Antony Gormley im KUB

In seiner Auseinandersetzung mit dem Schauplatz des menschlichen Körpers zählt Antony Gormley zu den einflussreichsten zeitgenössischen Bildhauern Großbritanniens. In der Ausstellung im KUB werden vier bedeutende Serien aus Gormleys Gesamtwerk zusammengeführt: die Werkreihe Expansions, Allotment, Critical Mass und Clearing. In den Kontext der Architektur Peter Zumthors eingebettet, repräsentieren die Werke die schmale Gratwanderung der menschlichen Psyche zwischen einer Selbstvergewisserung als Individuum und der Kontextualisierung durch den architektonischen Umraum.

Mit seiner radikalen Erforschung des Körpers als Ort der Erinnerung und der Transformation betreibt Antony Gormley seit nunmehr 25 Jahren die Neubelebung des Menschenbildes in der Skulptur - unter Einsatz des eigenen Körpers als Thema, Werkzeug und Arbeitsmaterial. Seit 1990 gilt sein erweitertes Interesse am Zustand des Menschseins der Erforschung des kollektiven Körpers und der Beziehung zwischen dem Selbst und dem Anderen in groß angelegten Installationen wie Allotment und Critical Mass, die beide in diesem Sommer im KUB präsentiert werden. An die Stelle von Masse und definiertem Volumen tritt in Gormleys aktuellen Werken zunehmend die Auseinandersetzung mit Energiesystemen, - feldern und - vektoren. Dies wird in dem dynamischen Werk Clearing deutlich, das - zwischen Wände, Decke und Fußboden des Ausstellungsraumes gespannt - die zweite Etage des KUB ausfüllen wird.

Gormleys Werke wurden bereits umfassend in Ausstellungen gewürdigt, unter anderem mit Einzelausstellungen in Großbritannien an Ausstellungsorten wie zum Beispiel der Whitechapel Gallery, der Tate und der Hayward Gallery, sowie in internationalen Museen wie dem Louisiana Museum in Humlebaek, der Corcoran Gallery of Art in Washington DC und dem Kölnischen Kunstverein in Deutschland. Blind Light, eine bedeutende Einzelausstellung seines Werkes wurde im Jahr 2007 in der Hayward Gallery in London gezeigt. Er war in wichtigen Gruppenausstellungen wie der Biennale in Venedig und Documenta 8 in Kassel vertreten. Angel of the North und das neuere Quantum Cloud on the Thames in Greenwich, London, zählen zu den berühmtesten Beispielen zeitgenössischer britischer Skulptur. Im Jahr 1994 wurde Gormley mit dem Turner Prize geehrt; des weiteren erhielt er den South Bank Prize for Visual Art im Jahr 1999 und den Bernhard Heiliger Award for Sculpture 2007.

KUB Arena: Body (Gusseisen, 1991/93), Fruit (Gusseisen, 1991/93)
Gormleys Werkreihe Expansions begann mit einer Obsession, die Haut neu zu definieren, die Frage zu erforschen, wo Dinge oder Ereignisse ihren Anfang und ihr Ende haben. Wiederholt man die Haut, werden alle Formen zu einer Ei-Form, und ein Gleichgewicht zwischen Stasis und Potential ist gegeben. In den Expansions-Werken kommt dieser Prozess am Körper in dynamischer Bewegung zur Anwendung – am Körper in aktiver Eigenbewegung oder dem Körper in passiver Position, der einer von außen einwirkenden Bewegung unterworfen ist. Body und Fruit sind von der Abgussform eines Körpers in der Startposition eines Schwimmers vor dem Sprung ins Becken hergeleitet. Um Gormley zu zitieren: "Ich entdeckte, dass es möglich ist, eine Form unter Verwendung eines konstanten Maßstabes zu vergrößern - mittels runder Holzstäbe, die von Knotenpunkten an den Extremitäten des Körpers aus strahlenförmig wegführen. An ihren äußeren Enden wurden die Hölzer verbunden, um eine durchgängige Oberfläche zu erzeugen, wobei die Füße, Hände, Hinterbacken und der Kopf die Fokuspunkte einer Reihe von ineinander übergehenden, gewölbten Formen bilden."

1. Obergeschoss: Allotment II (1996, Stahlbeton, 300 lebensgroße, von den Körpermaßen von Bewohnern der Stadt Malmö im Alter von 1,5 bis 80 Jahren abgeleitete Elemente)
Die Körpermaße von 300 Einwohnern der Stadt Malmö in Schweden wurden zur Herstellung von 300 fünf Zentimeter dicken, rechteckigen Körperbehältnissen mit integrierten rechteckigen Behältnissen für den Kopf sowie Öffnungen an Mund, Ohren, Anus und Genitalien herangezogen. Die "Räume" aus Allotment repräsentieren den minimalen Umraum, der erforderlich ist, um ein bestimmtes lebendes Individuum zu umschließen, wobei der zweite Körper (der architektonische) an die Stelle des ersten tritt. Es handelt sich um vertikal aufgestellte Meditationszellen für die abwesenden Körper einer real existierenden Gemeinschaft. Mit seinen auf ein Raster-Wegesystem positionierten einzelnen Teilen evoziert das zusammengesetzte Werk eine urbane Landschaft. Einige Elemente sind dicht zusammen gruppiert, andere in größeren Abständen zueinander aufgestellt. Nachdem der Betrachter das Werk anfänglich als Ganzes wahrgenommen hat, kann er sich dann seinen eigenen Weg durch die Komposition bahnen und sich mit einzelnen Teilen individuell auseinandersetzen.

2. Obergeschoss: Clearing V (2009, Aluminiumstange)
Clearing besteht aus annähernd zwölf Kilometern unbearbeiteter Aluminiumstange, die in Bögen vom Fußboden zur Decke und von Wand zur Wand gespannt ist, sodass eine dreidimensionale Zeichnung im Raum entsteht. Die Installation, die als Vektorfeld fungiert, motiviert den Betrachter, sich durch die Struktur hindurch zu bewegen, und indem das geschieht, wird die Dominanz eines einzigen unverrückbaren Blickwinkels gebrochen und stattdessen eine fortwährende perspektivische Neuorientierung erforderlich: "Ich beabsichtigte, die festen Koordinaten eines Raumes zu zerstören und ein Raum-Zeit-Kontinuum zu erschaffen (eine endlose Linie), das sowohl ein Ding wie auch eine Zeichnung darstellte", erklärt Gormley.

3. Obergeschoss: Critical Mass (1995, Gusseisen)
Critical Mass setzt sich aus je 5 Abgüssen von 12 Positionen zusammen: flach am Boden, Kauern, Fötalstellung, Hocken, Sitzen, Knien, Stehen, Trauern und einer abschließenden Instabilität – der Aufstieg des Menschen als Abfolge durch die komplexe Syntax des Körpers. Die Körperformen wurden von der Außenseite der Gipsabdrücke abgenommen, und alle Unregelmäßigkeiten in der Oberfläche der Form sind in der fertigen Arbeit sichtbar, ebenso wie auch die Zeichen loser Stücke in der Sandgussform, die dazwischen liegenden Gratlinien und die Formen der Metallguss-Speiser in die Oberfläche integriert sind und somit ihren industriellen Ursprung bezeugen. Das Werk ist ein Anti-Monument in Erinnerung an die Opfer des zwanzigsten Jahrhunderts. Darüber hinaus verweist es auf die Funktionslosigkeit des Mediums Skulptur. Critical Mass entstand als direkte Reaktion auf ein altes Straßenbahndepot in Wien, die Remise. Doch auch unabhängig von diesem bestimmten Gebäude aktiviert und destabilisiert das Werk auch weiterhin die architektonischen Gegebenheiten, in denen es präsentiert wird.


Antony Gormley
12. Juli bis 4. Oktober 2009