Alina Szapocznikow - Sprachen des Körpers

Noch bis zum 6. Juli zeigt das Kunstmuseum Ravensburg eine Einzelausstellung der polnischen Bildhauerin Alina Szapocznikow (1926 - 1973). Trotz ihres innovativen Schaffens erlangte die Künstlerin erst in den letzten beiden Jahrzehnten internationale Bekanntheit. Im Zentrum von Szapocznikows bildhauerischem und zeichnerischem Werk steht der menschliche Körper, an dem sie schonungslos die Fragilität der Existenz und die Paradoxien des Lebens thematisiert. Ihre unermüdliche Suche nach unkonventionellen bildhauerischen Praktiken, Materialien und Formen macht sie zu einer jener wegweisenden Bildhauerinnen, die - neben Lynda Benglis, Louise Bourgeois und Eva Hesse - maßgeblich zur Erweiterung des Skulpturalen beigetragen haben.

Die Ausstellung "Körpersprachen" vereint über 80 Skulpturen und Zeichnungen und spannt einen Bogen von der Mitte der 1950er Jahre bis kurz vor Szapocznikows frühem Tod im Alter von 46 Jahren. Im Mittelpunkt steht das sinnlich verstörende und humorvoll provozierende Werk, das die Holocaust-Überlebende - im Kontext des zeitgenössischen Kunstgeschehens und ihrer eigenen biografischen Erfahrungen - in ihrer experimentellsten Schaffensphase ab Mitte der 1960er Jahre in Paris entwickelte. Die Ausstellung zeichnet den künstlerischen Werdegang der Bildhauerin nach, die im traditionell figurativen Stil zu arbeiten begann und mit ihren von ihr so bezeichneten "unbeholfenen Objekten" ("objets maladroits") aus instabilen und amorphen Formen internationale Sichtbarkeit erlangte. Zum Markenzeichen ihrer bildhauerischen Praxis wurden Abgüsse von meist eigenen Körperteilen.

Zu den bekanntesten Werkserien von Alina Szapocznikow gehören "Lampe-bouche" ("Illuminierte Lippen", 1966) und "Sculpture-lampe" ("Skulptur-Lampe", 1970). Diese verführerisch inszenierten Werke aus Abgüssen sensibler Körperzonen sind Hybride zwischen Skulptur und Gebrauchsgegenstand. Wie an einem Blütenstängel wachsen rot gefärbte Lippen, Brüste, Gesäßhälften und plastisch geformte Phalli zu floralen Gebilden, die als funktionale Lampen aus Polyesterharz von innen heraus leuchten und sich ebenso exzentrisch wie selbstbewusst im erweiterten Feld der Skulptur ihrer Zeit behaupten. Mit diesen provokanten Formen spielt Szapocznikow, ähnlich wie in ihrer Serie "Dessert" (1970-1971), auf den weiblichen Körper als warenförmige Attraktion im Kontext von Massenproduktion und Konsumgesellschaft an. Der fragmentierte Körper ist sowohl plastisches Material als auch Thema ihrer Arbeiten.

Bereits in Polen beginnt Alina Szapocznikow als etablierte Bildhauerin mit Arbeiten wie "Eksumowany" (Exhumiert, 1955/1957) - eine Hommage an den 1949 unter stalinistischer Herrschaft ermordeten ungarischen Aktivisten László Rajk -, "Pnąca" ("Kletternde", 1959) und "Maria Magdalena" (1959-1960) die Totalität der menschlichen Figur zu dekonstruieren. Im Paris der 1960er Jahre entstand ihr Werk in Auseinandersetzung mit dem Surrealismus und den zeitgenössischen Tendenzen des Nouveau Réalisme und der Pop Art. Sie begann, Maschinenteile in ihre Skulpturen zu integrieren - wie in der überlebensgroßen Plastik "Machine en chair" (Fleischige Maschine, 1963-1964) oder in ihrer berühmten Assemblage "Goldfinger" (1965) - und erweiterte ihr skulpturales Materialspektrum durch die Integration von persönlichen Fotografien, Medienbildern und Kleidungsstücken. Experimente mit neuen Industriematerialien wie Polyester und Polyurethan, die bis dahin vor allem in der Haushalts- und Industrieproduktion Verwendung gefunden hatten, eröffneten Szapocznikow neue Gestaltungsmöglichkeiten und die Möglichkeit, den Prozess der Körperabformung zu systematisieren. Von nun an werden vervielfältigte Abgüsse von Körperteilen zu entscheidenden Bausteinen ihres künstlerischen Vokabulars. So etwa in den Arbeiten "Soliter" (Samotny), "Nemrod" (Sinobrody) und "Noyée (Plongée)" (jeweils 1968) aus der "Expansion-Serie", in denen Abgüsse des Bauches ihrer Freundin bzw. eines weiblichen Oberkörpers in einer schwarzen, amorphen Polyurethanmasse zu versinken scheinen. Diese Arbeiten sind frühe Beispiele ihrer Arbeit mit dem sich schnell ausdehnenden Kunststoff Polyurethan, der das Unvorhersehbare zum produktiven Bestandteil ihrer bildhauerischen Praxis macht. Der direkte Körperbezug und die Formbarkeit des Materials finden eine weitere Ausprägung in ihren "Fotorzeźby" (Fotoskulpturen, 1971), in denen sie im Mund modellierte Objekte aus Kaugummi arrangiert und wie traditionelle Skulpturen fotografieren lässt. Auffällig ist die provozierte Beiläufigkeit der zufällig im Alltag entstandenen Form. Parallel zur Expansion-Serie entstehen weitere "Bauchskulpturen aus Carrara-Marmor", in denen diese vertraute Körperzone durch Vergrößerung, Verkleinerung und gewagte Stapelung in eine abstrakt anmutende Form überführt wird.

Szapocznikow war sich stets der Zerbrechlichkeit der menschlichen Existenz bewusst, die ein zentrales Thema ihrer Arbeit darstellt. Immer wieder sah sie sich existenziellen Bedrohungen ausgesetzt - von der Internierung in Konzentrationslagern bis hin zu lebensbedrohlichen Krankheiten. 1969 wurde bei Szapocznikow Brustkrebs diagnostiziert. Erinnerung, Trauma und Vergänglichkeit rücken zunehmend in den Fokus der Künstlerin, sowohl in ihrer späten Serie "Souvenir" als auch in ihren "Tumor"-Skulpturen aus Polyesterharz, die, angereichert mit Fotografien, Zeitungen und Mullbinden, dem Fremden in ihrem Körper ungehemmt Ausdruck verleihen. Im Wissen um ihren nahen Tod entsteht ab 1971 ihre letzte, ergreifende Werkserie "Herbier" (Herbarium), die aus Abgüssen ihres eigenen Körpers und dem ihres Sohnes Piotr besteht. Die Flachreliefs aus Polyesterharz erinnern als hautartige Hüllen an die vergangene Präsenz des menschlichen Körpers, an vergangene Berührungen. Ähnlich wie die Sammlung getrockneter und gepresster Pflanzen sind diese Arbeiten Erinnerungsskulpturen und spiegeln Szapocznikows lebenslanges Bestreben wider, dem Vergänglichen durch ein erweitertes Verständnis der skulpturalen Form Dauer zu verleihen.

Alina Szapocznikow erforschte die Sprache des Körpers, seine Verletzlichkeit, Vitalität und Erotik: "Ich bin überzeugt, dass von allen Äußerungen des Vergänglichen der menschliche Körper am verwundbarsten ist, die einzige Quelle aller Freude, allen Leidens und aller Wahrheit", so die Künstlerin 1972. Ihr Werk zeugt von der tiefen Zuversicht, Formen zu finden, die die Gegenwart überdauern, und ist heute so visionär wie zu seiner Entstehungszeit.

Alina Szapocznikow - Körpersprachen
bis 6. Juli 2025