Am Rande des Abgrunds

31. März 2008 Walter Gasperi
Bildteil

Vom faschistisch gefärbten Kampf heroischer Prachtkerle gegen eine übermächtige Natur hat sich der "Bergfilm" nach dem Zweiten Weltkrieg zum Actionspektakel und zur ideologiefreien Dokumentation sportlicher Höchstleistungen gewandelt.

Im Kino der Weimarer Republik erscheint der Berg als Ort der Bewährung und als Arena für einen großen Kampf mit der Natur. Mit semidokumentarischen Arbeiten wie "Das Wunder des Schneeschuhs" (1920) begründete Arnold Fanck das Genre und brachte es mit "Der heilige Berg" (1926) und "Die weiße Hölle vom Piz Palü" (1929) zu internationalem Ansehen. Im Mittelpunkt stand die Beschwörung einer erhabenen Natur, an der der Bergsteiger, der wie der Outlaw des amerikanischen Western außerhalb der bürgerlichen Gesellschaft steht, scheitert.

In seinem Streben nach Authentizität drehte Fanck dabei vielfach an Originalschauplätzen und setzte sich und sein Team gefährlichen Situationen aus. Die Kameramänner Sepp Allgeier, Richard Angst und Harry Schneeberger mussten auf Skiern und in felsigen Steilwänden mit der schweren Filmausrüstung hantieren und auch die Darsteller setzte der Regisseur Strapazen aus, damit sie sich mit den Rollen auch wirklich identifizieren könnten.

Das Werk Fancks führten in den 1930er Jahren Leni Riefenstahl und Luis Trenker, die beide Fanck als Darsteller entdeckt hatte, fort. Während Riefenstahl in "Das blaue Licht" (1932) den Naturmystizismus ins Übersinnliche steigerte, forcierte Luis Trenker in "Der Berg ruft" (1937), in dem die Erstbesteigung des Matterhorns geschildert wird, den Männlichkeits- und Ehrenkult der Bergsteiger. Die NS-Ideologie, die mit diesen Filmen transportiert wurde, führte zu einer Tabuisierung des Genres nach 1945.

In Deutschland wurde der Bergfilm nach 1945 als eine Spielart des Heimatfilms gepflegt. Statt dem Kampf um den Berg rückten schmalzige Liebesgeschichten in den Mittelpunkt wie in Trenkers "Duell in den Bergen" (1955) und "Flucht in die Dolomiten" (1956) oder Rolf Hansens "Föhn – Sturm in der Ostwand" (1950), einem Remake von "Die weiße Hölle vom Piz Palü".

Außerhalb Deutschlands entstanden nur vereinzelt Bergfilme. Rare Beispiele dafür sind Edward Dmytryks Mont-Blanc-Drama "Der Berg der Versuchung" ("The Mountain", 1956), "Sterne am Mittag" ("Les etoiles de midi",1959) des Franzosen Marcel Ichac oder Fred Zinnemanns Berg-Melodram "Am Rande des Abgrunds" ("Five Days One Summer", 1982).

In Deutschland knüpfte erst in den 90er Jahren Werner Herzog, der schon immer ein Faible für den deutschen Stummfilm und das Mythische hatte, mit "Schrei aus Stein" (1991) an die Tradition Arnold Fancks an. Ganz im Stil des Begründers des Genres lässt Herzog im vom Stürmen gepeitschten Patagonien einen Freeclimber und einen traditionellen Bergsteiger zum Kampf um eine Erstbesteigung und zugleich auch um eine Frau antreten.

Von diesem Mystifizierenden und Heroisierenden der Natur, aber auch der Protagonisten findet sich in Pepe Danquarts Dokumentation "Am Limit" (2007) nichts. In diesem nach dem Eishockey-Film "Heimspiel" (1999) und dem Tour de France-Film "Höllentour" (2004) Danquarts Sport-Trilogie beschließenden Film liegt der Fokus ganz auf der sportlichen Leistung der Speed-Kletterer Thomas und Alexander Huber. Jeder ideologische Hintergrund fehlt, nie wird die gewaltige Granitwand des El Capitan, die es zu bezwingen gilt, mystifiziert. Es geht einzig um die sportliche Leistung und die Beziehung der beiden Brüder.

Ideologiefrei ist auch Kevin McDonalds Dokudrama "Sturz ins Leere" ("Touching the Void", 2003), in dem der Brite in einer Mischung aus Interviews und Spielszenen unglaublich spannend nachzeichnet, wie zwei Bergsteiger bei einer Tour in den Anden verunfallten und sich gegen jede Wahrscheinlichkeit mit durch nichts zu brechendem Überlebenswillen dennoch retten konnten.

Dieser sachlichen Dokumentation stehen wieder die amerikanischen Berg- und Expeditionsfilme gegenüber, in denen der Berg nur Kulisse für zwar spektakuläre, aber vordergründige Actionspektakel ist. Weil die 8000er in Renny Harlins "Cliffhanger" (1993), Frank Roddams "K 2 – Das letzte Abenteuer" (1990) und Martin Campbells "Vertical Limit" (2000) die Bergwelt und die 8000er zu Abenteuerspielplätzen für die Kick-Generation degradiert werden, sind diese Filme eher dem Action-Genre als dem Bergfilm zuzuordnen.