Abu Alis Geburtstag

2. Dezember 2019 Kurt Bracharz
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In den 1980er Jahren schrieb ich wie viele andere Trivialautoren eine Anzahl von SF-Kurzgeschichten. Das war damals das Genre der Stunde, es gab überall Magazine, die Science Fiction abdruckten, und es war außerdem die Zeit der New Wave, als die alten Weltraumopern immer mehr von Reisen in den Inneren Raum verdrängt wurden und es kaum noch formale Kriterien für „richtige“ SF gab. An eine meiner Storys von 1987, „Abu Alis Geburtstag“, erinnere ich mich besonders, weil sie und ich mir damals so clever vorkamen. Abu Ali ist ein arabischer Name Hitlers.

Der Ich-Erzähler erwacht morgens in einer deutschsprachigen Stadt – wo genau, weiß ich nicht mehr, aber es wird wohl in Österreich gewesen sein – durch rhythmisches Gebrüll in der Straße vor seinem Schlafzimmerfenster. Ein Blick klärt die Sachlage: Die Nazis marschieren wieder in voller Uniform, mit Fahnen und klingendem Spiel durch die Stadt. Und zusammen mit ihnen arabische Faschisten mit ihren ebenfalls unverkennbaren Emblemen. Und was brüllen sie alle: „Juda verrecke!“

Da holt der Ich-Erzähler ein Objekt aus einem Tresor, das ihm seine Eltern hinterlassen haben. Heute wäre es irgendeine Art von Smart Device, damals musste es noch etwas Mechanisches sein, eine Kombination aus Uhr und Automat. In dem Gerät existierte ein kleiner Spiritus familiaris, der eine Botschaft bereit hielt. Ein Spiritus familiaris ist eigentlich eine Art kleines Hausgespenst, das von den Brüdern Grimm bis zur deutschen Romantik immer wieder mal auftaucht; es vegetiert meist in einem Glasgefäß, hat die Form eines kleinen Menschen und kann Wünsche erfüllen – wenn ihm danach ist. Heute kann man sich so ein „Wesen“ in einem Smartphone gut vorstellen, es erscheint auf Kommando, sieht aus wie Mario der Klempner oder sonst eines der modernen Gespenster, und tut, was man ihm sagt. Meine Story von 1987 war davon technisch noch zu weit entfernt, ich erfand eine Art mechanischen Maulwurf, der dem Ich-Erzähler jenen kompletten Fluchtplan ins Exil vorlegte, den dieser dann auch sofort ausführte.

Und warum ist mir diese Story so besonders im Gedächtnis geblieben? Weil ich ganz bestimmt nicht der einzige war, der es damals vor vierzig Jahren für vollkommen unwahrscheinlich, um nicht zu sagen, unmöglich, und damit für ein typisches Dystopie-Thema hielt, dass jemals wieder Nazipöbel organisiert durch deutsche Städte trampeln würde. Andere Idiotenthemen wie der angebliche Roswell-Zwischenfall, die europäischen Politiker als Gestaltwandler, die eigentlich 3 m große Reptilien sind, die von Hollywood inszenierte Mondlandung wären mir damals auch nicht gerade glaubwürdiger vorgekommen, aber ich hätte sie für weit „normalere“ SF-Motive gehalten, über die man sich zumindest lustig hätte machen können.

Und es sind ja heute nicht nur die Ostdeutschen. In der Schweiz erklären 9 Prozent der Bevölkerung, Antisemiten zu sein, 12 Prozent billigen Juden nur negative Eigenschaften zu. Die Liste eines Hasspost-Monitorings des World Jewish Congress beginnt natürlich mit Trumps USA, aber nach Deutschland und dem traditionell antisemitischen Polen folgt schon Österreich. Da ändert sich wohl nie mehr etwas, trotz aller Beschwörungen von „Aufklärung“ und anderen gut gemeinten Konzepten.