69. Filmfestival von Locarno: Zombieinvasion auf der Piazza Grande

Mit der Verleihung des Excellence Award Moët & Chandon an den US-Schauspieler Bill Pullman und der Weltpremiere von Colm McCarthys philosophisch unterfüttertem Zombie-Film "The Girl With All the Gifts" startete das 69. Filmfestival von Locarno.

Für einen Eröffnungsfilm überraschend harte Kost setzte Festivaldirektor Carlo Chatrian dem Publikum auf der Piazza Grande mit Colm McCarthys Verfilmung von Mike Careys Roman "The Girl With All the Gifts" vor: Blut spritzt hier nicht wenig, wenn reihenweise Köpfe weggeschossen werden und andererseits die lebenden Toten kräftig zubeissen. - Doch McCarthy zielt auf mehr als einen Genrefilm ab, will auch zum Nachdenken anregen.

Mitten hinein in die unterirdischen Räume einer britischen Militärbasis wirft der schottische Regisseur den Zuschauer. Aus ihren Zellen werden Kinder an Rollstühle gefesselt in ein Klassenzimmer geführt, wo sie unterrichtet werden. - "Transit" ist das Wort für diese Überführung, doch dieser Begriff kann später auch für eine Überführung oder Weiterentwicklung der Menschheit gelesen werden.

Mit Sounddesign, fahlen Grüntönen und nur künstlichem Licht erzeugt McCarthy eine beklemmende Atmosphäre, weil lange auch unklar bleibt, was hier eigentlich vorgeht. Erst als das äußerst vife schwarze Mädchen Melanie aus den Kellerräumen in ein Operationszimmer überführt wird, bekommt man Einblick in die Hintergründe, wird klar, dass die Militärbasis von zahllosen Zombies angegriffen wird. Wie diese an den Zäunen hängen und diese zu durchbrechen versuchen, spielt aber auch unübersehbar auf die heutigen Flüchtlingsströme an.

Auch die Kinder sind schon mit dem Pilz, der die Mutation auslöst, infiziert und dienen einer Ärztin als Forschungsobjekte, um einen Impfstoff gegen die Zombiesierung herzustellen. Auch Melanie soll nun seziert werden, doch die einbrechenden Horden von Zombies verhindern dies. Flucht ist die einzige Rettung für das Mädchen, ihre Lehrerin, die Ärztin, einen Sergeant und einige wenige Soldaten.

Im gepanzerten Wagen fahren sie durch ein zerstörtes England, müssen ständig Angriffe von Zombies fürchten, sodass der Trupp sukzessive dezimiert wird. Melanie aber entwickelt sich zunehmend zum Grenzgänger zwischen den Fronten, agiert sie doch einerseits sehr menschlich, während sie andererseits aber auch der Blutdurst überfällt und sie Tiere reißt.

Spannend ist zwar der Positionswechsel, zu dem der Film den Zuschauer am Ende einlädt, ihm in den Zombies die Zukunft der Menschheit präsentiert und damit auch auffordert im Fremden und Andersartigen nicht das Böse zu sehen, doch mehr angetippt als wirklich durchdiskutiert werden letztlich solche philosophischen Überlegungen.

Ganz gelingen kann so der Spagat zwischen anspruchsvollem Inhalt und klassischem Genrefilm nicht. Denn als klassisches Actionkino entwickelt "The Girl" zu wenig Durchschlagkraft, ist zu wenig kompakt und bedient sich allzu offensichtlich bei klassichen Zombiefilmen von George A. Romero bis zu Danny Boyles "28 Days Later2 und Alfonso Cuarons dystopischem "Children of Men" oder auch dem aus Western bekannten Motiv der Postkutschenfahrt durch Feindesland. - Ein interessanter Film bleibt das allemal, wird es aber an den Kinokassen nicht leicht haben.

Trailer zu "The Girl With All the Gifts"