A.R. Penck-Retrospektive in der Schirn

Wie kaum ein anderer deutscher Künstler steht A.R. Penck für die Erneuerung der Malerei in Deutschland. Bereits in der DDR thematisiert Penck immer wieder die Beziehung zwischen Individuum und Gesellschaft. Nach seiner Ausbürgerung 1980 schafft er mit seinem unverwechselbaren Stil aus abstrahierten Figuren und Bildzeichen ein universales Vokabular, in dem die Erinnerung an den Beginn der Malerei mit der aktuellen Zeitgeschichte und der modernen Naturwissenschaft zu einer einprägsamen Bildwelt verschmilzt.

Die erste große Überblicksausstellung in der Frankfurter Schirn nach 20 Jahren zeigt Pencks Werk vor dem Hintergrund veränderter gesellschaftlicher und kunstimmanenter Kontexte und Rezeptionsweisen. Mit rund 130 großformatigen Gemälden, Skulpturen und Objekten von 1961 bis heute präsentiert die Ausstellung den Künstler mit seinen wichtigsten Themen und Werkgruppen. Eine Besonderheit bildet zusätzlich eine Auswahl von etwa 70 Künstlerbüchern, die auch den Sprachkünstler und Zeichner Penck in umfassender Weise vorstellen.

Dass Penck, 1939 als Ralf Winkler in Dresden geboren, Mitte der 1960er Jahre unter Zusatz von R. (Ralf) im Vornamen als erstes und bis heute gültiges Pseudonym den Geologen und Eiszeitforscher Albrecht Penck (1858–1945) gewählt hat, wurde oft auch als Kommentar zum Kalten Krieg gedeutet. Der zweite Bezugspunkt sind die Parallelen zwischen Pencks Zeichenwelt und den Bildfindungen der Höhlenmalerei der Eiszeit. Penck begründete seine Wahl – der später noch Pseudonyme wie »Mike Hammer«, »Mitchel Hammer«, »Tancred Mitchell«, »Theodor Marx« sowie mathematische Zeichen wie a Y (a.r. penck) folgten – damit, dass er eine gewisse Analogie zwischen »abgelagerter Information und Geologie« gesehen habe. Der archäologische Rückgriff habe seine Malerei wesentlich befruchtet und beeinflusst.

Nachdem Penck bereits Ende der 1950er Jahre eigene Wege jenseits von traditioneller Kunst und sozialistischem Realismus gesucht hatte, entstanden ab 1961 die sogenannten »Weltbilder«, die bereits die zweidimensionalen reduzierten und anonymen »Strichmänner« zeigen. Es sind Versatzstücke seines Interesses an prähistorischer Malerei, eine Kombination aus Figuration und Abstraktion, die zu seinem Markenzeichen werden sollte. Auf seinem ersten »Weltbild«, das Penck als modernes Historienbild beschreibt, ist eine Gruppe von Individuen dargestellt, Schilder mit mathematischen Formeln werden hochgehalten, es wird gekämpft, umarmt, marschiert, Waffen werden gezückt. Trotz der Deutlichkeit und Wiedererkennbarkeit mancher Szenen und Symbole ist die Lesart alles andere als eindeutig. Penck erzählt keine Bildergeschichten, sondern verknüpft in seinen komplexen Kompositionen stets Individuelles und Allgemeines zu zeitlosen Wahrheiten.

Der Informationsbegriff wie auch der Begriff der visuellen Information sowie die Theorie des abstrakten Automaten gewinnen ab den 1960er Jahren eine immer größere Bedeutung für Penck. Ebenso wichtig wird die Sprache der Kybernetik mit ihrem hohen Abstraktionsgrad und dem Begriff des Systems. Penck schreibt heute dazu: »Das ist alles in meine Malerei eingeflossen und brachte mich dazu, über Bildlogik nachzudenken und praktisch zu experimentieren. Das hat mich zum Standart-Begriff geführt, zu zahlreichen Versuchen über Zeichen und Zeichenräume und den Signalcharakter von Zeichen und Symbolen. Der Systembegriff war etwas Wesentliches und Übergreifendes. Bild als System – System als Bild. Mit dieser für mich neuen Bildmethodik änderten sich meine Motive und Themen. Sie wurden allgemeiner und politischer. Der Kalte Krieg zwischen Ost und West war das Thema der ersten «Weltbilder» und «Systembilder».«

Pencks »Standart-Bilder« sind seine Form politischer Konzeptkunst, die als konstruktiver Beitrag zum Sozialismus gedacht war. Die Bilder sollten als für jedermann verständliche und benutzbare Bildzeichen funktionieren. Mit dem Programm einer Reduktion des Bildes auf Zeichen und Symbole, die Verhalten steuern und strukturieren, sollte eine herrschaftsfreie Kommunikation entstehen und die Diskussion über die Kunst beeinflusst werden. In der Realität seiner Bilder verwandelt Penck aber das Vokabular in eine weitaus vielschichtigere Welt. In dieser finden sogar scheinbar gegenläufige Tendenzen wie Magie und Geheimnis ihren Raum und tragen zur Faszination der Werke bei.

Neben den »Standart-Bildern« hat Penck auch eine Reihe von »Standart-Modellen« geschaffen: bemalte und beschriftete Kartonplastiken, die in ihrer »armen« Ästhetik an Fluxus und an Beuys denken lassen. Der Standart-Realismus scheitert 1968 an der Realität, die von den Repräsentanten der neuen Herrschaft im Osten bestimmt wird. Die Erfahrung der Demaskierung des real existierenden Sozialismus schlägt sich in Pencks Werk in der »Mike Hammer«- und »TM«-Serie nieder, deren Bilder deutlich aggressiver und expressiver sind und Titel wie »Mike Hammers Geburt - Die Wurzeln des Faschismus« tragen. In den 1970er Jahren arbeitet Penck in zahlreichen unterschiedlichen Medien, produziert Filme, Objekte, Holzskulpturen und seine bedeutenden Künstlerbücher und experimentiert sogar mit surrealen Kompositionen. Parallel zu dem zunehmenden Druck im Osten – Penck durfte bereits seit 1962 in der DDR nicht mehr öffentlich ausstellen – verzeichnet Penck aber große Erfolge im Westen und nimmt an der Biennale und der documenta teil.

Nach seiner Ausbürgerung aus der DDR und Übersiedlung in den Westen 1980 arbeitet der Künstler unablässig weiter. Er muss jedoch zugleich die große Veränderung in seinem Leben verarbeiten: Es entstehen zahlreiche Werke zum Thema Ost-West, mit denen ein stilistischer Wandel zu stärkerer Farbigkeit und Räumlichkeit einhergeht. Elemente der »Angst«, »Unruhe«, aber auch »Romantik«, wie Penck es selber beschreibt, verschwinden. In großformatigen Werken wie »Ich in New York« oder »Ich in Dublin« verarbeitet Penck seine Reisen und die neuen vielfältigen Eindrücke der westlichen Welt. Bereits 1982 zieht Penck weiter nach London, wird 1989 Professor in Düsseldorf und lebt seit seiner Emeritierung 2003 in Dublin.

Penck hat den Osten einmal als die Wüste und den Westen dagegen als Dschungel beschrieben. Die beiden sehr unterschiedlichen politischen Systeme, der Konflikt dieser Welten und seine sehr individuelle und bis heute ausgeprägte philosophisch-politische Grundhaltung bleiben Pencks großes Thema.


Katalog: »A.R. Penck Retrospektive«. Hg. von Ingrid Pfeiffer und Max Hollein. Mit Texten von Isabelle Graw, Harald Kunde, Ingrid Pfeiffer, Kevin Power, Pirkko Rathgeber, Jürgen Schweinebraden Freiherr zu Wichmann-Eichhorn. Deutsch-englische Ausgabe, ca. 310 Seiten, mit etwa 400 farbigen Abbildungen, Richter Verlag GmbH Düsseldorf, ISBN 978-3-937572-68-0, EUR 34.–

A.R. Penck Retrospektive
15. Juni bis 16. September 2007