Art = Life = Art

Am 15. März 2012 eröffnete das Museion – Museum für moderne und zeitgenössische Kunst in Bozen die Ausstellung "Art = Life = Art. Dada > Fluxus". Gezeigt werden mehr als 100 Arbeiten aus der Sammlung des Museion. Die Mehrzahl dieser Werke stammt aus dem im Museion als Dauerleihgabe verwahrten Bestand des "Archivio di Nuova Scrittura" von Paolo Della Grazia. Ergänzt wird "Art = Life = Art" mit der Ausstellung von etwa 30 Künstlerbüchern im Museion und in der Bibliothek der Freien Universität Bozen. Die Ausstellung fällt in das Jahr des fünfzigsten Jubiläums des Wiesbadener Fluxus-Festivals von 1962, das gemeinhin als Geburtsstunde der Fluxus-Bewegung gilt.

Die von Andreas Hapkemeyer kuratierte Ausstellung zeigt Schlüsselelemente, die den Dadaismus der 20er und 30er Jahre mit der Fluxusbewegung der sechziger, siebziger und achtziger Jahre verbinden. Bei "Art = Life = Art" handelt es sich um eine mehrteilige Ausstellung im Raum der Studiensammlung. In ihrem Zentrum steht eine kompakte Präsentationsstruktur, die eine größere Anzahl von Papierarbeiten auf kleinstem Raum zugänglich macht. Diese Arbeiten sind in vertikal beweglichen Rollkästen wie in einem großen Kunstbaukasten montiert. Jeder Besucher hat also die Möglichkeit, sich seine eigene Ausstellung zusammenzustellen, indem er die gegenüber- und nebeneinander stehenden und in mehreren Schichten angeordneten Kästen einfach nach Belieben hoch- und herunter schiebt.

Dadaismus und Fluxus eint die Aufhebung der Grenzen zwischen Kunst und Nicht-Kunst, zwischen Kunst und Leben, zwischen Kunstobjekt und Kunstprozess und zwischen spielerischer und politischer Kunst. 1916 stellt der Dadaismus den Kunstbegriff in Frage – und beeinflusst mit dieser "rebellischen" Haltung Anfang der sechziger Jahre auch die Fluxuskünstler. Die Ausstellung im Museion beginnt mit der berühmten "Boîte-en-valise" von Marcel Duchamp – mit einer Installation, die in den dreißiger Jahren in einer limitierten Auflage entstand und 1961 vom Künstler selbst reproduziert wurde.

Duchamp stellt sechzig seiner bedeutendsten Arbeiten als Miniaturen in diese "Kofferbox", seine spätfuturistischen Bildern etwa oder das bekannte Urinal. Mit dieser "Miniatur-Sammlung" fragt der Künstler nach dem Unterschied zwischen Kunst und Nicht-Kunst, Original und Kopie, aber auch nach dem, was ein Museum ausmacht. "Boîte-en-valise" ist ein Beispiel für die vielen im Rahmen dieser Ausstellung präsentierten ready mades und Auflagenwerke, die typisch sind für Dada und Fluxus. Ready mades (auf deutsch etwa: "bereit zum Gebrauch") sind Alltagsgegenstände, die ironisch zu Kunstwerken umgedeutet werden. Auflagenwerke sind Arbeiten, die gleich in mehreren Exemplaren vorliegen. Beide Werk-Gattungen verweigern sich ganz bewusst dem Konzept des unersetzbaren und wertvollen Original-Kunstwerks.

Kunst ist hier also nicht das Produkt handwerklicher Meisterschaft sondern einer intellektuellen Operation des Künstlers. Dann können auch ein Brötchen oder ein Stück Gebäck Teil von Kunstwerken werden. Und genau das geschieht mit den Brioches in Meret Oppenheims Werk "Zwei Mütter" (1959) oder mit den auf Philip Corners "Plate for a piece of reality" (1992) montierten Brötchen. Beide Arbeiten belegen die Bedeutung des Essens und des Essbarem in der Fluxusbewegung – Alltag und Kunst finden hier im Mahl zusammen. Weitere Beispiele für diese Grenzüberschreitung sind Daniel Spoerris Fallenbilder oder Joseph Beuys‘ von Klaus Staeck verlegtes Werk "Wirtschaftswert Speisekuchen".

Noch einmal: Diese Ausstellung stellt ein Beziehungsnetz zwischen verschiedenen Künstlern und Werken her. Zu nennen wäre Franco Vaccaris Bezugnahme auf Kurt Schwitters, der mit literarischen Werken vertreten ist. Klaus Staeck, der in den siebziger und achtziger Jahren in Westdeutschland mit seiner Plakatkunst agiert, ist ein Nachfolger von John Heartfield, der die Collage in den zwanziger und dreißiger Jahren als Waffe gegen Deutschnationale und Nationalsozialisten eingesetzt hatte. Die Ausstellung zeigt das mit "Ein gefährliches Eintopfgericht" (1934) und "Lehre des Wolfes" (1935).

Viele Fluxuskünstler haben eine enge Beziehung zur Musik entwickelt. Deshalb spielt die Dimension des Klanglichen in den Werken von John Cage oder Giuseppe Chiari eine zentrale Rolle. Dazu gehört natürlich auch die Neudefinition von Musik: "La pioggia è rumore ma è musica" ("Regen ist Lärm aber auch Musik", Giuseppe Chiari). Um Musik geht es auch in den Künstlerbüchern von John Cage, Joe Jones und Philip Corner. Unter den Büchern befindet sich die 1992 anlässlich der gleichnamigen Ausstellung im Museion herausgegebene Mappe Fluxers mit Arbeiten von 12 Künstlern.

Die Bibliothek der Freien Universität Bozen zeigt zwei Buchschwerpunkte: Eine "dadaistische" Ausstellungssektion besteht aus vier Büchern von Duchamp, darunter auch "The bride stripped bare by her bachelors, even", eine typografische Transkription der Texte aus "Boîte verte". Der zweite Teil setzt sich aus Büchern des Fluxus-Künstlers und Duchamp-Nachfolgers Dieter Roth zusammen. Diese Arbeiten enthalten Zeichnungen, Collagen, Texte und Zeitungsartikel, die sich auf banale Alltagsereignisse beziehen – was hier zählt ist der kreative Prozess, oder: der Entwurf einer Kunst, die Leben sein will.

Künstlerliste: Erik Andersen, Joseph Beuys, George Brecht, John Cage/Calvin Sumsion, Christo, Giuseppe Chiari, Philip Corner, Marcel Duchamp, Ken Friedman, Raymond Hains, John Heartfield, Geoffrey Hendricks, Dick Higgins, Joe Jones, Charlotte Moorman, Nam June Paik, Ben Patterson, Lamberto Pignotti, Robert Rauschenberg, Pierre Réstany, Mimmo Rotella, Sarenco, Daniel Spoerri, Ben Vautier, Jacques Villeglé, Wolf Vostell, Bob Watts.

Art = Life = Art. Dada > Fluxus
Aus der Sammlung Museion
15. März 2012 bis zum 24. Februar 2013