Auf der Suche nach Istanbul heute

Mit der Ausstellung "Zeichen, gefangen im Wunder. Auf der Suche nach Istanbul heute" präsentiert das MAK eine einmalige, gegenwärtige Momentaufnahme zeitgenössischer Kunstproduktion im Kontext Istanbuls. Werke von KünstlerInnen aus drei Generationen, geboren in den 1930er bis 1980er Jahren, skizzieren eine erfinderische Erzählung zur Kultur und die Geschichte einer facettenreichen, von europäischen, orientalischen und asiatischen Einflüssen geprägten Metropole und verwandeln die MAK-Ausstellungshalle in ein subtiles Stimmungsbild zu Istanbul.

Narration als Thema der zeitgenössischen Kunst ist, ausgehend von der Relevanz von Literatur für das Entstehen kollektiver Vorstellungen über fremde Kulturen, das bestimmende kuratorische Moment der Ausstellung. Inspirationen für diese Herangehensweise beziehen die AusstellungskuratorInnen insbesondere aus einem Aufsatz des Kulturwissenschaftlers Homi K. Bhabha, der den Moment des Wunders und des Erstaunens beim Kennenlernen einer neuen, fremden Sprache und Kultur beschreibt. Ähnlich analysiert Franco Moretti in seinem Buch Signs Taken for Wonders (London, 1983) die Relation von Weltliteratur, Kultur und "Weltbildern". Verweise dazu finden sich auch in Texten der türkischen Schriftsteller Orhan Pamuk oder Mario Levi sowie internationaler Literaten wie Pierre Loti.

Zeichen, gefangen im Wunder präsentiert singuläre künstlerische Welten, entstanden in einer Zeit rasanter Globalisierung. Vorgestellt werden Werke, die sich mit Innenschau, persönlicher wie visionärer Narration und Dialog auseinandersetzen und eine weitreichende äußere und innere Bewegung und Wandlung dokumentieren. Dabei finden Arbeiten türkischer KünstlerInnen ein synergetisches Gegenüber in Beispielen internationaler Gegenwartskunst, die das kulturelle Gedächtnis Istanbuls beleuchten. "Auf der Suche nach Istanbul heute" wird von KünstlerInnen reflektiert, die in dieser Stadt leben und arbeiten (einschließlich internationaler Auswanderer), türkischen KünstlerInnen, die im Ausland leben, sowie internationalen KünstlerInnen.

Im Mittelpunkt der Ausstellung steht eine Intervention des mit dem Nam June Paik Award 2012 ausgezeichneten Künstlers Cevdet Erek. In der zentralen, durch eine spezielle Oberlichtkonstruktion illuminierten Ausstellungshalle entwickelt er eine minimalistische, raumgreifende Installation. In Anspielung auf die Geschichte und bauliche Struktur des Museums erklärt Erek das Tageslicht zum gestalterischen Medium und schafft durch eine ephemere Architektur ein metaphorisches Statement, das sein immanentes Interesse an Raum und Rhythmus verdeutlicht. In der Fülle der künstlerischen Ansätze der Ausstellung spiegeln sich der Auftrag des MAK als universelles Museum für angewandte Kunst und der hier verfolgte grenzüberschreitende Dialog und Austausch zwischen angewandter Kunst, Design und Architektur sowie bildender Gegenwartskunst wider. Präsentiert werden Arbeiten, die sich mit Keramik, Textil, Design, Architektur sowie unterschiedlichen Produktionstechniken (Installation, Malerei, Skulptur, Fotografie oder Film) beschäftigen.

Eine großzügige Installation zeigt etwa Emre Hüner mit der Arbeit "A Little Larger Than the Entire Universe" (2012), die die Welt aus Relikten diverser Kulturen nachbildet und zuvor im Rahmen der Manifesta 9 zu sehen war. Seine Referenzen an das NASA-Space-Shuttle-Programm, an Skulpturen aus Keramik nach dem Vorbild der Natur oder an einfaches Werkzeug fungieren als Schnittstelle zwischen Wissenschaft, Fortschritt und Utopie. Der deutsche Künstler Marcel Odenbach dokumentiert dagegen in einer filmischen Arbeit ein traditionelles männliches Ritual. In "Männergeschichten 1" (2003) zeigt er, untermalt mit Szenen der Stadt Istanbul und historischen Verweisen, das Rasieren beim Barbier.

Spannende neue Kontexte eröffnen unter anderem die Künstlerinnen Füsun Onur und CANAN, die in ihren Arbeiten traditionelle Kunstfertigkeiten und gegenwärtige Produktionstechniken miteinander verbinden. Speziell für die MAK-Ausstellung plant Füsun Onur eine Skulptur bestehend aus handgefertigter Perlenstickerei. Onur, die in ihrer Kunst spielerisch mit der Bewahrung der eigenen Weltsicht und der Betrachtung von Kunst ohne ideologische Vorzeichen umgeht, nimmt als Vertreterin der feministischen Avantgarde eine wichtige Rolle in der türkischen Gegenwartskunst ein. Im Stil traditioneller Mogul-Miniaturmalerei erzählt die Künstlerin CANAN in der Videoanimation "Ibretnüma/Exemplary" (2009) die Geschichte einer jungen Frau vor dem Hintergrund moralischer Vorstellungen des Islam im 20. Jahrhundert und thematisiert dabei auch Brüche in ihrem eigenen bewegten Leben.

Teilnehmende KünstlerInnen: Hamra Abbas / Murat Akagündüz / Yeşim Akdeniz / Eylem Aladoğan / Meriç Algün Ringborg / Hüseyin Bahri Alptekin / Halil Altindere / CANAN / Asli Çavuşoğlu / Cengiz Çekil / Banu Çennetoğlu / Mutlu Çerkez / Antonio Cosentino / Canan Dagdelen / Lukas Duwenhögger / Erdem Ergaz / Cevdet Erek / Murat Gök / Nilbar Güreş / Sibel Horada / Emre Hüner / Aki Nagasaka / Olaf Nicolai / Marcel Odenbach / Füsun Onur / Ahmet Öğüt / Mario Rizzi / Nasra Şi-mes / Güneş Terkol / Erdem Taşdelen / Cengiz Tekin / İrem Tok / Uygur Yılmaz.

Zeichen, gefangen im Wunder
Auf der Suche nach Istanbul heute
23. Januar bis 21. April 2013