Am Puls der Stadt - 2000 Jahre Karlsplatz

Der Karlsplatz ist seit Jahrhunderten eine der wichtigsten Drehscheiben Wiens, ein Platz der Widersprüche und ein Stadtraum mit hoher Intensität. Aber auch ein unterschätzter Ort, der viele Geheimnisse birgt. Immer schon war das Areal vor den Stadtmauern ein Hoffnungsgebiet für neue urbane Nutzungen und eine Bühne für Pluralität. Nirgendwo kreuzen sich so viele Wege, nirgendwo steigen Tag für Tag so viele Menschen um. Der Karlsplatz ist auch ein Tor zur "Unterwelt" der Stadt.

Als urbaner Zwischenraum, der einst zwischen befestigter Stadt und Vorstadt lag, war und ist der Karlsplatz zugleich Transitraum. Seine Lage prädestiniert ihn für eine exemplarische Stadtgeschichte, weil er ein viel größeres Spektrum abdeckt als Areale, die in der Stadtmitte liegen. Am Karlsplatz befinden sich einige der wichtigsten Kulturinstitutionen. Seit über 100 Jahren ist er auch ein Experimentierfeld der Moderne. Hier konzentrierten sich seit der Gründerzeit städtebauliche Visionen – und Konflikte. Vieles blieb provisorisch, immer war der Karlsplatz "unfertig", eine Restfläche für Utopien. So blieb er ein offener Ort mit Potenzial für die Zukunft.

"Am Puls der Stadt" ist die umfangreichste stadthistorische Ausstellung, die das Wien Museum in den vergangenen Jahren konzipierte, in ihrer Bedeutung vergleichbar mit der Schau "Alt-Wien" im Künstlerhaus (2004): Erstmals sind beide Sonderausstellungsräume des Museums (im Erdgeschoss und im 1. Obergeschoss) einem Thema gewidmet. Kunstwerke ersten Ranges sind ebenso zu sehen wie kulturhistorische Raritäten und erstaunliche Perspektiven auf einen dynamischen Stadtraum. Aufwändig gestaltete innovative 3-D-Computer-Animationen und Modelle begleiten die Zeitreise.

Einen weiteren Höhepunkt, diesmal im wörtlichen Sinne, bietet ein Kran der Firma Felbermayr, der von Juli bis September vor dem Wien Museum stehen wird: In einem Transportkorb geht es in eine Höhe von 35 Metern – ein einmaliger Blick über den Platz und ganz Wien! Ein umfangreiches Rahmenprogramm (Touren, Expeditionen) erschließt weitere Dimensionen des Platzes, von 8. bis 12. Oktober finden außerdem unter dem Titel "Karlsplatz-Kontroversen" hochkarätig besetzte Diskussionsveranstaltungen statt.

In zwölf Zeitschnitten werden die permanenten Veränderungen des vielschichtigen Areals unter unterschiedlichen thematischen Schwerpunkten und Fragestellungen dargestellt: von der frühen Aulandschaft über die Türkenbelagerung von 1529 bis zu U-Bahnbau und heutiger Situation. Ein wichtiges Gestaltungs- und inhaltliches Element sind "Zeitschleusen", die als Verbindungs- und Passagenräume zwischen den einzelnen historischen Phasen fungieren.

"Eine Aulandschaft an der Wien" beschäftigt sich in Zeitschnitt 1 mit dem Karlsplatz als naturräumlicher Landschaft, deren Flora, Fauna, Geologie und flussräumliche Struktur naturwissenschaftlich untersucht und im epochenübergreifenden Vergleich präsentiert werden.

Zeitschnitt 2 "Strassen nach dem Süden" widmet sich dem Karlsplatz zur Römerzeit, der im wesentlichen von zwei wichtigen, ihn kreuzenden Fernstraßen und repräsentativen Grabbauten entlang der Limesstraße geprägt war.

Der Karlsplatz des späten Mittelalters war Standort der beiden größten Spitäler Wiens, dem Heiligengeist- und dem Bürgerspital. Zeitschnitt 3 "Vor den Toren der Stadt" schildert neben diesem wichtigen Kapitel der Wiener Medizin- und Sozialgeschichte auch die Vorstadt Wieden als Siedlungs- und Gewerbegebiet mit bedeutenden, am Wienfluss gelegenen Mühlen.

In Zeitschnitt 4 "Im Sperrgebiet Glacis" dominiert der militärhistorische Aspekt. Als Konsequenz der Ersten Türkenbelagerung 1529, deren wesentliche Kampfhandlungen im Bereich des heutigen Karlsplatzes stattfanden, wird Wien von einem mächtigen, neuen Basteien- Gürtel umgeben. Für die folgenden 300 Jahre wird der Karlsplatz in einem "Niemandsland" zwischen Stadt und Vorstadt liegen.

Zeitschnitt 5 "Weltpolitik am Karlsplatz" thematisiert die Bau- Rezeptions- und Vermarktungsgeschichte des bis heute bedeutendsten Bauwerkes des Platzes, der Karlskirche. Sie sollte von Anbeginn an nicht nur ein Sakralbau, sondern auch eine politische Manifestation und ein kaiserliches Denkmal sein.

Wichtige Neubauten der Vorstadt Wieden, wie das polytechnische Institut oder die Großimmobilie des Freihauses, zeigt der Zeitschnitt 6 "Neubauten und Alleen" der sich mit dem Zeitraum von 1750 bis 1850 befasst. Infrastrukturelle Neuerungen und Verschönerungsmaßnahmen am Glacis, die Beliebtheit des Areals als Vedutenmotiv und die heute kaum mehr bekannte Bedeutung des Kärntnertores als Schauplatz wichtiger Fest- und Einzüge werden thematisiert.

In Zeitschnitt 7 "Hinter dem Boulevard" wird die gründerzeitliche Verbauung des Areals dargestellt. Wichtige bürgerliche Bildungs- und Kulturbauten wie Evangelische Schule, Künstlerhaus und Musikverein entstehen in dieser Zeit, die Chance zur Platzgestaltung wurde jedoch verpasst. Lebhaft und lebendig war jedoch das Alltagsleben am Platz, das besonders vom alten Naschmarkt und dem Verkehr über die Elisabethbrücke geprägt war.

Zeitschnitt 8 "Gegend wird Platz": Mit der Einwölbung des Wienflusses und dem Bau der Stadtbahn um 1900 ergab sich eine geschlossene Platzfläche – erst damit war der "Karlsplatz" in seiner heutigen Form entstanden. Erste Gestaltungs- und Verschönerungsmaßnahmen prägten den Plan oberirdisch, während unterirdisch soziale Randgruppen immer wieder in den Flussröhren und Kanälen Zuflucht suchten. Zugleich nahm eine erste Verklärungswelle auf den "verschwundenen" Wienfluss und das bedrohte Freihaus-Areal nostalgisch Bezug.

Zeitschnitt 9 "Streitplatz der Moderne" schildert den Karlsplatz als Schauplatz von zentralen Kulturkämpfen der Wiener Moderne. Die Secession entstand als Symbolbau der gleichnamigen Künstlervereinigung, die sich vom etablierten Künstlerhaus abwandte. Das von Adolf Loos eingerichtete Café Museum erschien den Zeitgenossen wiederum als "Café Antisecession". Otto Wagner schließlich scheiterte mit seinen zahlreichen Ideen für den Karlsplatz und vor allem mit seinem Schlüsselprojekt eines Kaiser Franz Josef-Stadtmuseums an mächtigen konservativen Gegnern.

Der Karlsplatz zwischen 1918 und 1970 ist Thema von Zeitschnitt 10 "Projekte und Provisorien". Die lange Geschichte unzähliger und letztlich ergebnislos gebliebener Karlsplatz-Planungen wird vom Bau oft temporärer, vielfach architektonisch umstrittener Gebäude an den östlichen und westlichen Rändern des Platzes begleitet. Parallel dazu erlebte das Areal zwischen 1920 und 1950 eine kurze, aber zeitgeschichtlich brisante Phase, die von politischen Aufmärschen der Zwischenkriegszeit bis zum Schwarzmarkt der Nachkriegszeit reicht.

Zeitschnitt 11 "Grösste Baustelle Europas" zeigt den in den 1970er-Jahren erfolgten Neubau des Platzes ober- und unterhalb der Erde. Fast ein Jahrzehnt lang dominierte hier eine riesige UBahn-Baustelle. Die Gestaltung des Resselparks und des Kirchenvorplatzes durch den Landschaftsarchitekten Sven-Ingvar Andersson und die als unbefriedigend empfundene Lösung des oberirdischen Verkehrs wurde von Bürger- und Architektenprotesten und intensiven Mediendebatten begleitet.

Der Karlsplatz seit den frühen 1980er-Jahren ist Thema von Zeitschnitt 12 "Viele Karlsplätze". Trotz Negativimage als Drogenplatz, Verkehrshölle und Architekturdesaster ist er heute ein Platz dichter Urbanität und vielfältiger Freizeitqualitäten. Das Unfertige, Prekäre und die schnelle Frequenz des Platzes eignen sich als Anknüpfungspunkt für subversive und interventionistische Kunstprojekte. Aktuelle Reformprojekte versuchen den Platz immer wieder neu durchzudenken, müssen sich in der Realisierung aber oft mit Detaillösungen und Oberflächenkorrekturen zufrieden geben.


Der 530 Seiten starke Katalog zur Ausstellung "Am Puls der Stadt" erscheint im Czernin-Verlag und bietet profunde Beiträge und Analysen von über 30 AutorInnen aus den unterschiedlichsten
Disziplinen – von Städtebau und Kunstgeschichte bis hin zu Geologie und Biologie.

Am Puls der Stadt - 2000 Jahre Karlsplatz
29. Mai bis 26. Oktober 2008