Alp-Traum

Dem Grundgedanken von Manifesta folgend, nämlich die je eigene, spezifische Situation des Austragungsortes und seiner Menschen in den Mittelpunkt der Aufmerksamkeit zu stellen, beschäftigen sich eine der beiden Ausstellungen der Galerie Museum, die mit Beteiligung von überregional vernetzten Südtiroler KünstlerInnen während der 100 Tage Manifesta7 ausgetragen wird, mit ebendieser Frage: wer sind wir als Menschen, als KünstlerInnen, als Kulturschaffende in einem regionalen und in einem europäischen Kontext, was macht unsere Identität aus in einer Welt, die sowohl Regionalisierung wie Globalisierung forciert, zu einem Zeitpunkt, zu dem der Diskurs von Zentrum und Peripherie schon lange mit neuen Vorzeichen versehen ist?

Künstlerische Praxis untersucht, thematisiert und reflektiert unseren äußeren (Umwelt, Kultur, Gebautes etc.) und inneren (Psyche, Zwischenmenschliches, Alltag etc.) Lebensraum, stellt diesen in Frage und konzipiert ihn immer wieder neu. Es geht um den Blick hinter die Fassaden, um das Sichtbar machen von Transformationen, Übergängen, Verbindungen und Formprozessen. Trennungen, Umrisse, Distanzen sind positiv, und als Nuancen wirksam. Zwischenräume sind konstitutiv. Annäherungen und Entfernungen sind wichtiger als starre Positionen und Definitionen. Auf dieser Suche nach dem Eigenen und dem Anderen zeigt die ar/ge kunst Galerie Museum im Rahmen der Ausstellung "Alp-Traum" verschiedene künstlerische Positionen, die sich mit äußeren, räumlichen, konstruktiven Parametern beschäftigen.

Maria Gamper (geboren 1982 in Meran, lebt und arbeitet in Münster/Meran) präsentiert eine Arbeit für den öffentlichen Raum mit dem Titel Wiesenkapelle (2008), eine Struktur in Form einer Kapelle, welche mit weißem Hagelnetz überzogen ist. Die Arbeit befindet sich in einem grünen Bereich an der Autobahnausfahrt Bozen Süd. Die Künstlerin greift in ihrer Arbeit die Einhüllung weiter Landschaftsstriche mit Hagelschutznetzen auf, welche zum Schutze der Apfelplantagen vor Wetterschäden dienen. Maria Gamper stellt die (Wechsel-)Beziehung zwischen Mensch und Raum in das Zentrum ihrer künstlerischen Auseinandersetzung. Dabei interessiert sie, wie Menschen ihren Umraum gestalten, und wie sich die architektonische Gestaltung der Räume umgekehrt auf den Menschen rückwirkt. Eine nostalgische und historische Komponente kommt mit ins Spiel, da Wiesenkapellen in der bäuerlichen Tradition Südtirols zum Schutze vor Wetterschäden errichtet wurden.

Die Arbeit von Krüger & Pardeller (geb. 1974 in Wien und 1962 Bozen, Zusammenarbeit seit 2004) befindet sich an der Schnittstelle von Architektur, Design und bildender Kunst. Commutator bar (segment) (2008) vereinigt zwei wesentliche Merkmale unserer Wahrnehmung von architektonischen Elementen, die Fassade und die Jalousie. Sie ist als Objekt nicht funktional, sondern dient der Abstraktion von Ideen, indem sie das Verhältnis von Innen und Außen, Privatraum und Öffentlichkeit, aber auch von Funktion und Dekor verdeutlicht. Die beweglichen Lamellen können in verschiedenen Positionen arretiert werden, so dass der Durchblick ganz, halb, oder gar nicht gegeben ist. Commutator bar (segment) thematisiert in seiner konstruktiven, minimalistischen Form die Funktion von architektonischen Elementen sowie deren identitätsstiftende und soziale Bedeutung in Gestalt einer Skulptur.

Sonia Leimer (geboren 1977 in Meran, lebt und arbeitet in Wien) thematisiert mit ihrer Arbeit M (2007) den Zusammenhang von verschiedenen zeitlichen Räumen, die in unterschiedlichen Formen an einem bestimmten Ort zusammenkommen. Anhand eines architektonischen Details, der Metallkonstruktion des Großbuchstabens "M", welcher einst am Dach von Manhattan Hotels in New York zu finden war und kürzlich für das höchste Gebäude in Rotterdam, "Montivideo", wiederentdeckt wurde, konstruiert die Künstlerin dessen Geschichte anhand einer subjektiven Erzählung, und spannt somit einen Denkraum auf, der Fragen nach kultureller Transformation und dem Raum dazwischen aufwirft. Über diese Aneignung einer fremden Geschichte und deren Verknüpfung mit der Biografie der Künstlerin wird "M" auch zu einem Teil der persönlichen Geschichte des Betrachters.

Zentrales Thema in Philipp Messners (geb. 1975 in Bozen, lebt und arbeitet in München) Wandarbeit "Rising Star" (2008) ist die Hinterfragung der menschlichen Wahrnehmung, im Speziellen die Frage nach unserer Erwartungshaltung angesichts dessen, was wir sehen. Es geht um symbolbehaftete Formen – in diesem Falle den Stern - und ihre identitätsstiftende Funktion. Gleichzeitig betreibt Messner ein Spiel mit dem menschlichen Wahrnehmungssystem, indem er unser Auge zwischen Zwei- und Dreidimensionalität irritiert, und somit die Frage nach Authentizität, Realität und Abbild stellt. Messner geht es um das Experiment der Überprüfung der Wahrnehmung des Betrachters in Bezug auf die Fiktion der Oberfläche.

Leander Schwazer (geboren 1982 in Sterzing, lebt und arbeitet in Zürich/Bozen) stellt eine ca. 180 x 250 cm große Skulptur in den Galerieraum, deren Form an jene eines Berges erinnert, aber gleichfalls auch andere Assoziationen hervorrufen kann. Das Objekt ist zur Gänze aus Reisverschlüssen genäht, wodurch Lalian (2008) inhaltlich mit Fragestellungen von Innen und außen bzw. sich Einschließen versus sich Öffnen verknüpft werden kann. Auf der Ebene der formalen Bedeutung löst Lalian eine Reihe von Assoziationen aus, welche aufgeladene konventionelle Werte und Traditionen beinhalten. Diese Verbindung zwischen prägnanter ästhetischer Erscheinung und emotionaler Geladenheit verweist auf den Charakter des Objektes als Fetisch.

Um Fragestellungen rund um die Konzeption von Wirklichkeit geht es bei der großformatigen Fotoarbeit "o.T." (2008) von Karl Unterfrauner (geboren 1965 in Meran, lebt und arbeitet in Bozen). Zentrum der Bildbetrachtung ist eine Autobahn-Straßenlampe, welche Unterfrauner als Nachtaufnahme in romantisch verklärtem Licht inszeniert. In ihrer Größe und objekthaften Präsenz repräsentiert die Autobahnlampe einen Teil von Realität, der aus seinem gewohnten Kontext entfernt und in den Galerieraum verfrachtet wird, um dort neue Bedeutungsebenen zu erlangen. Unterfrauner greift hier einerseits das Thema der Ästhetisierung von Landschaft/gebauter Umgebung in Kunst, Medien und Werbung auf, und bespricht gleichzeitig die Ambivalenz der menschlichen Wahrnehmung von Wirklichkeit.


Alp-Traum - Ein Projekt der Plattform "Parallel Events to Manifesta7"
12. Juli bis 30. August 2008