Im Kunstraum Remise Bludenz sind vom 21.März bis zum 5. April die Werke von zwölf Vorarlberger Kunstschaffenden zu sehen. Dies ist die Präsentation des zweiten Teiles der Werke, die Andrea Fink und Isabella Marte 2024 – im letzten Jahr ihrer Tätigkeit – im Auftrag des Landes Vorarlberg für die Sammlung des Vorarlberg Museums angekauft haben. Die Kuratorin Luka Jana Berchtold hat sich für die Präsentation auf weiss glänzendem Tanzboden entschieden.
Neun Jahre Transparenz in Bludenz
Dass die jährlichen Ankäufe des Landes der Öffentlichkeit präsentiert werden, ist keine Selbstverständlichkeit. Die Werke gingen 41 Jahre in die Sammlung ein, ohne zuvor gezeigt zu werden. Gepflegt wird die Praxis der öffentlichen Präsentation seit neun Jahren aufgrund der Initiative von Wolfgang Maurer, Obmann des Vereines Allerart und Andrea Fink, damals Kuratorin des Bludenzer Kunstraums. Gemeinsam mit dem Vorarlberg Museum und der Kulturabteilung des Landes entwickelte Allerart das heute etablierte Format.
Die öffentliche Präsentation der Ankäufe erlaubt Transparenz und Diskurs: "Kunst lebt davon, gesehen zu werden, die Künstler:innen verdienen es, öffentlich gezeigt zu werden," betont Wolfgang Maurer. "Die Vorarlberger:innen bekommen die Gelegenheit, einen Einblick zu bekommen, was ihre Kunstschaffenden aktuell beschäftigt. Und die Ankäuferinnen erhalten eine Bühne für Ihre Arbeit, müssen sich aber auch in einem gewissen Masse öffentlich rechtfertigen." Aus Sicht der Künstler:innen bietet sich die Möglichkeit, einander kennen zu lernen und sich zu vernetzen – beim gemeinsamen Ausstellen und bei der Präsentation des drei Jahre umfassenden, in Arbeit befindlichen Kataloges 22-24, der am 17.6. im Vorarlberg Museum vorgestellt werden wird.
Die Qual und die Lust der Wahl
Die Wahl sei nicht immer einfach gewesen, die Entscheidungen für oder gegen Ankauf seien ohne Schwerpunktsetzung getroffen worden, "wir waren sehr frei, unser Wissen und unsere Erfahrung einbringen zu können, auch unsere persönlichen Vorlieben," beschreibt Isabella Marte ihre Tätigkeit. "Wir haben versucht, mit der größten Offenheit den Künstler:innen und ihren Werken zu begegnen, und eine Ausgewogenheit der Genres herzustellen." Andrea Fink ergänzt: "Es war uns wichtig, Verläufe und auch Brüche im Schaffen aufzuzeigen, neue Künstlerinnen und Künstler in die Sammlung zu integrieren und dem performativen Bereich im Rahmen der Ausstellung Raum zu geben – dies immer im Denken aus der Sammlung heraus."
Eine Rundumschau
Dem Stahlobjekt "Move II" von Ilse Aberer liegt die geometrische Form des Quadrats zugrunde, das nach den Regeln des Goldenen Schnitts viergeteilt wurde. Sie beschäftigt Raum und Zwischenraum, Bewegung und Stillstand: „Ich habe die Ausgangsfläche von einem Quadratmeter nach strengen mathematischen Gesetzmäßigkeiten geteilt und in die dritte Dimension transformiert,“ erklärt die Künstlerin. "Durch das Hochziehen der Flächen entsteht Räumlichkeit, aber auch der Eindruck einer eingefrorenen Bewegung als Momentaufnahme. Die vier Objekte können in unzähligen Variationen spielerisch an Wand und Boden installiert werden und lassen je nach Anordnung die strenge Grundform des Quadrates nicht mehr erkennen. Jedes Teil steht einzeln für sich, doch aus der Zusammenschau ergeben sich unzählige Konstellationen, die die Beziehung untereinander und zum Ganzen thematisieren."
In den Werken der Serie "Hi from…" dekonstruiert Sarah Bechter die Wahrnehmungserfahrung der Betrachter:innen: "Die Gemälde beobachten uns, während wir sie betrachten. Die ästhetische Erfahrung wird umgekehrt, Subjekt- und Objektrollen werden radikal hinterfragt. Doch, wessen Augen sind es, die unseren Blick erwidern? Was möchten sie uns mitteilen? Wodurch ist unser Blick geprägt? Welche Machtverhältnisse spiegelt er wieder?“ fragt Sarah Bechter. In „Hi from Artemisia Gentileschi,“ „Hi from Florine Stettheimer,“ „Hi from Lïos Mailou Jones“ und „Hi from Paula Modersohn-Becker“ zitiert Bechter Augenpaare aus Selbstporträts bedeutender, jedoch von der Kunstgeschichte unterrepräsentierter Malerinnen in Öl/Tinte auf Leinwand und einem Format von 45x30 cm. „Indem ich diese Augen extrahiere, mache ich den Akt des Betrachtens selbst zum Thema, während ich gleichzeitig Raum für die genannten Malerinnen schaffe. Dies dient nicht zuletzt dazu, die männlich dominierte Narration der (Kunst)geschichtsschreibung entschieden in Frage zu stellen.“
Melanie Berlinger arrangiert in "Mapping my setting“ Fundstücke, die sie 2013 in Wien in der Tradition der „Spaziergangwissenschaftler:innen“ gesammelt hat unter Glas und auf einem schwarzen, länglichen Tisch. „Jedes der Fundstücke wurde stark vergrößert in einer Zeichnung dargestellt, wobei der genaue Fundort mit Uhrzeit und Adresse zusätzlich auf den Fundstückboxen vermerkt wurde.“, erklärt die Künstlerin. Drei Radierungen aus der Serie „Lamiaceae“– drei Blüten des Johannisbeer-Salbeis – sind nun ebenfalls in der Sammlung vertreten. Spaziergang, Fund, Installation und Dokumentation eröffnen einen Weg zur bewussten Wahrnehmung von Raum und Zeit: „… es geht um das achtsame Wahrnehmen, das über das bloße Sehen hinaus zum Erkennen führen soll.“
Mit Schlagringen bestückte Hände sind das zentrale Motiv der Fotografie „hellsbells. vanité. Neijiaquan.“ "Die Silberringe tragen Totenkopfsymbole, Attribute der Metal-Szene, generiert aus einer barocken Vanitas Symbolik,“ erklärt das Künstlerinnen Duo Gabriele Fulterer und Christine Scherrer. Im Kontext dieser Arbeit zitiert das Duo eine Strophe von AC/DC: „I’m a rolling thunder, a pouring rain, I’m comin‘ on like a hurricane, my lightning’s flashing across the sky, you’re only young but you’re gonna die.“ Setzt hier eine mit Ringen bewehrte, geballte Faust gleich zu einem gezielten Schlag an? Doch „Neijiaquan“ ist der chinesische Begriff für die inneren Kampfkünste. Vielleicht verschliesst sich die Faust „um einen ganz anderen Kampf, einen inneren Kampf zu führen. Die Silberringe könnten auch als Schutzschild dienen.“
Der "Hocker Nr. 2“ des Bildhauers Mathias Garnitschnig besteht aus dem quadratischen Beton-Abflussrohr eines Kanals und einem Kissen. Die beiden Objekte fügen sich trotz ihrer Unterschiede "in Symbiose“ (Zitat Andrea Fink) zu einem stimmigen Ganzen. Ist das Objekt wirklich ein Hocker, ein Gebrauchsgegenstand, wie der Titel vermuten lässt? "Die Sitzskulptur verspricht mehr, als sie einhält,“ stellt der Künstler fest: „Man erwartet eine weiche, bequeme Oberfläche und wird dann erst mal enttäuscht,“ denn das Kissen ist hart.
"Eine Skulptur mit allen Sinnen zu erfahren finde ich faszinierend. Auch beim Sitzen fühlt man die Materialität und die Form. – Aber dieses Objekt ist eben kein Hocker, es ist eine Skulptur, auf die man sich halt auch setzen kann. Der Benutzer soll die Materialität spüren … deswegen ist die Skulptur auch so unbequem.“ Das Objekt stammt aus einer Werkreihe von Mathias Garnitschnig, in der sich der Künstler mit organischen Formen und technischen Infrastrukturen beschäftigt.
Christian Helbocks persönliche multimediale Installation „Pipeline. Die Gewalt des Zusammenhangs“ ist aus dem Bedürfnis entstanden, seinen Erinnerungen näher zu kommen und einen künstlerischen Blick auf seine Kindheit in den 1960er Jahren zu werfen. Er spürt mittels Familienfotos und dokumentarischen Bildern aus jener Zeit einer „verborgenen Geschichte“ rund um eine nächtliche Autofahrt an die Pipeline und ans Bodenseeufer nach.
Aus dem 22-minütige Kurzfilm "Das Resort“ von Mathias Kessler gelangen zehn Fotografien im Format A5 in die Sammlung. Der mehrfach ausgezeichnete Kurzfilm wurde während der Corona-Pandemie in verlassenen Schigebieten und von Leere beherrschten Dörfern aufgenommenen. Er setzt sich kritisch mit dem komplexen Verhältnis von Mensch und Natur auseinander. Mathias Kessler fasst den Film folgendermaßen zusammen: „Ein namenloser Erzähler in einem kleinen Bergdorf betrachtet sein Leben an drei verschiedenen Zeitpunkten: während Kindheit, als junger Erwachsener und in hohem Alter … nichtlineare Erinnerungen an seinen lange verschollenen Vater, und die Ereignisse in einer von Viren heimgesuchten, dystopischen Welt nehmen Gestalt an. Die erschöpfende und introspektive Suche führt ihn schließlich zurück an den Ort seiner schönsten Kindheitserinnerung.“
Liddy Scheffknecht verwendet eine am Fenster angebrachte Schablone mit dem Wort "soon", um mit direktem Sonnenlicht ihre „Lichtbilder im Raum“ zu zeichnen: "Alle zehn Minuten wurden die Konturen des Wortes auf einem mit rosa Wachskreide angemalten Blatt nachgezeichnet,“ erklärt die Künstlerin. „Das abstrakte Versprechen soon verbleibt als Dokument einer stetigen, nicht enden wollenden Verschiebung. Zwanzig Tage später wurde ein zweites Blatt an genau dieselbe Stelle ins Zimmer gelegt und der Prozess wurde wiederholt.“ So entstanden die beiden Arbeiten „soon (before and later), 2020“ in einem Format von 70x100 cm, in die „neben der Erdrotation auch die Erdrevolution eingeschrieben ist."
Das Gemälde in Aussendispersion auf Leinwand von Lorenz Helfer zeigt einen überlebensgrossen, sitzenden Mann in oranger Hose und rosarotem Shirt am Schuhbinden in einem Format von 250x220cm. Dieses Motiv und diese Farbe begleiteten Helfer für längere Zeit und in unterschiedlichen Werkreihen, so exerzierte der Künstler seine Farbexperimente durch. "Das Bild ist stellvertretend für meinen zweijährigen Exkurs in die Dispersionsfarbe." Diese sperrige, schwierige Farbe erlaube keine Verläufe und keine Tiefen in den dunklen Tönen, als Maler sei man dadurch stark eingeschränkt und könne sich so besser auf die Farbkombinationen konzentrieren. "Ich habe alle Farben aus den drei Grundfarben und Weiss gemischt.“ Und warum diese Thematik? „Schuhbinden ist eine alltägliche, banale Tätigkeit die jeder kennt, die kaum wahrgenommen wird und die uns alle verbindet – darin steckt Poesie meine ich. Ich möchte mit meiner Malerei keine Aussagen tätigen und wähle Motive, die weit weg sind von Pathos, von grossen Inhalten, grossen Gesten und Bedeutungen“. Es verbleibe jedoch: die Grösse des Formates.
"TAU" von Hubert Matt ist eine "doppelsinnige Doppelarbeit“, die mit Wortbedeutungen und Referenzen spielt. Sie besteht aus einem Leinwandbild und einem Objekt aus Holz und Draht. "Während die der Malerei zugeordnete Leinwand das bedeutungsreiche Wechselspiel zwischen Text und Bild darstellt, zeichnet das Wortobjekt das Behältnis einer Flasche.“
Drago Persic malte seinen "Versuch eines stillen Bildes“ in Öl auf Leinwand auf 50x40 cm. Der Maler arbeitet seit längerer Zeit an drei Werkgruppen, die mit "Vorhang“, "Farbe“ und "Wasser“ umschrieben werden können. Auf seinem täglichen Weg ins Atelier quert der Künstler die Donau und schaut auf den Fluss. „Die Falten eines Stoffes und die Oberfläche von Wasser haben eine ähnlich faszinierende Wirkung auf mich,“ erklärt der Künstler. Er spricht von der „Stofflichkeit des Wassers, von seinem lebendigen Spiel“. Persics stilles Bild gehört zu den narrativen Wassern. Der Künstler sammelt Motive, nicht alle davon seien haltbar, manche "verweigern das grössere Format“. Persic erlebt den Widerstand, die Unvermittelbarkeit von Material und Technik, das Werk mache sich manchmal selbständig, es sei resonant. Als Bildvorlage für dieses Werk diente dem Künstler eine alte Fotografie mit einer "Frau, die vom dahinfließenden Wasser und der Zeit wie ein Vorhang umschlossen wird.“ Die Wasserfläche hat Persic mittels KI vergrössert. "Es gefällt mir, wenn technische Möglichkeiten etwas Neues anregen.“ Bei näherer Betrachtung erkennt man, dass das auf Distanz monochrom scheinende Gemälde sehr farbig ist. "Kobaltviolett, türkis, Schattenfarben! Die Arbeit im Studio ist ein Traum," sagt Drago Persic, und "Schwarz verwende ich nie!"
Rafaela Pröll hat während der Pandemie und der Lockdowns, die sie (vermeintlich) zur Untätigkeit zwangen, begonnen, sich selbst zu fotografieren: "…in Designermode, die ich von Kunden und befreundeten Designern borgte. Manchmal hielt ich nur meine Stimmungen fest, um meine Angst und Bedrücktheit zu ventilieren..." Prölls Selbstportrait „me on a horse“ 2020 in einem Format von 150x 225 cm ist für Andrea Fink ein "kreativer Ausdruck des Selbst“. Im magentafarbenen Outfit des Stylisten Simon Winkelmüller lichtet sich die Fotografin bei einem nächtlichen Ausritt ab – in Eigenregie, mit Selbstauslöser und voller Würde – auf dem Rücken einer "brutalistisch und überdimensinal wirkenden Pferdeskulptur."
Raus aus der Schatzkammer!
Die angekauften Werke werden natürlich mit Handschuhen behandelt. "Das Landesmuseum ist angewiesen auf die Kunstankäufe, da wir kein eigenes Budget haben, zeitgenössische Kunst anzukaufen," erklärt dazu Cornelia Mathis-Rothmund, die die Erwerbungen seitens des Museums betreut. "Den Weg aus dem Depot finden die Werke wieder für kuratierte Ausstellungen des Landesmuseums oder wenn es einen Antrag der Landesdienststellen gibt, um Kunst in den Büroräumen zu zeigen. Die Kunstschaffenden können ausserdem ihr eigenes Werk ausleihen für externe Ausstellungen. Wir sind eine grosse Schatzkammer,“ betont sie.
Mit viel Herzblut
Die Landesabteilungsvorständin für Kunst und Kultur Claudia Voit betont die ausgezeichnete Zusammenarbeit „mit viel Herzblut“ zwischen dem Verein AllerArt, dem Landesmuseum, den Ankäuferinnen und der Kulturabteilung des Landes – unter der Koordination von Susanna Koch – die diese zweiteilige Ausstellung möglich macht. Sowohl aus historischer Sicht also auch in Anbetracht der beiden gut besuchten Ankaufsausstellungen scheint es wünschenswert, der Bludenzer Initiative treu zu bleiben und dieses außergewöhnliche Format weiterhin hier zu präsentieren.
Kunstankäufe des Landes Vorarlberg - Teil 2
Kunstraum Remise, Bludenz
Bis 5.4.2025