Arbeiten aus Raum und Licht

Bereits zweimal wurde Camill Leberer in der ehemaligen Galerie der Stadt Stuttgart, dem heutigen Kunstmuseum, mit einer Werkschau gewürdigt. Anlässlich der Verleihung des Peter-Hans-Hofschneider-Preises durch die Kunststiftung Baden-Württemberg wird der Stuttgarter Künstler jetzt erneut mit einer Einzelausstellung im Kunstmuseum Stuttgart geehrt.

Für die aktuelle Präsentation hat sich Camill Leberer eine überraschende Choreografie überlegt: Der Bildhauer beschränkt sich auf die große Plastik "Nacht aus Glas", die er mit seinen jüngsten großformatigen Zeichnungen und Fotografien kombiniert. Beide Gattungen sind eng mit seinen Plastiken verbunden und ermöglichen einen Einblick in Leberers Arbeits- und Gedankenwelt. Denn auch in der zweidimensionalen Zeichnung geht es ihm immer um Fragen der Räumlichkeit und des Verhältnisses des Ganzen zum Detail. Sämtliche im Kunstmuseum ausgestellten Werke sind in den letzten Jahren entstanden und werden nun erstmals gemeinsam gezeigt.

Camill Leberer zählt zu den renommiertesten Künstlern seiner Generation aus Baden-Württemberg. 1953 in Kenzingen im Breisgau geboren, lebt und arbeitet er seit dem Studium Anfang der 1980er Jahre an der Staatlichen Akademie der Bildenden Künste vor allem in Stuttgart. Bereits 1984 erhielt er das Stipendium der Kunststiftung Baden-Württemberg und 1988 das Villa-Massimo-Stipendium in Rom; er war Preisträger im Forum Junger Kunst und erhielt 1991 den Förderpreis der Stadt Stuttgart.

Der ihm von der Kunststiftung Baden-Württemberg verliehene Preis geht auf den bedeutenden Molekularbiologen Peter Hans Hofschneider zurück, der 2004 im Alter von 75 Jahren verstarb. Der ehemalige Direktor des Max-Planck-Instituts in München war seiner Heimatstadt Stuttgart zeitlebens verbunden geblieben. Als Sohn der Malerin Maria Hofschneider kannte er die oft schwierige Arbeitssituation von Künstlerinnen und Künstlern. Darum sollte nach seinem Tod eine entsprechende Stiftung eingerichtet werden. Der erstmals vergebene Preis der Peter-Hans-Hofschneider-Stiftung geht mit Camill Leberer an einen baden-württembergischen Künstler, der bereits ein reifes, überzeugendes Werk vorgelegt hat.

Materialien wie Metall und Glas, eine kräftige Farbigkeit in Schwarz, Gelb und Grau sowie spezifisch bearbeitete, etwa schraffierte Oberflächen kehren in Leberers Werk häufig wieder und sind letztlich unverwechselbares Erkennungszeichen. Im Vergleich zu früheren Arbeiten wirken seine Arbeiten heute jedoch deutlich fragiler; manches scheint fast improvisiert, wenn Kabel wie zufällig an der Stahlkonstruktion herunterhängen oder Glasscheiben beiläufig übereinander geschichtet sind, ohne dass sie fest verankert wären. Parallel dazu entstand ein umfangreiches Zeichnungskonvolut, bei dem der Künstler die Materialität von Stahl und Glas in Kohle und Transparenzpapier übersetzt.

"Meine Arbeiten entstehen aus Raum und Licht, aus zwei fundamentalen Seinsweisen", erklärte Camill Leberer 2010 in einem Interview. In der Plastik "Nacht aus Glas" integriert der Künstler eine ältere Arbeit – "Katholischer Schlafsaal" von 2007 –, die jetzt durch einen Überbau vergrößert und "überdacht" wird: Auf vierkantigen Stahlstützen ruht eine fragile Konstruktion aus bemalten und übereinander geschichteten Glasscheiben. Die kleinere Vorgängerarbeit wiederholt das gleiche Prinzip. An zwei Stahlstreben hat Leberer Neonröhren angebracht, die durch zwei Strahler oben auf den Glasplatten ergänzt werden. Die nächtliche Ansicht hat dadurch einen eigenen Reiz und versetzt die Plastik in ein gelbes Leuchten. Die notwendigen Kabel für die Strahler verbirgt Leberer nicht; ganz im Gegenteil ist ihm die unruhige Linie und der improvisierte Charakter wichtig, um einen womöglich zu stark konstruktiven und minimalistischen Eindruck der Plastik zu brechen. Die freie Linie findet sich entsprechend auch in seinen Zeichnungen und Fotografien wieder.

Besonders interessiert Leberer das Verhältnis von Detail zu Gesamtwerk, was seine dreidimensionalen Werke mit den zweidimensionalen Zeichnungen und Fotografien verbindet. Denn die überraschenden Details, die sich aus den verschiedenen Blickwinkeln ergeben, verändern die räumliche Erfahrung. Wie bei seinen Zeichnungen liegt der Plastik eine ausgesuchte Komposition zugrunde.

Camill Leberer sagt, er zeichne als Bildhauer. Eine jüngst entstandene Serie großformatiger Zeichnungen belegt, dass sich diese Aussage nicht nur auf die raumplastische Konzeption des Werkes bezieht, sondern auch auf spezifische Formen des Werkprozesses. Charakteristisch für die neuen Transparentzeichnungen ist eine Art Raster aus farblich behandelten und unbehandelten Flächen. Farblich dominieren Schwarz-Weiß-Kontraste, die sich, von der Rückseite aufscheinend, in subtile Graustufungen wandeln. Blau und rot setzen sparsam Akzente. Die Blattmaße von 220 x 110 cm orientieren sich an einer Art Modul, das die Dimensionen fast aller seiner plastischen Raum- und Wandarbeiten bestimmt. Dieses "Modul" hat seinen Ursprung in den Körpermaßen des Künstlers. Nicht uninteressant ist in diesem Zusammenhang, dass er grundsätzlich im Stehen zeichnet. Räumliche Konstellationen und Strukturen, eine physische Spannung, die sich aus dem Kontrast von Nähe und Distanz zu den Materialien ergibt, sind fester Bestandteil des Werkprozesses.

Unwillkürlich fällt die Nähe der Zeichnungen zu Camill Leberers jüngsten Fotoarbeiten auf. Von jeher kreisen seine Fotografien um die eigenen plastischen Werke. Sie thematisieren deren Umfeld und bannen die charakteristische Atmosphäre ihrer Materialausstrahlung im zweidimensionalen Medium. Bei den jüngeren Farbfotografien handelt es sich um Aufnahmen, die Ausschnitte einer Plastik scharf fokussieren. Gelegentlich legt die Kamera Strukturen des Werkes offen, die sich dem Betrachter beim Umrunden der Skulptur bewusst verbergen. Bemaltes Glas, Eisenträger und Leuchtstoffröhren wandeln sich in extremer Nahsicht zu einem zweidimensionalen, geometrischen Raster aus farbigen Flächen und Linien.

Raumplastische Volumen, von Flächen begrenzt, stehen im Zentrum des künstlerischen Schaffens von Camill Leberer. Die einzelnen Medien – Plastik, Malerei, Zeichnung und Fotografie – sind dabei nicht isoliert zu sehen. Leberer ist Bildhauer, auch wenn er malt, fotografiert und zeichnet.


Camill Leberer
13. November 10 bis 16. Januar 11