Aberland beim Hofkultur-Festival in Lustenau

27. Juli 2022
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Am Gutshof Heidensand veranstaltet die Kulturabteilung der Marktgemeinde Lustenau ein erlesenes, dichtes Sommerprogramm: Musik, Kino, Hofküche – und Theater. "dieheroldfliri.at" gaben ein Gastspiel: Aberland.

Juli im Lustenauer Ried am Alten Rhein, ganz in der Nähe finden sich auch feine Badeplätze. Die Gemeinde leistet am Gutshof Heidensand Pionierarbeit bei der Entwicklung der größten Bio-Ackerfläche Vorarlbergs. Umgeben von ökologisch bewirtschafteten Feldern, Obstplantage, Gemüse- und Kräuterbeeten gibt es dort im Sommer als temporäre Zwischennutzung „Hofkultur“. Unter dem Dach der großen Scheune wird die Bühnenfläche ausgebreitet, auf beiden Längsseiten die Stühle gereiht, die rote holzverschalte Giebelfassade vis-a-vis fasst den Raum.

Zwei starke Frauen im selben schwarz-weiß gestreiften Overall, präsent und eindeutig wer Mutter und wer Tochter; als Bühnenbild plüschig gefütterte Rahmen, flexibel adaptierbar, mal Tür, mal Tisch und Bank, mal Sonnenliege. Bürgerliche Mutter, bürgerliche Tochter. "Es scheint, als habe sich dieser zahnlose Feminismus von einer Generation an die nächste vererbt", ist auf der Seite des Verlags zu lesen, der den Roman veröffentlichte, nachdem die inzwischen sehr erfolgreiche Autorin Gertraud Klemm mit einem Kapitel daraus den Publikumspreis bei den Tagen der deutschsprachigen Literatur 2014 – kurz Bachmannpreis – in Klagenfurt gewann; das Buch schaffte es dann auch noch auf die Longlist des Deutschen Buchpreises.

Gertraud Klemm: "Aberland ist dort, wo frau hingerät, wenn sie an der 'ja, aber-Abzweigung' immer das 'aber' nimmt: Ich will mit Raketen ins All fliegen, aber ich will mal Mutter werden. Ich will den Konzern leiten, aber meine Kinder sollen Selbstgekochtes essen." Die Regisseurin Barbara Herold – mit Maria Fliri Gründerin der Kompanie dieheroldfliri.at – hat diesen Roman zu einem pointierten, berührenden Theaterstück destilliert. Und das mit großer Kunst. Sie transformiert die intensive Sprache der Autorin, die mit scharfsinniger Analyse und sarkastischem Humor zwei Frauenbiografien erzählt, ohne Abstriche beim Erlebniswert der Geschichte für die Bühne. Abstrakt nebeneinandergestellt verschachteln sich die Original-Textpassagen der Protagonistinnen wie auch die Rahmenelemente – im wahrsten Sinne des Wortes – zur schlüssigen Handlung, die schonungslos-scharf Schicksale und Befindlichkeiten der Frau mitfühlend und direkt erlebbar macht.

Beeindruckend (man möchte Superlativen verwenden) die Schauspielerinnen Maria Fliri und Helga Pedoss. "Elisabeth, 58, versucht würdevoll zu altern. Ihr gutbürgerliches Leben ist am ehesten charakterisiert durch das, was sie alles nicht getan hat: sie hat nicht studiert und nicht gearbeitet, sie hat ihre Kinder nicht vernachlässigt und ihren Mann nicht mit dem Künstler Jakob betrogen, sie hat der Schwiegermutter nicht die Stirn geboten ...", steht in der Buchbeschreibung und Elisabeth, alias Helga Pedoss, sagt: "Vielleicht kann man das noch lernen, das Schamlose, wie Italienisch oder Klavierspielen." Auch ihre Tochter Franziska, 35, hat ihre Visionen nicht verfolgt, hadert mit der Mutterrolle, kann die Gleichberechtigung von Mann und Frau nicht in den Alltag mit Tom bringen, wird mit ihrer Doktorarbeit über Zebrafische nicht fertig. Voller Selbstverachtung ist sie sich bewusst, welche Fehlentscheidungen dazu geführt haben, dass sie "von der Mutterschaft überwuchert" wird.

Es ist dunkel geworden, die Sommernacht lau. Eine inspirierende, sehr persönliche Begegnung mit zwei Frauen, die ihr Scheitern ohne Tabus auf kluge Weise reflektieren. Betroffen bleibt das Lachen im Halse stecken: Alles muss anders werden, aber ändern darf sich nichts.

ABERLAND. dieheroldfliri.at
nach dem Roman von Gertraud Klemm
bearbeitet für das Theater von Barbara Herold
eine Koproduktion mit Kosmos Theater Wien

Gertraud Klemm. Aberland. Roman
Literaturverlag Droschl, 2015
184 Seiten, ISBN 9783854209638