Accumulation – Über Ansammeln, Wachstum und Überfluss

Ein Leben ohne Akkumulation ist kaum vorstellbar. Ob Geld, Immobilien, Kleidung oder technische Geräte: Materielle Besitztümer bestimmen unseren Alltag. Doch auch immaterielle Werte wie sozialer Status, Einfluss, Wohlstand oder Wissen sammeln sich an. Sie bestimmen, wer wir sind und wie wir uns individuell sowie gesellschaftlich verstehen.

Die zweite Sequenz der Ausstellung „Accumulation – Über Ansammeln, Wachstum und Überfluss” im Migros-Museum für Gegenwartskunst knüpft an den ersten Teil der Ausstellungsreihe an. Die präsentierten Arbeiten vertiefen die Auseinandersetzung mit der Akkumulation und thematisieren, wie sich Anhäufung in unseren alltäglichen Machtstrukturen manifestiert. Werke aus der Sammlung, Leihgaben und neue Produktionen treten miteinander in den Dialog und erweitern den Diskurs aus unterschiedlichen geografischen und historischen Perspektiven.

Während die erste Sequenz der Ausstellung sichtbar machte, wie Akkumulation in heutigen Gesellschaften in Erscheinung tritt und welche Nachwirkungen sie hat – etwa die Aufrechterhaltung neokolonialer Strukturen, die Ausbeutung von Menschen und Ressourcen oder die Dominanz eurozentrischer Wertesysteme –, richtet die zweite Sequenz den Blick auf die materiellen Spuren der Akkumulation. Dabei wird die Frage aufgeworfen, welchen Einfluss das Prinzip des Anhäufens auf die weltweite Bewegung von Menschen, Gütern und Kapital hat, die durch ökonomische Zwänge, ökologische Krisen, globale Ungleichheiten und historische Machtverhältnisse bestimmt wird.

Die gezeigten Positionen setzen sich mit dem Spannungsverhältnis zwischen System und Individuum sowie zwischen öffentlicher und privater Sphäre auseinander. Sie beleuchten die Ausbeutungsmechanismen im Anthropozän, dem Zeitalter, in dem der Mensch zum wichtigsten Einflussfaktor auf planetare Prozesse geworden ist. Thematisiert werden das toxische Erbe der Fast-Fashion-Industrie, die Erschöpfung natürlicher Ressourcen und die wachsenden Müllberge in urbanen Räumen. Sie thematisieren auch globale Finanzströme, die tief in politische und kulturelle Prozesse eingreifen. Durch ihr Material legen sie koloniale Narrative offen – etwa das Mahagoniholz, das an die Geschichte der Versklavung und die transnationale Bewegung der Schwarzen Diaspora erinnert. Und sie nehmen digitale Infrastrukturen wie unterirdische Kabelsysteme, die unsere Gegenwart vernetzen, in den Blick.

Akkumulation hinterlässt Spuren in der Umwelt, in Körpern und in Gemeinschaften – erkennbare Zeichen, aber auch tiefe Narben. Doch aus diesen Bruchstellen können neue Formen des Widerstands erwachsen. Die Ausstellung macht alternative Strategien der Fürsorge, der kollektiven Heilung sowie der Resilienz sichtbar und zeigt andere Wege im Umgang mit systemischen Ungleichheiten auf.

Beide Sequenzen verbindet die kontinuierliche Reflexion über die Rolle und Aufgabe des Museums, insbesondere mit Blick auf die Praxis des Sammelns. Denn auch das Sammeln von Kunst bedeutet Machtakkumulation. Welche alternativen Strategien könnten dazu beitragen, bestehende Praktiken zu hinterfragen und zu verändern? Der erste Raum der Ausstellung wirkt auf den ersten Blick ungewohnt leer – und ist es doch nicht. Gianni Mottis Werk „Moneybox” (2009) durchdringt ihn mit stiller Omnipräsenz. In einer ironischen Geste lässt der Künstler Tausende Ein-Dollar-Noten von der Decke schweben. Er macht die oft unsichtbaren Wechselwirkungen zwischen Wirtschaft und Kultur sichtbar und regt zum Nachdenken über den Zustand der Weltwirtschaft und die Auswirkungen der Investitionslogik des Kunstsammelns an. Durch die Re-Materialisierung der unsichtbaren Kapitalströme hebt Motti die Diskrepanz zwischen dem materiellen und dem symbolischen Wert des Geldes hervor. Geld, so zeigt er, ist nichts anderes als eine kollektive Vereinbarung.

Daniel Arnan Quarshies Installation „Kwatserekwa Mpaboa” zeigt die Rückstände des gelebten Konsums: getragene Kleidungsstücke, ein analoges Fernsehgerät – Relikte früherer Verbrauchszyklen, die durch Abnutzung oder die rapide voranschreitende Technologisierung obsolet geworden sind. Sie sind Zeugnisse vergangener Zeiten, die weggeworfen wurden, und Produkte eines übermäßigen Ressourcenverbrauchs mit verheerenden ökologischen Folgen.

Mimi Ọnụọha lenkt mit ihrer Videoarbeit „These Networks in Our Skin” den Blick auf das Unsichtbare, nämlich auf jene materiellen Infrastrukturen, die den globalen Informationsfluss ermöglichen. In der Arbeit sind Internetkabel mit organischen Materialien gefüllt, die für die Igbo-Kultur im Südosten Nigerias von spiritueller Bedeutung sind: Staub, Haare, Gewürze. Die Kabel werden somit zu Trägern spiritueller und symbolischer Gemeinschaftspraktiken. Durch diese subversive Aneignung und die subtile Geste der Fürsorge wird der unaufhaltsame Strom von Informationen unterbrochen.

Auch das Bare Minimum Collective untersucht Fürsorge im Kontext von Akkumulation. Eine eigens für diese Ausstellung geschaffene Installation – ein Raum zwischen Monument und Altar – bietet mit Archivmaterialien, Textilien, Alltagsobjekten sowie Video- und Audioaufnahmen Einblicke in die künstlerische Zusammenarbeit des Kollektivs. Darin definieren sie den Begriff der Anhäufung neu, jenseits von Kapital und Ressourcenausbeutung, nämlich als ein Beziehungsnetz, das auf gelebter Solidarität, geteilter Trauer und gegenseitiger Unterstützung beruht.

Ein vielseitiges Programm in Zusammenarbeit mit weiteren Künstler:innen und Akteur:innen öffnet den Raum für Austausch und Diskussion. Zwei Essays, verfasst von Jayanthan Sriram und Eric Golo Stone in Kooperation mit der Zeitschrift „Arts of the Working Class”, vertiefen den Diskurs und erweitern die inhaltliche Auseinandersetzung. Die Ausstellung macht nicht nur die destruktiven Folgen des ungebremsten Wachstums sichtbar, sondern zeigt auch Brüche, Widerstände und alternative Modelle auf. So lädt sie die Besucher*innen dazu ein, über neue Gesellschaftsentwürfe nachzudenken.

Accumulation
Über Ansammeln, Wachstum und Überfluss
Zweite Sequenz
Bis 27. Juli 2025