufkommen.

Neil Armstrongs legendärer Satz "Das ist ein kleiner Schritt für einen Menschen, ein riesiger Sprung für die Menschheit" darf selbstverständlich in diesem Film nicht fehlen, doch bis er fällt dauert es gut zwei Stunden und dann spricht ihn Ryan Gosling auch noch einstudiert und gefühllos, dass ihm alles Pathetische ausgetrieben wird. Das Hissen der US-Flagge auf dem Trabanten der Erde wird dann gleich ganz ausgespart.

Noch weniger als bei der Mondlandung verfällt Damien Chazelle aber bei der Beschreibung des Wegs dorthin in Patriotismus und Heroisierung des US-Weltraumprojekts. Kurz gehalten sind die Momente, in denen sich aus dem Weltall ein phantastischer Blick auf die Atmosphäre oder die Erde eröffnet, wesentlich zahlreicher sind die Momente extremer Angst.

Schon in der ersten Szene setzt Chazelle den Zuschauer quasi ins Cockpit von Neil Armstrongs (Ryan Gosling) Testflugzeug, lässt ihn die klaustrophobische Enge, die Angst, die das enorme Vibrieren, Dröhnen und Rattern und die damit verbundene Unkontrollierbarkeit der Maschine auslösen.

Harmlos wird sich dies im Flugsimulator wiederholen, bedrohlicher ist schon ein Test für die Mondlandung, alptraumhaft ein Andockmanöver an eine andere Rakete, das in eine Katastrophe zu münden droht. Aber auch schon vor dem Start kann diese eintreten, wie sich 1967 beim Brand der Apollo 1 in Cape Canaveral zeigte, bei dem drei Astronauten in der Kapsel verbrannten.

In all diesen Szenen zielt die Inszenierung auf Immersion ab. Virtuos nutzt Chazelle Bild- und Tonsprache, um den Zuschauer mitten ins Geschehen zu versetzen, Unwohlsein und Beunruhigung auszulösen und den Kontrollverlust beklemmend zu vermitteln.

Statt Erfolge stehen so auch immer wieder Verluste im Zentrum – den ersten und persönlichsten erlebt Armstrong freilich gleich am Beginn, wenn seine kleine Tochter 1962 an einem Gehirntumor stirbt. Nie wird er darüber reden können, wird den Schmerz immer mit sich tragen.

Als schweigsamen trauernden Mann, der nach diesem Verlust auch keine rechte Beziehung zu seiner Frau (Claire Foy) mehr findet, spielt Ryan Gosling diesen Charakter, der sich sogar davor drücken will, sich vor dem Mondflug von seinen Söhnen zu verabschieden. Als er dies doch tut, fällt die Szene steif und unpersönlich aus, zu mehr als einem Händedruck ist er nicht fähig.

Nur über seine Arbeit scheint er sich definieren zu können, nur diese scheint ihn am Leben zu halten. Erst bei der Mondlandung wird er so auch – in einer freilich erfundenen Szene – seine tote Tochter loslassen und befreit über die Mondoberfläche springen können.

So erzählt Chazelle im Kern eine private Geschichte von schwerem Verlust und dem langen Weg darüber hinwegzukommen, aber auch - wie schon in "Whiplash" und seinem Oscar-Erfolg "La La Land" - vom Streben eines Mannes nach einem übergroßen Ziel. Konsequent spielt Chazelle dabei mit dem Spannungsfeld von menschlicher Befindlichkeit und Weite des Alls. Immer wieder zeigt er in Parallelmontage die gefährlichen Tests und seine zu Hause angstvoll wartende Frau.

Aber auch die Angst Armstrongs macht er immer wieder eindrücklich erfahrbar. Zentral sind hier die zahlreichen Detailaufnahmen vom angstvollen Blick des Astronauten aus seinem Vollvisierhelm. Selten sah man in einem Film so häufig solche Detailaufnahmen der Augenpartie, ganz nah ist Chazelle immer wieder an Armstrong oder auch an seiner Frau Janet, wobei diese Aufnahmen wieder im markanten Gegensatz zur Weite des Alls stehen.

Wie man in diesen Blicken Reverenzen an ähnliche Bilder in den Filmen Stanley Kubricks, vor allem natürlich in "2001" sehen kann, so erweist Chazelle auch beim Test des Andockens an ein anderes Raumschiff durch den Einsatz eines Walzers Kubrick die Verehrung. Mit dem 1999 verstorbenen Meisterregisseur verbindet "Aufbruch zum Mond" aber auch der kalte Blick. Nur in einer Szene tanzt die Handkamera förmlich befreit und beschwört ein Familienglück, ansonsten dominieren kaltes weißes Licht und kalte Blautöne.

Für eine Hommage an das US-Weltraumprojekt der 1960er Jahre eignet sich so eine Ästhetik freilich so wenig wie die nüchterne und kühle Erzählweise, die durch Zeit- und Ortinserts zu den einzelnen Ereignissen noch verstärkt wird. Mit Armstrong als Trägerfigur fokussiert Chazelle ganz auf den Weg zum ersten Mondflug und spart den gesellschaftlichen Kontext abgesehen von einer markanten Szene aus.

Denn da gibt es den Moment, in dem über Nachrichten der Vietnam-Protest ebenso in den Film einfließt, wie in einer Fernsehsendung mit Gil Scott-Herons Song "Whitey on the Moon" der Protest gegen die enormen Ausgaben für die Weltraumforschung, während man das Geld doch auch für ein lebenswertes New York oder die Linderung der Not der am Existenzminimum lebenden Afroamerikaner investieren könnte.

Wie mit den zahlreichen menschlichen Opfern des Weltraumprojekts so stellt Chazelle auch mit diesem finanziellen Aspekt die Sinnhaftigkeit des ganzen Unternehmens in Frage. Da mögen dann am Ende auch Armstrong und Edwin "Buzz" Aldrin fast schwerelos über die Mondoberfläche springen, die weite graue Gesteinswüste legt doch nahe, dass man das Geld besser verwenden hätte können.

Überraschend rasch springt Chazelle nach der erfolgreichen Mondlandung auch wieder auf die Erde und zur weltweiten medialen Berichterstattung zurück, um den Film dann doch wieder sehr nachdenklich und leise mit einer Begegnung von Armstrong und seiner Frau zu beenden. – Wenn sie dabei aufgrund seiner Quarantäne durch eine Glasscheibe getrennt sind, stellt sich freilich die Frage, ob dies auch ein Bild für emotionale Distanz ist, auch wenn ihre Finger zögerlich jeweils die Scheibe berühren – wirklich miteinander kommunizieren scheinen sie weiterhin nicht zu können.

Läuft derzeit im Cineplexx Hohenems und im Kino Rio in Feldkirch

Trailer zu "Aufbruch zum Mond - First Man"