Abend der Zeit- Señores Naturales

Das Museum Folkwang eröffnet am 25. November die Ausstellung "Abend der Zeit – Señores Naturales", die von Lothar Baumgarten in Zusammenarbeit mit dem Architekten Lorenzo Piqueras konzipiert wurde. In der Präsentation wird eine ethnografische Sammlung von alltäglichen Gegenständen, Zeichnungen, Film- und Tonbandaufnahmen gezeigt, die der Künstler während eines 18-monatigen Aufenthalts bei zwei Yanomami-Gesellschaften im Amazonasgebiet anlegte und 2010 der Stiftung für das Museum Folkwang schenkte.

Die halbsesshaft lebenden Yanomami siedeln im venezolanisch-brasilianischen Grenzgebiet an der Gebirgskette Sierra Parima und an der Wasserscheide des Orinoko und der Amazonasflüsse Rio Negro und Rio Branco. Die Yanomami, die sich vom Feldbau, der Jagd und vom Sammeln ernähren, leben in shabono genannten Rundsiedlungen. Ihr tägliches Leben setzt sich aus den Ritualen der Schamanen, der Pflege von Allianzen und Freundschaften mit benachbarten shabonos und wechselseitigen Besuchen bei Festlichkeiten zusammen. Die Lebenssituation der Yanomami hat sich in den letzten Jahrzehnten dramatisch verändert; Goldgräber, Landbauer und Seuchen haben die Bevölkerungszahl der Yanomami dezimiert und den tropischen Wald, ihren Lebensraum, großflächig zerstört.

Lothar Baumgarten lebte 1978/79 bei den Kashorawё- und Yapitawё-theri, zwei Yanomami-Gesellschaften. Während dieser Zeit stellte Baumgarten seine Skizzenbücher den Yanomami zur Verfügung, woraufhin sie zum ersten Mal Papier gebrauchten und Zeichnungen und Aquarelle an fertigten. Die so entstandenen Blätter sind einzigartige künstlerische, ethnologische und kulturhistorische Dokumente. Aufgrund des besonderen Vertrauensverhältnisses, getragen von gegenseitigem Respekt, konnte Baumgarten verschiedene Momente des täglichen und des rituellen Lebens der Yanomami filmen. Diese Dokumente werden in der Ausstellung zusammen mit Tonaufnahmen und Fotografien zum ersten Mal gezeigt.

Seit Beginn seiner künstlerischen Arbeit thematisiert Lothar Baumgarten den Umgang der Europäer mit anderen Kulturen. Seine frühen Arbeiten stellen ein "imaginäres Südamerika" dar, das von den Interessen, Sehnsüchten und Wünschen westlicher Entdecker, Eroberer und Forscher dominiert wird. Der 18-monatige Aufenthalt bei den Yanomami veränderte seine Sicht der Welt und seine Kunst. In der Ausstellung "Abend der Zeit – Señores Naturales" schuf er ein Gefüge aus Eigenem und Fremdem, dessen künstlerische Grammatik und Bestandteile schon in seinen früheren Werken verwendet wurden, bspw. eigene Texte, Fotografien und die für die Yanomami bedeutsame Farbe der Annatto-Samen, die sie selbst urucu nennen. Die in dieser Weise gestalteten Ausstellungsräume formieren sich zu einem Ort, an dem wir einen Zugang zur Kultur der Yanomami gewinnen können.

Lothar Baumgarten über die Auswirkungen westlicher Unternehmungen auf die Kultur der Yanomami: "Man nimmt ihnen ihren persönlichen Namen weg, und gibt ihnen stattdessen einen, den sie nicht richtig aussprechen können. Große Bereiche ihres kulturellen Universums werden mit der Gebärde weggewischt: ihr Name als persönliche Identität, ihre Häuser als Vorstellung der Welt, die Küche als Ausdruck des guten Geschmacks und auch als Treffpunkt des Menschen und seiner Umgebung, die Familie und die Eltern, an denen man hängt."

Der Dialog zwischen europäischen und außereuropäischen Kulturen ist für das Museum Folkwang von besonderer Bedeutung. Karl Ernst Osthaus hat seine Sammeltätigkeit von Beginn an nicht nur auf moderne und zeitgenössische, sondern auch auf außereuropäische Kunst gerichtet. Bereits 1912 präsentierte das Folkwang als erstes Museum überhaupt Werke der Moderne und der damals so genannten Stammeskunst gemeinsam als Zeugnisse einer Weltkunst verschiedener Gattungen und Zeiten.

Abend der Zeit- Señores Naturales
26. November 2011 bis 27. Mai 2012