Anna Netrebko und Yusif Eyvazov sind das Traumpaar in Pique Dame an der Wiener Staatsoper

Tschaikowskys psychologisches Spielerdrama um Leidenschaft, Einsamkeit und Ausgrenzung wird mit russischer Starbesetzung zum bewegenden Ereignis in der Wiener Staatsoper. Tschaikowski selbst betrachtete seine Pique Dame als ein Meisterwerk, wie er in einem Brief an seinen Bruder und Librettisten Modest formuliert. Und als Kritiker konstatierte Leoš Janáček nach der Erstaufführung am Brünner tschechischen Theater (16.1.1896): „Zerrissen, stückhaft – ohne weitgespannte melodische Bögen. Die Instrumente des Orchesters werfen nur unruhige, stechende Töne auf. Und dennoch verwebt das souveräne musikalische Denken des Komponisten alle Bruchstücke zu einer so großartigen Gesamtwirkung, wie sie nur wenige Werke der Musikliteratur erreichen“.

Die Wiederaufnahme der Inszenierung 2007 des damaligen Jungstars Vera Nemirova hat noch immer Gültigkeit und funktioniert. (Vor 18 Jahren war ich davon so beeindruckt und nahm zweimal hintereinander Stehplatz!) Mit Bühnenbildner Johannes Leiacker entstand ein abstraktes, monumentales Vestibühl, das einmal Außen- und dann wieder herausgezoomter Innenraum ist, sich zu Beginn, der Geschichte folgend, in ein Kinderheim, nach Sanierung in eine Event-Location für das Intermezzo von „der Lauterkeit der Schäferin“ wandelt, in eine Kathedrale und zum Finale in die Spielhölle.  

Man könnte meinen, es wäre die Ständegesellschaft, die Lisa für Hermann unerreichbar erscheinen lässt, doch Lisa und ihre Tante, die Gräfin, haben den Außenseiter schon im Blick. Letztere ist Pique Dame, die das Geheimnis der drei Karten kennen solle, das den Liebhaber, welcher es entlockt, reich machen würde. Es stellt sich zwar heraus, dass Lisa die Braut des Fürsten Jeletzki ist, doch die schicksalhaften Verstrickungen sind bereits besiegelt. Tschaikowski vermittelt bei diesen vier Hauptfiguren ein tiefes psychologisches Verständnis und Mitgefühl für ihre Sehnsüchte, Hoffnungen, Verzweiflung.

Und sie bringen es alle eindrücklich auf die Staatsopern-Bühne: Anna Netrebko ist Lisa. DIE Netrebko ist eine rare und wahre Operndiva, doch ohne Allüren, einfach mit ihrer exzellenten Gesangskunst. Sie ist echt und leidenschaftlich, sie kann nicht anders, als Hermann zu lieben. Yusif Eyvazov (seine internationale Karriere darf unabhängig von seiner Ex-Frau gesehen werden) passt diese Rolle hervorragend – diese dunkle, reizvolle Gestalt, die mit demselben Wahnsinn liebt, wie er dann der Spielsucht verfällt. Seine mächtigen Tenorparts sind eindrucksvoll, seine Wandlung bis zum Amoklauf, in dem es nur noch um die drei Karten – Drei, Sieben und Ass – geht, höchst glaubwürdig. Er übermannt die Gräfin – wunderbar und elegant, Elena Zaremba – und erfährt ihr Geheimnis erst im Fiebertraum von ihrem Geist, sie kommt nämlich zu Tode. 

Ein Happy End wäre eigentlich zum Greifen nah gewesen, der edle Fürst Jeletzki, alias Boris Pinkhasovich (der russisch-österreichische Bariton begeistert mit seinen Arien und nicht nur durch die sympathische Rolle, er war auch kürzlich Herzog Robert in Iolanta), liebt Lisa so aufrichtig, dass er sie frei gibt. Hermann hätte es gar nicht mehr notwendig, sich durch ein im Glücksspiel erworbenen Vermögen als Heiratskandidat zu qualifizieren. Doch zu spät, er ist besessen von der Vorstellung des Reichtums und kommt erst sterbend, angesichts des Selbstmords von Lisa, zur Besinnung. Ergreifend in Personenführung und Musik! Sogar Tschaikowski beweinte beim Komponieren nach eigener Angabe dessen Bühnentod.

Als Dirigent springt (am 24.6.25) kurzfristig Michael Güttler für den mit Hexenschuss außer Gefecht gesetzten Timur Zangiev ein. Die erstklassigen Musikerinnen und Musiker des Orchesters, der wie immer eindrucksvoll wohlklingende Staatsopern-Chor und der Opernschule-Kinderchor wurden hervorragend durch das Werk geleitet, von dem Tschaikowski meint: „Ich schrieb die Oper mit ungewöhnlichem Feuer und Enthusiasmus, habe alles Geschehen in mir lebhaft durchlitten, mitempfunden, und hoffe nun, dass all meine Begeisterung, Erregung und Hingabe in den Herzen der empfänglichen Hörer ihren Widerhall finden werden“.

Pique Dame | Piotr I. Tschaikowski
nach Alexandr Sergejewitsch Puschkin
Libretto Modest I. Tschaikowski

Dirigent: Michael Güttler als Ersatz für Timur Zangiev
Regie: Vera Nemirova
Bühne: Johannes Leiacker
Kostüme: Marie-Luise Strandt

Hermann: Yusif Eyvazov
Lisa: Anna Netrebko
Jeletzki: Boris Pinkhasovich
Gräfin: Elena Zaremba
Tomski und Pluto: Alexey Markov; Tschekalinski: Andrea Giovannini
Surin: Ivo Stanchev; Tschaplitzki: Hiroshi Amako
Narumow: Dan Paul Dumitrescu; Festordner: Hans Peter Kammerer
Polina und Daphnis: Elena Maximova; Gouvernante: Stephanie Maitland
Mascha und Chloe: Maria Nazarova

Orchester und Chor der Wiener Staatsoper
Kinder der Opernschule und Ballettakademie der Wiener Staatsoper