27. Juni 2011 - 2:30 / Ausstellung 
26. März 2011 3. Juli 2011

Das Museum der Moderne Salzburg präsentiert in Österreich zum ersten Mal nach 15 Jahren Werke von Alberto Giacometti (1901–1966) in einem umfassenden Überblick. Über 50 Skulpturen, an die 30 Gemälde und ebenso viele grafische Arbeiten aus den letzten 20 Schaffensjahren Giacomettis werden in einer speziellen Ausstellungsarchitektur in den Oberlichtsälen gezeigt und geben einen vielschichtigen Einblick in das faszinierende Werk eines der bedeutendsten Maler und Plastiker des 20. Jahrhunderts.

Alberto Giacomettis reifes Werk verdichtet die Frage nach dem Verhältnis von Raum, Zeit und Figur. Angelpunkt der Ausstellung sind die Skulpturen aus der Zeit um 1945 bis 1965, insbesondere deren Beziehung zum Raum, die sich auch in den gleichzeitig entstandenen Gemälden widerspiegelt. Die Gemälde, größtenteils Porträts aus seinem familiären und freundschaftlichen Umfeld, dienen ihm auch dazu, das Erfassen seiner Modelle im Bildraum immer wieder in der Zweidimensionalität der Leinwand zu reflektieren. Dabei zeigt sich deutlich, wie präsent das Werk des 1966 verstorbenen Künstlers bis heute ist.

Sein permanentes Suchen nach "Ähnlichkeit", nach der Erfassung seiner Modelle als "Porträts im Raum" ließ ihn immer wieder zweifeln und seine Arbeit als fortwährendes "Scheitern" betrachten. Gemälde wurden übermalt und Skulpturen im Atelier immer wieder umgeformt, bis er sie zum Gießen freigab. Gerade in seinem "Scheitern" aber liegt der Ursprung dessen, was schon Zeitgenossen wie Jean-Paul Sartre oder Samuel Beckett als eine völlig neuartige Auffassung von Skulptur begriffen.

In der Ausstellung finden sich skulpturale Schlüsselwerke der 1940er bis 1960er Jahre, wie Le Nez/Die Nase und Homme qui marche/Schreitender Mann, beide von 1947, La Forêt/Der Wald, Homme qui chavire/Taumelnder Mann, La Cage/Der Käfig aus dem äußerst produktiven Schaffensjahr 1950, Trois hommes qui marchent/Drei schreitende Männer von 1952 oder Grande tête mince von 1954. Eine zentrale Rolle nimmt die Gruppe dreier Skulpturen ein, die im Zuge eines Wettbewerbs zur Platzgestaltung der in den 1950er Jahren erbauten Chase Manhattan Bank in New York entstanden ist. Obwohl Alberto Giacomettis Entwurf nie in Auftrag gegeben wurde, arbeitete er seit 1956 bis zu seinem Tod ständig an dieser Figurengruppe, die aus einem monumentalen Kopf, einer weit überlebensgroßen Frauenfigur und einem schreitenden Mann besteht, L’ Homme qui marche I, dessen eine Fassung im vergangenen Jahr zu einem Rekordpreis von 74 Millionen Euro versteigert wurde.

Als Alberto Giacometti 1956 zum ersten Mal die Möglichkeit hatte, auf der Biennale in Venedig auszustellen, schuf er eine Reihe von neun stehenden Frauen, von denen zwei in der Ausstellung präsentiert werden. Seine Femmes de Venise (Frauen für Venedig) zeigen verschiedene Stadien einer bildhauerischen Formfindung, die von der gleichen Grundform ausging. Die weiblichen Figuren haben die Arme eng an die Körper gepresst. Ihrer filigranen, in die Länge gezogenen Gliedmaßen und ihre kleinen und schmalen Köpfe zeigen Giacomettis stetige Beschäftigung mit der langgezogenen, "dünnen" Figur.

Einen wichtigen Stellenwert nehmen Alberto Giacomettis Büsten aus den späteren Lebensjahren ein. Neben einer Reihe von weiblichen Büsten, für die vor allem seine Frau Annette Modell gestanden ist, zeugen besonders die späten Porträtbüsten des Fotografen Eli Lotar aus dem Jahr 1965 von der intensiven und neuartigen Auseinandersetzung mit dieser tradierten Skulpturengattung, fokussiert auf ihre räumliche Erscheinung und die Wirkung ihres intensiven Blicks auf das Gegenüber. Die große und einzigartige Auswahl an Skulpturen wird durch ausgewählte Gemälde ergänzt und erweitert, die vor allem die Formfindung wie auch die Wahrnehmung von Figur und Raum in Alberto Giacomettis Werk erkennen lassen und innerhalb der Ausstellungsdramaturgie daher eng mit dem plastischen Werk verbunden werden.

Neben zwei der in Giacomettis OEuvre sehr seltenen Atelierbilder, Pommes dans l’atelier/Äpfel im Atelier, 1949/50 und L’ Atelier/Atelier 1950, sind vor allem Porträtbilder aus dem Kreis der Familie oder von Bekannten zu sehen, wie die von seiner Frau Annette, seinem Bruder und Atelierkollegen Diego, von den Modellen Rita und Caroline oder die des japanischen Philosophieprofessor s Isaku Yanaihara. Die Beschäftigung mit dem Konterfei des japanischen Modells hat Giacometti in eine tiefe Schaffenskrise geführt, aus der er sich in den letzten Schaffensjahren mit einer Vielzahl von Skulpturen, vor allem Büsten, und Porträtbildern, hier insbesondere solche von Caroline, fruchtbar befreien konnte.

Die in Kooperation mit dem Kunstmuseum Wolfsburg entstandene Ausstellung präsentiert zentrale Arbeiten aus dem Nachlass des Künstlers zusammen mit Werken aus internationalen Museums- und Privatsammlungen. Dabei werden die zahlreichen Leihgaben der Fondation Alberto et Annette Giacometti, Paris (www. fondation-giacometti.fr), die den Kern der Ausstellung ausmachen, ergänzt durch Plastiken, Gemälde, Zeichnungen und druckgrafische Arbeiten aus der Alberto Giacometti Stiftung Zürich, der Fondation Beyeler Riehen/Basel, dem Lehmbruck Museum Duisburg, der Hamburger Kunsthalle, dem Kunstmuseum Basel, dem Musée national d’art moderne/Centre Georges Pompidou, Paris, dem Museum of Modern Art New York, dem Solomon R. Guggenheim Museum New York, dem Von-der-Heydt Museum Wuppertal und vielen weiteren öffentlichen und privaten Kollektionen.

Die Publikation zur Ausstellung ist bei Hatje Cantz erschienen (hrsg. v. Markus Brüderlin und Toni Stooss) und umfasst, neben ganzseitigen Abbildungen der Arbeiten in der Ausstellung, reich illustrierte Beiträge von Gottfried Boehm, Markus Brüderlin, Thomas Schütte, Toni Stooss und Julia Wallner. Die Publikation ist auf deutsch und englisch um Euro 39,80 in den Museumsshops erhältl ich.

Alberto Giacometti. Der Ursprung des Raumes
Retrospektive des reifen Werkes
26. März bis 3. Juli 2011

Museum der Moderne Salzburg
Mönchsberg 32
A - 5020 Salzburg

W: http://www.museumdermoderne.at/

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Kurt Blum; Alberto Giacomettis Atelier mit den Skulpturen 'Die Katze' und 'Großer schmaler Kopf', 1954. © Kurt Blum / Fotostiftung Schweiz
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Ernst Scheidegger; Alberto Giacometti bei der Arbeit in seinem Pariser Atelier, 1960; Archiv: Ernst Scheidegger. © Neue Zürcher Zeitung
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Kleiner Mann auf Sockel, 1940/41. Bronze, 8/8, Höhe: 8,4 cm; Louisiana Museum of Modern Art, Humlebæk, Dänemark. Foto: Brøndum & Co. Poul Buchart/Louisiana Museum of Modern Art, Humlebaek, Dänemark; © Succession Giacometti/VBK, Wien 2011 
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Schreitender I, 1960. Bronze, 180,5 x 27 x 97 cm; Sammlung Fondation Giacometti, Paris (Inv. Nr.: 1994-0186). Foto: Jean-Pierre Lagiewski; © Succession Giacometti/VBK, Wien 2011 
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James Lord; Der japanische Philosophieprofessor Isaku Yanaihara wird modelliert, 1960. © James Lord / Fotostiftung Schweiz