Architektonische Offenbarungen und einzigartige Klangerlebnisse in der Elbphilharmonie

Längst überfällig, eine neuerliche Erkundungstour in Hamburg mit Fokus auf die sagenhafte Elbphilharmonie. Acht Jahre nach der Eröffnung rechnete ich mir gute Chancen auf adäquate Konzerttickets aus. Und es gelang: Zwei unglaubliche Konzerterlebnisse und beeindrucktes Staunen, wie Menschengeist und -hand solchen Klangraum schaffen können.

Zum genauen Startzeitpunkt des Ticketverkaufs im Mai versuchte ich mein Glück für Oktober, wählte bewusst die günstigste Kategorie (18,- EUR!) im obersten Level, seitlich und zur Rückseite des Orchesters gerichtet. Das Sibelius Violinkonzert, mit den absolut innigen Momenten des Geigensolos und den mächtig-dramatischen des Orchesters, sowie Schubert bis Schönberg, vorgetragen von einem hochkarätigen Vokalensemble, sollten mir den Eindruck von diesem hochgepriesenen akustischen Meisterwerk vermitteln.  

Seit dem Baubeginn 2007 hatte ich das spektakuläre Projekt im Blick, viele Jahre sah man nur den Kaispeicher, der für die geplante Funktion als Parkhaus völlig entkernt wurde. Vom ursprünglichen Bestand blieb bloß die dünne Backsteinhaut übrig. Massiv wirkend und die Form vorgebend, bildet also ein Zitat das Fundament für den hoch aufstrebenden, riesigen Glaskörper (unvorstellbare 200 000 Tonnen) mit zeltartiger Dachlandschaft, der über diesem Sockel zu schweben scheint. „Es ist vielleicht der radikalste Ausdruck architektonischer Freiheit unserer ganzen Karriere: ein Konzerthaus, weit oben balancierend über dem bestehenden industriellen Sockel im Hamburger Hafen“, so die Architekten. Eine gekonnte Dematerialisierung, nicht nur durch die aufwändige Glasfassade mit unterschiedlich gewölbten Scheiben, die Licht so wie das Wasser changieren lässt, sondern auch durch die Großform, welche die beiden Konzertsäle (mit 2100 und 550 Plätzen) und die Funktionen Wohnen sowie Hotel nicht offenbart.  

„Wir wollten einen Ort schaffen für die Philharmonie, aber auch für andere Musikformen und ebenso für weitere Bedürfnisse der Hamburger Bürger: einen spezifischen Brenn- und Treffpunkt für ihre Stadt. Dafür brauchte es eine heterotopische Architektur mit einer Raumdramaturgie, bestehend aus Orten und Raumfolgen mit unterschiedlicher Qualität“, erläutern die Architekten in ihrer Monografie. Deutlich tritt die öffentlich zugängliche Plaza als umlaufende Fuge zwischen Backsteinsockel und Glaskörper in Erscheinung, eine höchst beliebte Aussichtsplattform mit bewegendem Ausblick auf das alte Hamburg, den neuen Stadtteil der Hafencity und die vorbeiziehenden Schiffe.

Eine langgezogene, leicht gekrümmte Rolltreppe (es sind nur Zählkarten zu lösen) führt durch den gesamten Kaispeicher zur Plaza empor, mit einem Zwischenhalt bei einem Panoramafenster über der Elbe zur Einstimmung. Der räumliche Erlebniswert an diesem weitläufigen Platz ist außergewöhnlich und von hier steigen die Konzertbesuchenden über eine mächtige spiralförmige Treppenanlage in die verzweigende Landschaft des Foyers empor. „Der mehrgeschoßige, polygonale Raum des Foyers mit seinen Treppenfolgen entstand vor unseren Augen am Modell. […] Das Foyer ist ein Zwischenraum, eine gekrümmte Raumschicht, welche den großen Musiksaal wie eine schützende Atmosphäre umhüllt.“

Der Große Saal folge drei unterschiedlichen räumlichen Qualitäten der Architekturgeschichte: „Unser Saal sollte etwas von der steinernen und geerdeten Ausstrahlung eines Theaters wie in Epidauros vermitteln …“, und dies entstehe im Innenraum durch massive Gipsplattenoberflächenstrukturen, die „an Versteinerungen oder Ablagerungen einer vergangenen geologischen Epoche“ erinnern. Was wie organisch gewachsen erscheint, ist höchste Kunst der Akustiktechnik des Japaners Yasuhisa Toyota, der die präzise Ausprägung und Anordnung jeder einzelnen Platte errechnete. Die zweite wesentliche Entwurfskomponente sei die Vertikalität des Innenraums. Durch die steil hinaufragenden Zuschauerränge entsteht eine direkte Beziehung zwischen Musik und Publikum, auch sichtmäßig. „Und schließlich die Idee des Festzelts“, kein Gewölbe, keine Kuppel, und keine Akustikplatten an der Decke – es hängt gleich einem schweren Kronleuchter ein – in Gestalt und Höhe adaptierbarer – Ensemblereflektor herab.

Welche Worte finden, für dieses Klangerlebnis? Mir bleibt nur noch zu berichten, wie faszinierend sich in wogend absteigender Bewegung die heil´gen Hallen leerten, über die zusammenlaufenden Wege von den vielen Ebenen in die sich verjüngende Spiraltreppenanlage zur Plaza, und sich der Menschenstrom in den Trichter der auf Abstieg gestellten Rolltreppen andächtig ergoss. 

Vertiefend zur Verfügung standen der fünfte Teil der wunderbaren Monografie „Herzog & de Meuron 2002–2004“ (siehe auch Buchbesprechung auf nextroom.at) und der soeben erschienene beeindruckende Band „Fünfundzwanzig x Herzog & de Meuron“.

 

Sa, 19.10.24 Elbphilharmonie Großer Saal
Lucerne Festival Orchestra unter Chefdirigenten Riccardo Chailly
Sibelius Violinkonzert, als Solist: der schwedische Stargeiger Daniel Lozakovich

So, 20.10.2024 Elbphilharmonie Großer Saal
NDR Vokalensemble: Schubertiade. Poetische Welten und Klangminiaturen
Julius Drake, Klavier; Klaas Stok, Leitung