Ars Electronica: There Is No Planet B

In dieser Ausstellung zeigen der Klima- und Energiefonds und das Ars Electronica Center, wie die anstehende Energiewende aussieht und dass es nicht an tragfähigen Konzepten mangelt. Es geht hier und heute "nur" darum, endlich ins Tun zu kommen.

Energie ist die Grundlage jeglichen Lebens. Sie ist für die Existenz kleinster Organismen ebenso essenziell wie für uns Menschen. Weil unsere moderne Gesellschaft ihren riesigen Hunger nach Energie aber vor allem durch das Verbrennen von Kohle, Erdgas und Erdöl stillt, werden immer mehr Treibhausgase in die Atmosphäre geblasen und der Klimawandel angefacht. Von immer häufigeren Wetterextremen, dem Ansteigen des Meeresspiegels, dem Erliegen des Golfstroms bis zum Auftauen des Permafrostbodens und der massenhaften Freisetzung von Methan – die stete Erwärmung der Erde bewirkt einen nahezu unüberschaubaren Dominoeffekt, der die Lebensgrundlagen des Menschen und vieler anderer Spezies ernsthaft bedroht. Nicht nur in ökologischer Hinsicht, sondern auch durch die sozialen, wirtschaftlichen und politischen Verwerfungen, die dadurch verursacht werden. Konflikte, die schon heute bemerkbar sind, werden sich in Zukunft massiv verschärfen.

Es ist deshalb höchste Zeit, einen Kurswechsel einzuleiten und das Tempo der Erderwärmung einzubremsen. Absolute – aber leider realistische – Worst-Case-Szenarien sollen erst gar nicht eintreten und wir jene Zeit gewinnen können, die wir brauchen, um unsere sozialen, ökologischen, ökonomischen und politischen Rahmenbedingungen an eine neue Normalität anzupassen. Dafür müssen wir als Gesellschaft und als Einzelne ganz grundsätzlich zu einem anderen Umgang mit der Welt finden und einen Lifestyle entwickeln, der nicht dazu führt, dass etwa wir Österreicher_innen Jahr für Jahr die Ressourcen von 3,5 Erden aufbrauchen. Teil dieser gesamtgesellschaftlichen Veränderung und Weiterentwicklung ist eine Energiewende, die ihren Namen verdient. Wir müssen aufhören, unsere Energie auf eine Weise zu gewinnen, die uns unserer Lebensgrundlage beraubt und stattdessen auf nachhaltige Energieträger setzen.

Leben, Klima und Klimakrise

Wie genau das Leben auf der Erde entstanden ist, ist von der Wissenschaft noch nicht restlos geklärt. Dass für das Leben, wie wir es heute kennen, die Erdatmosphäre und ihre sehr spezifische chemische Zusammensetzung von größter Bedeutung ist, steht hingegen fest. Genau wie die Tatsache, dass die Menschheit seit der Industrialisierung ganz beträchtlichen Einfluss auf die Atmosphäre ausübt. Wie Atmosphäre, Klima und Wetter zusammenhängen und wie leistungsfähig aber auch empfindlich das irdische Ökosystem und sein Gleichgewicht sind, zeigen künstlerische Arbeiten, die sich dem Cluster "Leben, Klima und Klimakrise" widmen:

The Museum of Edible Earth / masharu (RU/NL)

Geophagie bezeichnet das Verzehren von Erde und erdähnlichen Substanzen wie Ton oder Kreide. Diese uralte spirituelle Praxis ist integraler Bestandteil der Kultur in mehreren afrikanischen, asiatischen und lateinamerikanischen Ländern. Das Museum of Edible Earth (MME) widmet sich der Geophagie mit einem interdisziplinären Projekt, in dessen Mittelpunkt eine Sammlung von Erdproben steht, die von Menschen aus unterschiedlichen Motiven verzehrt werden. Museumsbesucher_innen sind eingeladen, ihre Beziehung zu Umwelt und Erde zu hinterfragen und ihr Wissen über Nahrung und kulturelle Traditionen auf die Probe zu stellen. Aktuell besitzt das MME rund 400 Erdproben aus 36 Ländern, betreibt eine digitale und interaktive Archivplattform, bietet Video-, Foto- und Textdokumentation rund um verschiedene Geophagie-Praktiken sowie Proben essbarer Keramik an.

Raindrop / Alistair McClymont (UK)

Alistair McClymonts Arbeiten drehen sich um die Erforschung kultureller und physikalischer Phänomene. Raindrop zeigt einen Wassertropfen im freien Fall. Allerdings wird dieser durch einen speziell geformten vertikalen Luftstrom aus einer Maschine eingefangen und kann von den Besucher_innen betrachtet werden. Das physikalische Gesetz der Schwerkraft wird hier scheinbar aufgehoben und löst dadurch beim Publikum Irritation aus.

Life Support System / disnovation.org (FR/PL/CA)

Das Experiment "Life Support System" besteht aus einem Quadratmeter Weizen, der künstlich in einer geschlossenen Umgebung angebaut wird. Alle Inputs wie Wasser, Licht, Wärme und Nährstoffe werden gemessen, überwacht und der Öffentlichkeit zugänglich gemacht. Dieser eine Quadratmeter des Lebenserhaltungssystems ist in der Lage, alle vier Monate einen Tag lang die notwendige Kalorienzufuhr für einen erwachsenen Menschen zu liefern. Um einen einzigen erwachsenen Menschen das ganze Jahr über zu ernähren, müssten etwa 100 solcher Einheiten gleichzeitig in Betrieb sein. Dieses Verfahren macht deutlich, welche ungeheuren Aufwendungen nötig sind, um den menschlichen Nahrungsmittelbedarf in einer geschlossenen oder künstlichen Umgebung zu decken, im Gegensatz zur Landwirtschaft auf Ackerland. Das Life Support System verdeutlicht die immense Leistung des Ökosystems und zeigt die oft unterbewertete Arbeit unserer Biosphäre.

A Genealogy of Man-made Earthquakes / Sissel Marie Tonn (DK) and Jonathan Reus (US)

Im Norden der Niederlande kommt es seit 32 Jahren immer wieder zu von Menschen verursachten Erdbeben, die auf die Gasförderung im größten Erdgasfeld Europas, dem Groningen-Gasfeld, zurückgeführt werden können. „The Intimate Earthquake Archive“ der Künstlerin Sissel Marie Tonn zeigt zwei verschiedenen Arten der „Speicherung“ von Informationen über vom Menschen verursachte Erdbeben: die seismische Aktivität der Erdbeben, wie sie in der riesigen digitalen Datenbank des Niederländischen Meteorologischen Instituts (KNMI) akribisch aufgezeichnet und kommentiert wird, und die persönlichen Geschichten von Menschen, die in Groningen leben und genau beschreiben können, wie sie diese seismische Aktivität in ihrem Körper wahrnehmen.

Energiewende und Nachhaltigkeit

Einmal erworbene Lebensstandards und damit verbundene Annehmlichkeiten werden nur ungern wieder aufgegeben. Die Folge dieses Lifestyles ist ein Hunger nach Energie, der nur schwer gestillt werden kann. Wenn das auch noch mit klimaschädlichen Energieträgern passiert, ist das für die Menschheit insgesamt fatal, trifft aber zunächst vor allem jene Regionen und Gesellschaften, die am wenigsten zum Problem beitragen. Notwendig – und alternativlos – ist deshalb eine Energiewende, sprich ein Übergang von der Nutzung nicht-nachhaltiger, fossiler Energieträger zu einer nachhaltigen Versorgung durch erneuerbare Energien. Was genau solche erneuerbaren Formen von Energie sind, wie diese Energie gespeichert und verteilt werden kann, zeigen künstlerische Projekte und wissenschaftliche Feldversuche, die sich dem Cluster Energiewende und Nachhaltigkeit widmen:

Derotation / Domas Schwarz (AT)

Bei „Derotation“ wird auf einem rotierenden Bildschirm das Video eines Windrades abgespielt, das sich in der exakt gleichen Geschwindigkeit dreht. Während der Mast des Windrades um die Mittelachse kreist, scheint die Bewegung der Rotorblätter still zu stehen.

Asunder / Tega Brain (AU), Julian Oliver (NZ), and Bengt Sjölén (SE)

„Understanding AI“ meets „Global Shift“. „Asunder“ beleuchtet das wachsende Interesse am Einsatz künstlicher Intelligenz zur Bewältigung aktueller Umweltprobleme. Modernste Klima- und Umweltsimulationstechnologie, ein Supercomputer und auf maschinellem Lernen basierende Bilderstellungstechniken werden hier miteinander kombiniert und liefern einen fiktiven „Umweltmanager“ mit einem Augenzwinkern, der Anpassungsmaßnahmen vorschlägt und simuliert. Die Arbeit ist in einzelne Simulationen für verschiedene Regionen gegliedert, die KI liefert viele gute Ideen. Die Umsetzung vieler Vorschläge gelangt allerdings schnell an ihre Grenzen, wenn etwa ganze Städte verschoben, Nationen zusammengelegt oder Küstenlinien begradigt werden sollen.

SolarVille - A Vision for a Clean Energy Future / SPACE10 (DK)

„SolarVille“ ist der Prototyp einer Miniatur-Nachbarschaft, die vollständig durch Solarenergie versorgt wird. Einige Haushalte erzeugen ihre eigene erneuerbare Energie mithilfe von Sonnenkollektoren, während andere automatisch den in der Gemeinschaft produzierten überschüssigen Strom vom Erzeuger kaufen – und dabei die Blockchain-Technologie nutzen. Das Ergebnis ist ein autarkes Mikronetz, in dem die Menschen mit erneuerbarer, erschwinglicher Energie entsprechend ihrem individuellen Bedarf handeln. Und das lässt hoffen. Denn etwa 3,5 Milliarden Menschen auf der Welt haben immer noch keinen oder nur einen sehr eingeschränkten Zugang zu Elektrizität, und es ist eine fast unmöglich kostenintensive Aufgabe, diese Menschen mit dem heutigen Stromverteilungssystem zu erreichen. Die übrigen 6,2 Milliarden Menschen, die Zugang zu Elektrizität haben, verbrauchen größtenteils Energie aus nicht nachhaltigen Quellen. Wenn die Welt ernsthaft ihre Klimaziele erreichen will, muss die Verwendung erneuerbarer Energiequellen bis Mitte des Jahrhunderts zur Norm werden.

There Is No Planet B: Globale Erwärmung und menschliche Verantwortung
Ars Electronica & Klima- und Energiefonds
8. bis 12. September 2021