Alles neu! 100 Jahre Neue Typografie und Neue Grafik in Frankfurt am Main

Nach dem Ersten Weltkrieg entstand in Frankfurt am Main ein einzigartiges Modernisierungs- und Gestaltungsprojekt, das als "Das Neue Frankfurt" vor allem in die Architekturgeschichte eingegangen ist. Es handelte sich dabei jedoch um ein sehr viel umfangreicheres Vorhaben, das politische, gesellschaftliche und gesamtkulturelle Dimensionen besaß und keinen geringeren Anspruch hatte, als eine neue Stadt und eine neue Gesellschaft zu erschaffen.

Design, vor allem auch Grafikdesign, visuelle Kommunikation und Schriftgestaltung spielten in diesem "Neuen Frankfurt" eine herausragende Rolle. Das Frankfurter Museum Angewandte Kunst nimmt in der Ausstellung "Alles neu! 100 Jahre Neue Typografie und Neue Grafik in Frankfurt am Main" und der begleitenden Publikation erstmalig eine systematische Aufarbeitung dieser Epoche für den Bereich Typografie und Grafikdesign vor.

Die vom 25. März bis 21. August 2016 zu sehende Schau stellt die 1920er Jahre ins Zentrum, spannt den zeitlichen Bogen jedoch weiter über die Nachkriegszeit bis in die 1980er Jahre und ergänzt durch Spotlights auf die lebendige Designszene heute. Damit setzt das Museum seine langfristig angelegte Reihe zum Frankfurter Design fort, die 2013 mit der Überblicksausstellung "Das Frankfurter Zimmer" begonnen und 2014 mit einem Schwerpunkt zum gestalterischen Werk Ferdinand Kramers weitergeführt wurde.

Wie schon diese Ausstellungen zeigt auch "Alles neu!" wieder an konkreten Beispielen auf, dass sich in und um Frankfurt am Main eine spezielle Gestaltungshaltung herausgebildet hat, die sich durch eine generelle Offenheit gegenüber dem Neuen, gegenüber möglichen Utopien und Alternativen zum jeweiligen Status Quo auszeichnet. Über den langen abgebildeten Zeitraum von 100 Jahren und alle – teils radikalen – formalen Brüche hinweg ist diese Haltung stets erkennbar, dank derer die Mainmetropole ein international bedeutender Hotspot für neue Gestaltungslösungen war und ist.

Ausgangspunkt der Ausstellung "Alles neu!" ist eine rund 7.000 Stücke umfassende Sammlung von Geschäfts- und Privatdrucksachen aus dem Nachlass des Buchdruckermeisters und Schriftsetzers Philipp Albinus (1884-1957). Albinus war von 1924 bis 1934 Fachlehrer für Typografie und Werkstattleiter für Schriftsatz an der Städtischen Kunstgewerbeschule, ab 1924 außerdem Vorsitzender des Kreisvorstandes des Bildungsverbandes der Deutschen Buchdrucker. Er wurde zu einem wichtigen Vertreter der Neuen Typografie und der radikalen Kleinschreibung in Frankfurt, die er in Vorträgen und Publikationen nachdrücklich propagierte und mit den Studierenden der Kunstgewerbeschule praktizierte.

In der Zeit von 1910 bis 1950 legte Philipp Albinus eine umfangreiche Mustersammlung an, die zahlreiche Kleingrafiken, Werbe- und Geschäftsdrucksachen, Einladungen und Programmhefte enthielt, darunter Auftragsarbeiten für den Magistrat der Stadt Frankfurt, eigene Arbeiten Albinus’ und seiner Schülerinnen und Schüler sowie Jahres- und Glückwunschkarten anderer Ortsgruppen des Bildungsverbandes der Deutschen Buchdrucker. Die Sammlung Albinus wurde in der Vorbereitung für die Ausstellung "Alles neu!" erstmalig wissenschaftlich aufgearbeitet und wird hier – in Auszügen – zum ersten Mal öffentlich präsentiert. In weiten Teilen mehr Ansammlung als gezielte Sammlung und damit vergleichsweise ungefiltert, bietet der Nachlass Albinus einen einmaligen Einblick in das typografische und werbegrafische Geschehen jener Zeit.

In den Zwanziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts erlebte Deutschland einen tiefgreifenden Umbruch im Bereich Schriftgestaltung. Bis dahin wurden in Drucksachen zumeist gebrochene Schriften verwendet, die noch auf die Zeit der Erfindung des Buchdrucks zurückgingen. Mit der "Neuen Typographie", welche die sogenannten Groteskschriften propagierte, zog die Gestaltungsmoderne innerhalb weniger Jahre in den Bereich der gedruckten Schriften ein. Neben László Moholy-Nagy, El Lissitzky und Kurt Schwitters waren es vor allem Schriftgestalter, Buchdrucker und Setzer – also jene, die sich hauptberuflich mit typografischer Gestaltung befassten – die ganz wesentlich zur Durchsetzung und Verbreitung der "Neuen Typographie" beitrugen.

Die Analyse der Sammlung Albinus legt nahe, dass in Frankfurt und im Rhein-Main-Gebiet vor allem der Bildungsverband der Buchdrucker hierbei eine wichtige Rolle spielte. Dies deckt sich mit dem Ergebnis einer gerade abgeschlossenen Dissertation von Julia Meer, welche eine entsprechende Bedeutung des Bildungsverbandes in der gesamten Zeit der Weimarer Republik nachweist. Weitere wichtige Akteure waren die in Frankfurt und Offenbach ansässigen Schriftgießereien, die das Rhein-Main-Gebiet in der Praxis zum wichtigsten Standort für die Reform der Typografie machten. Die Gießereien vertrieben die neuen Schrifttypen und beförderten die Durchsetzung der "Neuen Typographie" damit entscheidend. Hierzu zählt auch die Schrift Futura, die 1927 von Paul Renner entworfen und von der Frankfurter Bauerschen Gießerei umgehend weltweit vertrieben wurde; sie wurde zu einer der erfolgreichsten Schriften des 20. Jahrhunderts.


Alles neu! 100 Jahre Neue Typografie und Neue Grafik in Frankfurt am Main
25. März bis 21. August 2016