Alison Bechdel – 40 Jahre feministisch-queere Comickunst

Mit ihrem Welterfolg „Fun Home – Eine Familie von Gezeichneten” erlangte die vielfach preisgekrönte US-amerikanische Comicautorin und -zeichnerin Alison Bechdel auch in Europa große Bekanntheit. In dieser ersten längeren Graphic Novel legt sie den Fokus auf ihr Verhältnis zu ihrem bisexuellen Vater. Bereits vor diesem Bestseller inspirierte sie mit ihrer 1983 gestarteten, klugen und humorvollen Soap Opera „Dykes to Watch Out For” die queere Szene und wurde zu einem Vorbild für nachfolgende Generationen.

Das Cartoonmuseum Basel – Zentrum für narrative Kunst – zeigt erstmals in Europa einen umfassenden Querschnitt durch das Werk der wichtigsten queeren Comickünstlerin der USA. In ihren Geschichten verbindet sie eine Vielzahl gesellschaftspolitischer, philosophischer und literarischer Themen zu einem gehaltvollen und gleichzeitig heiteren Gesamtwerk. Ein Highlight der Ausstellung sind Originale aus Alison Bechdels gerade erschienener, autobiografischer Graphic Novel „Spent”, in der alte Bekannte aus ihrem Comicuniversum auftauchen und in der sich ihr Alter Ego mit der Frage beschäftigt, ob ein ethisches Leben im Kapitalismus möglich ist. Vorarbeiten, Fotografien, Filme und Bezüge zur Geschichte der Schweizer Schwulen- und Lesbenbewegung runden die Ausstellung ab.

Alison Bechdel schreibt ehrlich, direkt und zugleich äußerst reflektiert und differenziert. Viele ihrer introspektiven Geschichten thematisieren die eigene Sprachlosigkeit auf der Suche nach dem Selbst. Alle ihre Alben folgen einem autobiografischen oder autofiktionalen Ansatz, der Alltag mit Theorie und Realität mit Fantasie verbindet. Ihre Zeichnungen sind stilisiert, aber realistisch, und spiegeln das innere Erleben ihrer Figuren sehr fein wider. Während Bechdel zu Beginn hauptsächlich schwarz-weiß arbeitete und nur zurückhaltend Farben einsetzte, sind in den letzten Jahren in Zusammenarbeit mit ihrer Partnerin Holly Rae Taylor, die die Zeichnungen kolorierte, buntere Bücher entstanden.

„Fun Home – Eine Familie von Gezeichneten” („Fun Home: A Family Tragicomic”) aus dem Jahr 2006 ist eine Geschichte über Alison Bechdels Vater, der den Schein einer heilen Familienwelt aufrechterhält, im Verborgenen aber Beziehungen mit Männern hat. Kurz nachdem sich Alison als lesbisch geoutet hat, kommt sein Doppelleben ans Tageslicht und seine Ehefrau will sich nach vielen unglücklichen Ehejahren scheiden lassen. Nur wenige Tage später wird er von einem LKW tödlich erfasst. Da die Eltern von Alison ein Bestattungsunternehmen führen, stellt sich die makabere Frage, wer den Bestatter begräbt. 2013 wurde „Fun Home” erstmals am Broadway aufgeführt. Der zwei Jahre später mit dem Tony Award prämierte Erfolg zeigt die gesellschaftliche Relevanz und das Bedürfnis des Publikums nach vielfältigen Rollenbildern.

Mit dem 2013 erschienenen „Wer ist hier die Mutter?” („Are You My Mother?”) folgt die Betrachtung der komplexen Mutter-Tochter-Beziehung. Als ihr erstes Kind auf die Welt kommt, muss Bechdels Mutter den Traum begraben, eine erfolgreiche Autorin zu werden. Sie ist zwar im Haus, aber für ihre Tochter nicht ansprechbar, sodass diese einsam aufwächst. Die Leserschaft begleitet Alison auf der Suche nach Halt bei ihren Freundinnen, Therapeutinnen und in ihrer Arbeit als Autorin.

Bechdels Geschichten eröffnen unzählige Bezüge zur Kunstgeschichte, Philosophie, Psychologie und Literatur. Eher ungewollt große Bekanntheit erlangte der nicht ganz ernst gemeinte sogenannte „Bechdel-Wallace-Test“: Dieser stammt aus einem Dialog in einer frühen Geschichte Bechdels und ermöglicht es, mit drei einfachen Fragen grob einzuschätzen, ob ein fiktives Werk sexistische Geschlechterklischees nutzt. Bechdels „Das Geheimnis meiner Superkräfte” („The Secret to Superhuman Strength”) aus dem Jahr 2021 ist ein Selbstporträt, in dem sie sich auf intellektuelle und witzige Weise mit Körperidealen, Selbstoptimierung und dem Kampf gegen das Altern auseinandersetzt. In ihrer in diesem Jahr erscheinenden satirischen Graphic Novel „Spent” porträtiert sie US-amerikanische Lebensentwürfe zwischen Pandemie und Polyamorie sowie eine Künstlerin, die sich mit ihrer Partnerin von New York auf einen abgelegenen Bauernhof zurückgezogen hat, umgeben von Farmtieren und begleitet von queeren Freundschaften.

„Ich habe mich nicht als Aktivistin oder lesbische Separatistin gesehen, obwohl viele meiner Freundinnen das waren. Ich spürte einfach, wie wichtig es war, ein genaues Bild von mir und uns im kulturellen Spiegel zu sehen, und so beschloss ich, ein solches zu schaffen.“ (Alison Bechdel, Interview mit Judith Thurman für „The New Yorker“, 2012)

„Alison Bechdel. The Essential” im Cartoonmuseum Basel zeigt erstmals in Europa 250 Originalzeichnungen, Filme und Objekte aus allen Alben der US-amerikanischen Künstlerin in einer großen Überblicksausstellung. Die Ausstellung blickt auf 40 Jahre feministisch-queere Comickunst und die Reflektion unterschiedlicher Lebensmodelle in einer vielfältigen Gesellschaft zurück, in der Humor alle Menschen miteinander verbindet – ungeachtet ihrer Herkunft, Hautfarbe oder sexuellen Orientierung.

Alison Bechdel. The Essential
Bis 26. Oktober 2025