10. Mai 2009 - 3:30 / Ausstellung 
27. Februar 2009 17. Mai 2009

Seit den 70er-Jahren malt Gerhard Richter abstrakte Bilder. Sie machen heute etwa zwei Drittel seines Gesamtwerks aus. Mit der Konzentration auf diesen Bildtypus unterscheidet sich diese Ausstellung von bisherigen Richter-Retrospektiven, in denen es überwiegend um die - jeweils aktualisierten -Verschiebungen im Verhältnis von seinen fotografie- bezogenen zu den abstrakten Gemälden ging.

Ausgangspunkt sind die Serien "Cage" von 2006 und "Wald" von 2005; letztere ist zum ersten Mal in Europa zu sehen. Die Ausstellung verfolgt den in diesen Serien dargestellten Stand von Richters malerischer Entwicklung zurück zu ihren Wurzeln, die bis Mitte der 80er-Jahre reichen: über die vierteilige Werkreihe "Bach" (1992) und das farblich reduzierte "St. Gallen" (1989) bis zu den früheren äußerst farbintensiven Bildern wie "Blau" (1988) oder "Claudius" (1986).

Gerhard Richter nutzt die Weitläufigkeit und Höhe der Ausstellungsräume im Haus der Kunst, um den seriellen Charakter der rund 50 großformatigen Bilder flexibel zu interpretieren: als Summe von Einzelbildern durch die Konzentration in einem einzigen Raum ("Bach"), oder das einzelne Bild hervorhebend durch Hängung in verschiedenen, aufeinander folgenden Räumen ("Cage").

Um die Mitte der 80er-Jahre schuf Gerhard Richter ungewöhnlich viele großformatige abstrakte Bilder, die häufig in Serien zu dreien oder vieren entstanden. Diese Bilder sind bei all ihrer formalen Entsprechung von einer groflen anschaulichen Vielgestaltigkeit und bilden einen offenen Werkkomplex.

Zentrales Anliegen ist, die Zufälligkeiten visuellen Erlebens zu überwinden und die Eigenwirkung von Farbe und Form zu steigern. Gerhard Richter trägt die Farbelemente und -strukturen mit Pinseln, Rakeln oder Spachteln Schicht für Schicht auf, sodass bereits vorhandene durch neue überlagert oder vollkommen ausgelöscht werden. Die Spuren der Werkzeuge und Schichten der Farbe fügen sich häufig zu Strukturen von räumlicher oder landschaftlicher Anmutung, ohne sich zu einem wiedererkennbaren Gegenstand zu verfestigen. Willkür, Zufall, Einfall und Zerstörung lassen einen bestimmten Bildtypus entstehen, aber nie ein vorherbestimmtes Bild.

Richter geht bei diesem in zahlreichen Schichten vollzogenen Malprozess nicht von einem vorgefundenen Motiv oder bereits existierenden Bild aus, sondern arbeitet sich frei von jeder motivischen Vorgabe zum Erkennen eines Bildes vor. "Jede Überlegung, die ich zum "Bau" eines Bildes anstelle, ist falsch, und wenn die Ausführung gelingt, dann nur deshalb, weil ich sie teilweise zerstöre oder weil sie trotzdem funktioniert; indem sie nicht stört und wie geplant aussieht." (Gerhard Richter)

Seit den späten 80er-Jahren entstehen Bilder, bei denen Gerhard Richter den Rakel in horizontalen oder vertikalen Bahnen über die gesamte Breite oder Höhe der Leinwand zieht; dabei kann Farbe sowohl aufgetragen als auch wieder abgenommen werden. So treten Untergründe verschliffen diffus hervor und werden zugleich wieder komplex überlagert. Im Lauf seines künstlerischen Werdegangs hat Gerhard Richter unterschiedliche Bildstrategien entwickelt. Seine abstrakten Bilder sind Zeugnisse dieser unablässigen Beschäftigung und formalen Auseinandersetzung mit den Bedingungen des eigenen Mediums.

Die Anfänge der Abstraktion waren von einem Ansatz zur Erneuerung geprägt. Abstraktion galt als das geeignetste Mittel zur künstlerischen Selbstaussage, und die angestrebte "reine" Darstellung der Darstellungsmittel steigerte sich etwa bei Mark Rothko und Barnett Newman zu Subjektivismus und hohem Pathos. Die Nachkriegskünstler jedoch machten die Erfahrung des Zusammenbruchs einer Zivilisation; sie setzten die Formensprache der Abstraktion ein, um sich von ihrer Verzweiflung an den Zeitverhältnissen frei zu malen. Dieser zum Teil heftige Gestus führte Gerhard Richter früh zu der Erkenntnis, dass die Arbeiten von Vorgängern wie Jackson Pollock, aber auch Lucio Fontana und Yves Klein auf Dauer dem "Arsenal des Spektakels" (Buchloh) anheim fallen würden. Er musste sich also fragen, wie eine zeitgemäße malerische Abstraktion, die der Ernüchterung und Hoffnungslosigkeit entsprungen ist, nun aussehen konnte. Aus dieser Spannung zwischen der Utopie der Anfänge und der Trauer um deren Verlust gelangte er zu seinem Selbstverständnis von Malerei und konnte anschließend zu seiner eigenen Sprache der Abstraktion vordringen.

Wie bei seinen Vorgängern stellt sich auch bei Richter die Frage nach der Welthaltigkeit seiner abstrakten Bilder: Wird in Richters abstrakten Bildern indirekt ein Unbehagen oder das Defizitäre einer bestimmten gesellschaftlichen Situation ersichtlich, drücken sie über ihre subjektive Gestimmtheit hinaus eine allgemeine Zeitstimmung aus? Es ist für die Rezeption von Richters abstrakten Bildern kennzeichnend, dass keine in nur eine einzige Richtung weisenden Antworten formuliert werden; stattdessen hebt die Kritik das für Richter typische dialektische Zusammenspiel von Zufall und Struktur, von Materialität und Mentalität positiv hervor. Die von ihm entwickelte abstrakte Sprache hält zwischen Zugänglichkeit und Verschlossenheit das Maß.


Der Katalog mit Beiträgen von Benjamin H.D. Buchloh, Beate Söntgen, Gregor Stemmrich und Ulrich Wilmes ist bei Hatje Cantz erschienen, ISBN 978-3-7757-2248-3, Museumspreis 49,80 Euro.

Gerhard Richter - Abstrakte Bilder
27. Februar bis 17. Mai 2009
Eröffnung: Do 26. Februar 09, 19 Uhr

Haus der Kunst
Prinzregentenstrasse 1
D - 80538 München

W: http://www.hausderkunst.de/

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Cage, 2006; 300 x 300 cm. Tate Modern, London. Leihgabe aus einer Privatsammlung; © Gerhard Richter