Al Capones filmische Alter Egos

17. September 2007 Walter Gasperi
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Im Gangsterfilm der frühen 1930er Jahre verkehrte sich die Perspektive. Im Mittelpunkt steht nicht die Jagd nach einem Verbrecher, sondern der Verbrecher selbst. In seinem Angriff auf die bürgerliche Gesellschaft steht er einerseits zwar in Opposition zum amerikanischen Traum, erweist sich in seinem Streben nach Aufstieg aber letztlich nur als Kehrseite der Medaille.

"The World is all Yours" – die Leuchtschrift über dem toten Gangster Tony Camonte am Ende von Howard Hawks´ "Scarface" (1932) – bringt ein zentrales Motiv des amerikanischen Gangsterfilms der 1930er Jahre auf den Punkt: Dem Traum vom (legalen) Aufstieg vom einfachen Jungen zum Millionär wird die Gangsterkarriere gegenüber gestellt. Erfolg und Reichtum, den die amerikanische Gesellschaft dem Individuum verspricht, lassen sich nur durch Verbrechen erreichen. – So wird im Gangsterfilm – zumal in Howard Hawks´ "Scarface" – dem American Way of Life eine bittere Absage erteilt.

Wenig verwundern kann es folglich, dass dieses Genre gerade zur Zeit der großen Depression seine Anfänge nahm und auch seine unerreichte Blüte erreichte. Vorläufer sind Josef von Sternbergs "Underworld" (1927), "The Docks of New York" (1928) und "Thunderbolt" (1929), auf die die zentralen Meisterwerke "Little Caesar" (Mervin LeRoy, 1931), "Public Enemy" (William A. Wellman, 1931) und "Scarface" (Howard Hawks, 1932) folgten. – Wenig verdeckt wurde hier auf die Bandenkämpfe der Prohibitionszeit, auf Ereignisse wie das St. Valentine´s Day-Massaker und die Chicagoer Gangsterbosse Hymie Weiss und Al Capone angespielt.

Von jedem anderen Genre unterscheidet sich der Gangsterfilm durch die Fokussierung auf negativ gezeichnete Hauptfiguren. Positive Helden gibt es hier nicht. Dies wird schon durch Ort und Zeit der Handlung betont: Die frühen Gangsterfilme spielen zumeist nachts, Schauplatz ist die Großstadt, sind Gossen und verrauchte Nachtclubs und großen Wert wird auf atmosphärisch dichte realistische Milieuschilderung gelegt.

Aggressiv und rücksichtslos geht der Gangster vor, zerquetscht auch mal eine Grapefruit im Gesicht seiner Freundin wie James Cagney in "Public Enemy". Den Weg nach oben innerhalb des Syndikats, den der Gangster mit eisiger Kälte beschreitet, ist Spiegelbild der Positionskämpfe innerhalb von Wirtschaftskonzerten. Eingebettet ist das Handeln dabei immer auch in einen sozialen Kontext: In tristen Verhältnissen aufwachsend erscheint ihnen eine Gangsterkarriere als einziger Ausweg aus den Slums.

So ist der Gangsterfilm auch ein Gegenpol zum Boxerfilm: Schlägt sich der eine durch legale Kämpfe nach oben, kann der körperlich Schwache seine Chance scheinbar nur im organisierten Verbrechen suchen. Die Gewalt, die diese Figuren kennzeichnet, spiegelt sich im horrenden Tempo der Filme, im Stakkato des Schnitts, im Wechsel aus Verfolgungsjagden mit dem Auto und wilden Schießereien, splitterndem Glas und quietschenden Reifen. – Technisch ist das Genre wie das Musical durch die große Rolle, die die akustische Ebene spielt, an den Tonfilm gebunden.

Nicht zuletzt, weil der Hays Code ab 1934 die exzessive Darstellung von Gewalt und freizügige Szenen verbot, ebbte diese Welle der Gangsterfilme schon Mitte der 1930er Jahre ab beziehungsweise erfuhr eine Wandlung: Im Mittelpunkt stand nicht mehr die Schilderung der Verbrechersyndikate als negative Kopie des American Way of Life, sondern das Schicksal eines individuellen Outlaw oder eines sozial Benachteiligten, der auf die schiefe Bahn gerät. Damit nahm aber auch die Schonungslosigkeit und Aggressivität ab und die melodramatische und moralisierende Komponente zu.