Am oder in Semmering?

Einer der Orte an den von mir häufig befahrenen Bahnstrecken, wo ich immer schon aussteigen wollte, ist Semmering. Dieser "Kultursommer" war eine gute Gelegenheit. Man dürfte eigentlich schon "in" Semmering sagen, auch wenn es die Gemeinde erst seit etwas über hundert Jahren als eigenständige gibt. Ein Dorfzentrum ist trotzdem vergeblich zu finden. Aber das sucht man ja am Semmering nicht.

Eigentlich hat die Südbahngesellschaft diesen Ort erfunden. Der Ingenieurs-Meisterleistung von Carl Ritter von Gegha ist nämlich die erste normalspurige Gebirgsbahn Europas (seit 1998 UNESCO-Weltkulturerbe) zu verdanken – der pionierhafte Bau der Semmeringbahn wäre aber ein eigenes Kapitel. Jedenfalls erkannte die k.k. Südbahngesellschaft diese damit so komfortabel von Wien aus erreichbare wunderschöne Naturlandschaft als neues, mondänes Urlaubsdomizil und erbaute in einzigartiger Panoramalage 1881 ein Grandhotel, wie sie es schon vor der Dolomitenkulisse in Toblach (Südtirol) und an der Adria in Abbazia/Opatija erfolgreich projektiert hatte.

Ein Palasthotel. Zur Jahrhundertwende und in der Belle Époque war das Südbahnhotel gesellschaftlicher und kultureller Mittelpunkt höherer Kreise in Europa. Das etwas nüchterne Sichtziegelbauwerk, mit anfangs doch schon sechzig Zimmern, wurde 1901 erweitert, ganz im Sinne der damals sehr beliebten Burg- und Schlossromantik und dem Späthistorismus verschrieben, was bald als "Semmeringstil" reichlich Nachahmung erfuhr: Ein dominierender, zur Mitte hin gestaffelter Turm, flankiert von verblechten Zwiebeltürmchen, bedachten Rauchfängen; mit tief herabgezogenen, Biberschwanz gedeckten Dächern; verzierten Holzbalkonen etc. Die Einrichtung der durchlaufend über Zwischentüren verbindbaren Zimmer (sehr diskret!) stand der Noblesse der Gäste um nichts nach. Das fein detaillierte Mobiliar – eichenfurniert und kirschfarben gebeizt – variierte in Intarsien, Leisten, Formen; edle Teppiche waren am Parkett ausgebreitet, luxuriöse Waschräume und Bäder selbstverständlich.

1912 kam der Trakt mit den großen Sälen hinzu: der prächtige Speisesaal und beidseitig anschließend der grüne sowie der gelbe Salon, Bibliothek, Waldhofsaal, zwei Bierstüberln und ein Kinotheater. Nach Fertigstellung hatte das Südbahnhotel inklusive Waldhof und aller Dependancen etwa 350 Zimmer. Anfang der 1930er Jahre kam es zur großzügigen Umgestaltung des Eingangsbereichs im eleganten Stil des Neo-Empire, mit den unerlässlichen Insignien eines Grandhotels wie Dreh-Eingangstüre und American Bar, was heute noch Großteils im Original erhalten ist. Aufsehen erregend war zudem das moderne, Marmorit verkleidete Hallenbad mit beweglichen Glas-Sprossen-Fensterfronten. Im Winter bot das Südbahnhotel Schipisten mit eigener Sprungschanze und Eislaufplätze (alles per Schlittenpendelverkehr erreichbar). Daneben gab es Bob- und Skeletonbahn sowie eine zwei Kilometer lange Naturrodelstrecke vom Pinkenkogel bis zum Hotel. Im Sommer spielte man Golf.

Blieb das Südbahnhotel im Dornröschenschlaf versunken und wird gerade vom neuen, viel-versprechenden – originalgetreue Restaurierung in enger Zusammenarbeit mit dem Denkmalschutz – Investor wachgeküsst, ist im großen Konkurrenzhotel Panhans in den letzten zehn Jahren Einiges – von einem ukrainischen Konsortium, das auch sämtliche Schiliftanlagen am Semmering aufgekauft hat, zu verantwortenden – passiert, beim Versuch dem historischen Gebäude den alten Geist des "Fin de Siecle" wieder einzuhauchen.

Der ehrgeizige, ehemalige Restaurantleiter im Südbahnhotel, Vinzenz Panhans, eröffnete 1888 ein eigenes Nobelhotel, das sein Sohn Franz 1912 mit einem 128 Meter langen Zubau (geplant vom Architekturbüro Fellner & Helmer) erweiterte, um dann mit 400 Zimmern zu den größten Hotels Mitteleuropas zu gehören. Die weitläufigen Jugendstil-Räumlichkeiten, wie der eindrucksvolle Festsaal und das ehemalige kleinere Hallenbad, bildeten dieses Jahr den stimmigen Rahmen für das engagierte Programm des "Kultur.Sommer.Semmering". Inspiriert von der ehemaligen Orangerie vis-à-vis am Aussichtsplateau, wurde dazu noch ein Kulturpavillon, geplant vom Architekturbüro Mostlikely Architecture, errichtet: heimisches Holz, in modularer Bauweise zerleg- und erweiterbar, mit raumhohen Glasflächen zur malerischen Semmeringer Bergkulisse.

Sehr subtil übrigens: In einem der Programm-Highlights las Cornelius Obonya Stefan Zweigs Schachnovelle vor – spannender als jedes Theaterstück! – und in meiner Recherche stellte sich heraus, dass in den 1920er/30er Jahren mehrere hochrangig besetzte Schachturniere in den Grandhotels am Semmering stattfanden.

Südbahnhotel.Kultur
"Skandale und Sensationen am Semmering", Führung durch das Südbahnhotel mit Dr. Lisa Fischer

Kultur.Sommer.Semmering
"Stefan Zweig – Der Seelenwanderer", Cornelius Obonya liest Stefan Zweigs Schachnovelle

"Tod eines Pudels", Angelika Kirchschlager, Mezzosopran; Alfred Dorfer, Kabarettist; Intendant Florian Krumpöck am Klavier