Alicja Kwade - Ereignishorizont

Von Anfang April bis Ende Mai 2010 zeigt die Kestnergesellschaft eine Ausstellung mit Werken der in Hannover aufgewachsenen Künstlerin Alicja Kwade (*1979 in Kattowitz, Polen). Die Künstlerin richtet damit ihre erste institutionelle Einzelausstellung aus, die in Kooperation mit dem Westfälischen Kunstverein in Münster durchgeführt wird.

Kwade widmet sich in ihren Skulpturen und Installationen dem Raum zwischen Sichtbarkeit und Unsichtbarkeit. Sie befragt die selbstverständlichen Mechanismen der Wahrnehmung von Objekten und Materialien, sowie von kulturellen Ordnungen. Im Hintergrund ihrer Arbeiten steht das Interesse an physikalischen Gesetzen und Theorien, die sie in poetische Kommentare zum Verständnis von Wirklichkeit und dem Umgang mit ihr übersetzt.

Alicja Kwade wird eine Reihe neuer Arbeiten zeigen, etwa "Kommunikative Fernwirkung" (2010): Das Werk besteht aus zwei baugleichen Leuchtstoffröhren, verbunden durch einen automatischen Schalter, der sie gleichzeitig aufleuchten und wieder ausgehen lässt. Damit bezieht sich die Künstlerin auf das Konzept einer Parallelwelt, der zufolge es zu jedem Teilchen einen Gegenpart gibt, der sich genau gleich verhält, bloß spiegelverkehrt. An die Lampen angeschlossen sind Lautsprecher, die das Zünden und Summen um ein vielfaches verstärkt wiedergeben. Die Leuchtstoffröhre als mittlerweile traditionelles Material der Kunst zeigt sich hier weder als stumme Skulptur noch als rein funktionale reglose Lichtspenderin, sondern eher als Zentrum von lautstarken Aktivitäten: von Gasentladungen, dem Aufbau elektrischer Spannung und elektrochemischen Reaktionen. Die beiden Lampen scheinen über die Länge des Raumes hinweg miteinander zu kommunizieren, miteinander verbunden zu sein.

Das ständige Befragen von Zusammenhängen, vom Funktionieren der Realität ist es, was sich in Kwades Arbeiten niederschlägt; wie auch die Beobachtung, wie sehr das momentane Erscheinungsbild der Welt von zufälligerweise gleichzeitig ablaufenden Vorgängen bestimmt ist. "Kooperatives Phänomen (Grundkraft)" (2010) arbeitet mit den Erwartungen und Erfahrungen, die Betrachter im Umgang mit Gegenständen mitbringen. Materialien wie eine Glasplatte, Spiegel, eine Stahlplatte, eine Holzstange biegen sich unterschiedlich stark nach oben, wobei sie kreisförmig um ein imaginäres Zentrum herum angeordnet sind. Unter normalen Umständen ist ein solches Verhalten des Materials undenkbar. In den Vordergrund rücken hier genau solche als normal und alltäglich angenommenen Gesetzmäßigkeiten, das Funktionieren der Welt – und dessen Unterbrechung.

So gerät die Vielschichtigkeit und Zufälligkeit der Realität ins Blickfeld, auf die Alicja Kwades Arbeiten immer wieder Bezug nehmen. Hinter den glatten Oberflächen lauern die Rätsel und die grenzenlose Verwunderung, dass wir die Welt so verstehen, wie wir es tun – und im Anschluss daran stellt sich die Frage, die alle Kunst umtreibt: Wie man sich diese Welt sonst noch vorstellen kann. Diese Fragestellung aktualisiert Kwade mit ihren hartnäckigen Betrachtungen von Objekten, Vorstellungen und Theorien, die in sinnliche, perfekt ausgeführte Installationen und Skulpturen münden.

Alicja Kwade studierte bis 2005 Bildende Kunst an der Berliner Universität der Künste. Im Jahr 2008 gewann sie den renommierten Piepenbrock Förderpreis für junge Skulptur, in dessen Rahmen sie eine Einzelausstellung im Hamburger Bahnhof – Museum für Gegenwart in Berlin einrichtete. Sie war international in zahlreichen Gruppenausstellungen vertreten, wie jüngstens bei einer Gruppenausstellung im Düsseldorfer Museum K21.

Katalog: "Alicja Kwade" erscheint in Kooperation mit dem Westfälischen Kunstverein im Distanz Verlag mit Texten von Kirsty Bell, Veit Görner, Kathrin Meyer, Katja Schröder.160 Seiten mit 100 farbigen Abbildungen, 25 Euro (40 Euro im Buchhandel).

Alicja Kwade - Ereignishorizont
9. April bis 24. Mai 2010