Alexandra Bircken im Hamburger Kunstverein

Alexandra Bircken kombiniert alltägliche, uns allseits bekannte und vertraute Materialien zu skulpturalen Objekten. Sie verwendet Fundstücke wie Äste, Steine, Draht und Folien ebenso wie Haare, Strumpfhosen, Zeitungsfetzen, Schaumstoff, die sie zu Bildern oder Skulpturen verwebt. Der Grundstoff in Birckens Werk aber ist Wolle. Der Faden taucht immer wieder auf, verbindet und verknüpft einzelne Objekte zu einem offenen Gewebe wie in den "Units", großen Netzbildern, die sich zwischen Rahmenkonstruktionen spannen; oder er wird buchstäblich verstrickt zu narrativen Objekten.

Dabei bauen sich ihre Arbeiten von innen heraus auf. So ist die Wolle zunächst ein Faden aus dem durch einfache Handarbeit etwas entsteht, sich ein Objekt aufbaut, das auf Ästen nisten kann oder anschließend von Mörtel eingeschlossen wird. Ihre Materialien schmiegen sich einander an, umhüllen einander und stehen oftmals in einem spannungsvollen Gegensatz: Pigmentiertes Wachs überzieht Maschendraht oder Haare umhüllen einen Ski. Die weichen Materialien stellen sich dabei ihren geschlechtsspezifischen Stereotypen, konterkarieren sie und verdeutlichen so auf implizite Weise ihre Widersprüchlichkeiten.

Alexandra Birckens kompositorische Arbeitsweise belässt das gefundene Objekt nicht in seinen ursprünglichen Eigenschaften, denkt ihre Bedeutungsweisen aber gleichwohl mit und lässt organische Objekte entstehen. Unweigerlich muss man an die Anti-Form von Robert Morris und Eva Hesse denken, nur dass Birckens Arbeitsweise stärker ein Prinzip des Readymades nutzt, um es ihren Bild und Skulptur gebenden Verfahren einzuverleiben. Dabei steht die Form des einzelnen Fundstücks im Hintergrund und der künstlerische Akt ist kein Aussuchen, kein Umwerten in erster Instanz, sondern ein grundsätzliches Aufbauen aus Dingen, die uns zur Verfügung stehen und die über sich selbst hinaus geführt werden können – ein Ideal metamorphotischer und organischer Entwicklung.

Der Bezug zum textilen Material ist nicht zufällig. Die 1967 in Köln geborene Künstlerin hat bis 1995 am Central Saint Martins College of Art and Design in London Modedesign studiert. Bis zu ihrer ersten Ausstellung 2004 bei "BQ" in Köln entwarf sie Mode und textile Accessoires, die zwar getragen werden konnten aber ihre rein funktionalen Gebrauchseigenschaften bereits stückweise verloren hatten und schon skulpturalen Charakter aufwiesen. 2004 erhielt Alexandra Bircken ein Atelierstipendium des Kölnischen Kunstvereins. Seit dem ist sie regelmäßig in internationalen Ausstellungen vertreten. Bircken setzt die handarbeitliche Arbeitsweise des Strickens bewusst als künstlerisches Mittel ein, um unterschiedliche Erzählungen und Erzählstile zu einem "alexandrinischen Textilgewebe" zu verbinden.

Dadurch eröffnen sich unterschiedliche Interpretationsebenen, ohne dass Bedeutungen aufgedrängt werden. Der kritische Ansatz in Birckens Arbeiten kommt auf den ersten Blick so zart und weich daher, wie das Maschengewebe selbst. Tatsächlich ist er aber genauso fest in ihnen verknotet und untrennbar mit ihnen verwoben. Der künstlerische Ansatz ist keine fadenscheinige Reminiszenz an die eigene Biographie. Vielmehr beinhaltet er ein Nachspüren und Hinterfragen tradierter Geschlechter- und Künstlerrollen, sowie an Material und Gesten gebundene Klischees.

Für den Kunstverein in Hamburg entwickelt Alexandra Bircken eine Installation im Obergeschoss des Kunstvereins, die sich, von der räumlichen Situation der Säulen, der Unterzüge sowie der offenen Fensterfronten ausgehend, einwebt, ein- und umspannt und durch künstlerische Setzungen der Architektur eine gänzlich andere Materialität zur Seite stellt, die den Spannungsmoment der einzelnen Arbeiten auf die gesamte Ausstellung erweitert.

Alexandra Bircken
12. Mai bis 2. September 2012