Arp: Die Kunst ist eine Frucht

Hauser & Wirth eröffnet am 17. September einen neuen Ausstellungsraum an der Bahnhofstrasse 1 in Zürich mit einer Ausstellung von Werken von Hans Arp. Sechs Jahrzehnte lang hat Hans (Jean) Arp ein viele unterschiedliche Medien umfassendes Oeuvre geschaffen, das zwischen Abstraktion und Gegenständlichkeit oszillieren als auch organische und geometrische Formen vereinen kann. Die Ausstellung versammelt Plastiken und Arbeiten auf Papier, die Hans Arp, einer der namhaftesten Künstler des 20. Jahrhunderts, zwischen 1924 und 1965 geschaffen hat.

Im Zentrum der Ausstellung stehen Arps Werke, die von seiner anhaltenden Faszination für die künstlerische Darstellung physiologischer Prozesse der Zeugung und Keimung, des Entstehens und Wachsens zeugen – ein starkes Echo auf jene Maxime des Künstlers, die der Ausstellung zugrunde liegt: "Die Kunst ist eine Frucht."

Hans Arp ist eine Schlüsselfigur der klassischen Moderne. Im frühen 20. Jahrhundert fungierte er als ein Initiator des Dadaismus und des Surrealismus. Der 1886 in Strassburg geborene Künstler wächst als Kind mit Französisch, Deutsch sowie dem elsässischen Dialekt auf. Seine hybride kulturelle Identität formte sich in Zeiten des erbitterten Nationalismus, und so wollte sich Arp auch später keinesfalls auf eine Sprache, Staatsangehörigkeit, Kunstbewegung oder ein bestimmtes Material festlegen. Erste Aufmerksamkeit erlangte er allerdings mit Zeichnungen und Collagen, Gedichten in deutscher und französischer Sprache sowie mit Drucken, Büchern und Holzreliefs. Seine zu Beginn des 20. Jahrhunderts entstandenen und von Rodin inspirierten frühen Zeichnungen waren vor allem Akte. Danach begann er mit Rorschach-artigen Formen zu experimentieren, die er dem Prä-Dadaismus und Dadaismus zurechnete. Ab Mitte der 1920er-Jahre entwickelte Arp dann eine objektbezogene künstlerische Sprache, die sowohl seine Reliefs als auch seine Arbeiten auf Papier auszeichnet und in den ausgestellten Werken "Baum" (1924) und "Kopf, Torso und Nabel auf Tisch" (1924) zu sehen ist. Mit den abstrahierten und aus ihrem Kontext gelösten Gegenstände seiner Kompositionen stellt Arp die Beziehung zwischen Objekten, Natur und der zu ihrer Beschreibung verwendeten Sprache spielerisch in Frage.

Ab den 1930er-Jahren schuf Arp dreidimensionale Werke und liess sich immer stärker vom natürlichen Lebenszyklus anregen. In einem Akt ständiger Metamorphose, die er analog den Entstehungsprozessen der Natur versteht, streben Arps Plastiken danach, natürlichen Kräften Gestalt zu verleihen.

In seinem Schaffensprozess liess er sich von Intuition und Zufall leiten: Meist ohne Rückgiff auf Skizzen formte Arp das von ihm bevorzugte Material Gips, bis er zu einer Gestalt gefunden hatte, die ihm gefiel. Häufig transformierte er diese Gipsformen weiter, indem er sie entzweisägte oder aus verschiedenen Fragmenten eine neue Form zusammensetzte, ehe sie in Marmor übertragen oder in Bronze gegossen wurden. Genau auf diese materiellen Prozesse bezieht sich denn auch der Begriff "Konkretion", den Arp als "naturhaften Vorgang der Verdichtung, der Verhärtung, des Gerinnens, des Dickerwerdens, des Zusammenwachsens" beschrieb. Seine Plastik "Menschliche Konkretion auf ovaler Schale" (1948) greift auf eine früher entstandene "Konkretion" aus dem Jahr 1935 zurück, der Arp später lediglich die ovale Schale hinzufügte. Das zweiteilige Werk ist ein gutes Beispiel für Arps Angewohnheit, aus bestehenden Formen etwa durch Vergrösserung oder Erweiterung etwas Neues zu schaffen.

Die Verwendung von Gips erlaubte es Arp, üppige, sanft geschwungene, abstrakte Formen zu schaffen, die auf komplexe, in sich gekehrte Figuren trafen. So entstand ein einzigartiges, im Biomorphismus verankertes visuelles Vokabular. In Plastiken wie "Wachstum" (1938/1960) oder "Blatt-Torso‘ (1963) zeigt sich Arps meisterhafte Fähigkeit, Formen durch sinnlich haptische, abgerundete Konturen zu beleben. In "Wachstum" verschwimmen die Grenzen zwischen Gegenständlichkeit und Abstraktion, Konkretem und Kreativem, sodass sich das Werk als Ast einer Pflanze interpretieren lässt, der sich beim Hochwachsen entrollt, während ‚Blatt-Torso‘ die Formen des menschlichen Körpers widerspiegelt, der sich mit Naturphänomenen vermischt.

Die Ausstellung zeigt ausserdem eine Auswahl der ab 1958 entstandenen Schwellenplastiken. Anders als die vollplastischen Werke verwenden diese zwei fixe Betrachtungspunkte – eine Reminiszenz an Arps frühere Holzreliefs. Die Bezeichnung der Werke als "Schwellen", veranschaulicht durch die prononcierte Ausrichtung zu zwei Seiten, verweist auf den Übergang zwischen Leben und Tod und schließlich auf Arps lebenslange Auseinandersetzung mit dem natürlichen Lebenszyklus. Die Spannung zwischen geometrischen Formen und organischen Themen zeigt sich in "Schwelle mit Pflanzenzinnen" (1959) – die optische Struktur des Werks erinnert an eine Pflanzenzelle mit Wand, Membran und Kern.

Arp führte diese Art der Plastiken mit zwei Betrachtungspunkten weiter, als er bei "Einaugkrieger" (1965), "Oriflammenrad" (1962) und "Sehnsucht nach der vierten Dimension" (1963) mit dem neuen Material Duraluminium experimentierte. Wie schon in seinen früheren Schwellenplastiken zeigt sich auch in den Duraluminium-Werken Arps anhaltendes Interesse am Negativ in Raum und Kontur. Einzelne dieser Werke wurden später für die Verwendung in Ausstellungen im öffentlichen Raum vergrössert. So steht auf dem Monte Verità (Kanton Tessin, Schweiz) eine zweieinhalb Meter hohe Version des "Oriflammenrads". In den Duraluminium-Plastiken zeigt sich, dass Arp bis an sein Lebensende die Lust am Experimentieren nicht verlor und stets auf der Suche nach neuartigen Materialen und Ausdrucksmöglichkeiten war.

Die Präsentation findet parallel zu der bis 14. November laufenden Wanderausstellung "Rodin/Arp" im Arp Museum Bahnhof Rolandseck statt, die zusammen mit der Fondation Beyeler konzipiert und organisiert wurde.

Arp: Art is a Fruit
17. September bis 20. November 2021