Agenten auf Zeitreisen, DeLorian statt Aston Martin
Die Kinos waren monatelang geschlossen oder spärlich besucht und nach mehrfachen Verschiebungen kam Ende August mit "Tenet" der erste Blockbuster in die österreichischen Kinos. Mit Filmen wie "Memento", "Inception" oder "Interstellar" zeigte Regisseur Christopher Nolan bereits früher, dass ihm am zeitbasierten Medium des Filmes vor allem die Zeit selbst interessiert.
Immer scheint es bei ihm um lineare Sortierung und ihre Kausalität zu gehen und die Brechung und Dekonstruktion der beiden durch die Linse des Projektors. Das Kino erzeugt seine eigene Wirklichkeit, die Kamera konserviert Gegenwärtigkeit und gestaltet sie neu, daran mahnt uns Nolan in jedem seiner Filme. Mit "Tenet" ging der gebürtige Brite noch einen Schritt weiter.
In Stile eines Bond
Der Film beginnt wie ein klassischer Agentenfilm im Stile eines James Bond. Der "Protagonist", wie die Hauptfigur nur genannt wird, ist Geheimagent und die erste Stunde des 151-minütigen Filmes bedient auch alle Sehgewohnheiten des Genres. Explosionen, russische Terroristen, exotische Destinationen und ein Faustkampf in einer Industrieküche, in der der "Protagonist" im Maßanzug mit einem One-Liner die finsteren Schergen des Bösewichts besiegt.
Doch dann macht der Film eine abrupte Wende und wird fast futuristisch. Die Hauptfigur erfährt von einem wenig erforschten Verfahren, durch welches Gegenstände "temporal invertiert" werden können. Zum Beispiel eine Kugel, welche in der Vergangenheit abgefeuert wurde und zurück in den Lauf der Waffe springt: Objekte, die durch die Zeit reisen können. Hier tauscht der Regisseur metaphorisch den Aston Martin des Agenten gegen den Zeitreise-DeLorian aus "Zurück in die Zukunft" und vermischt zwei beliebte Filmgattungen.
Vermischung von zwei Filmgattungen
Dies dient natürlich dem Actionfilm, welcher "Tenet" in erster Linie ist. Es folgen Auto-Verfolungsjagden mit rückwärtsfahrenden Luxusboliden und Schlägereien mit Gegnern, die sich gegen eine vorwärtslaufende Zeit bewegen.
Dieses rückwärtslaufende visuelle Element erinnert an das Vor- und Zurückspulen aus VHS-Zeiten.
"Ich brauche weniger CGI (Computer generated Images) als eine herkömmliche Hollywood-Komödie", sagte Christopher Nolan in einem Interview über die Spezialeffekte in "Tenet" und tatsächlich lassen die Behind-the-Scene-Aufnahmen auf klassissche Tricktechnik im Großformat schließen. Wenn hier eine Boing 747 in einen Hangar kracht, dann war das Flugzeug echt, das ist auch dem Spiel der vielen Statisten anzumerken. Das ist eine Höchstleistung des Attraktionskinos und macht in Kombination mit dem dichten Sounddesign natürlich großen Spaß und fesselt trotz der langen Laufzeit.
Der Soundtrack von Ludwig Göransson (Oscar für den Score zu "Black Panther") spielt ebenfalls mit der vor- und rückwärtslaufenden Handlung und nutzt selbst auch rückwärtslaufende Spuren, sodass auch auditiv ungewohnte Erfahrungen geboten werden.
Spiel mit filmischen Sehgewohnheiten
"Versuche es nicht zu verstehen – fühle es.", heißt es an einer Stelle im Film. Und dennoch, "Tenet" erntete bei der Kritik neben allem Lob auch gewissen Tadel: Zu viele Logiklücken und fehlende nachvollziehbare Figurenentwicklung. Dabei ist "Tenet" kein realistisches, psychologisiertes Drama, sondern ein Spiel mit filmischen Sehgewohnheiten.
Auch im zweiten Teil der Batman-Trilogie von Christopher Nolan, "The Dark Knight", verdreht Nolan gängige Film-Tropen ins Lächerliche: Hier bekommt die Figur des Jokers mehrere "Backstories", die sich selbst widersprechen. Im Gegensatz zu Hollywood-Drehbuchratgebern wird hier aus dem Fehlen der küchenspychologischen Traumata in der Vergangenheit des Jokers eine spannende Figur.
Ähnlich agiert Nolan bei "Tenet" bei der Figurenzeichung, der "Protagonist" stellt einfach die Rolle des klassischen "Geheimagenten" dar, ganz ohne persönliche Eigenschaften. Auch die Liebesbeziehung will gar nicht romantisch oder nachvollziehbar sein, sie gehört schlicht zum Genre und hat vorrangig eine dramaturgische Funktion. Und neben all den Actionszenen kann die "große Gefahr in der Zukunft" auch als Klimawandel verstanden werden.
Stelldichein von Zukunft und Gegenwart
Mit "Tenet" bekommen wir eine abstrakte Filmerzählung vorgestellt, die über die filmischen Erfindungen der Zeitraffer und – sprünge hinaus geht und uns viel mehr vom linearen Denken und Sehen wegführt.
Die Zeit läuft in diesem Film in beide Richtungen, Zukunft und Gegenwart treffen sich in ein und derselben Szene, die Zukunft ist jetzt. Verhindert werden muss, was bereits geschehen sein wird.