69. Berlinale: Fragen des Blicks

Zwei Filme im "Internationalen Forum des Jungen Films" thematisieren den filmischen Blick. Der Schweizer Mischa Hedinger spürt in "African Mirror" dem Afrikabild nach, das der Reisejournalist René Gardi mit seinen Berichten und Filmen in den 1950er Jahren prägte. Sara Summa macht dagegen zusammen mit ihrer Vorarlberger Kamerafrau Katharina Schelling in "Gli ultimi a vederli videre – The Last to See Them" bewusst, wie das Wissen um die Zukunft den Blick auf scheinbar Banales verändert.

Ganz auf Filmaufnahmen und Tondokumente des Schweizer Reisejournalisten, Fotografen, Filmemachers und Vortragsreisenden René Gardi (1909 – 2000) beschränkt sich Mischa Hedinger in seinem faszinierenden Essayfilm "African Mirror". Er verzichtet auf jeden Kommentar und lässt das sorgfältig montierte Material für sich sprechen.

In den 1950er Jahren prägte Gardi mit seinen Vorträgen und Filmen über Afrika – und dabei im Speziellen über Kamerun – das Bild dieses Kontinents in der Schweiz, doch Hedinger macht durch die Montage auch sichtbar, dass Gardi seine Sehnsüchte in seine Filme und Vorträge projizierte. So stellte er dem Bild des nach Sicherheit und Luxus strebenden Eidgenossen das Bild des edlen Wilden gegenüber, der scheinbar frei und ungebunden lebt.

Sichtbar wird dabei auch sowohl die Überheblichkeit des Europäers, der ganz selbstverständlich von einem primitiven Volk spricht, als auch die Inszenierung dieser vermeintlichen Dokumentarfilme, wenn Gardi eine Hochzeit ebenso nachstellen lässt wie eine Begegnung zwischen einem jungen Afrikaner und einer Afrikanerin. Hier wird ganz grundsätzlich die Frage nach der Echtheit von Bildern, nach Realität und Täuschung aufgeworfen.

Wie das Wissen um die Zukunft den Blick auf Alltägliches verändert, macht dagegen Sara Summa in ihrem Debüt "Gli ultimi a vederli videre" bewusst. Zu einer langen Kamerafahrt auf einer Landstraße durch die archaische Landschaft der Basilikata läuft nämlich nicht nur der Vorspann ab, sondern ein Insert informiert auch über den Mord an der Familie Durati in einer Sommernacht im Jahre 2003.

Unterbrochen von solchen Fahrtszenen auf der Landstraße, die quasi das langsame Näherkommen der Täter, aber in der scheinbar unvermeidbar auf der Straße nach vorwärts gleitenden Kamera gewissermaßen auch die Unausweichlichkeit des Kommenden evozieren, blicken Sara Summa und ihre Kamerafrau Katharina Schelling, die den Film in lichtdurchfluteten sommerlichen Bildern im und um den zwischen Olivenbäumen gelegenen Hof der Duratis verankert, auf den letzten Tag im Leben der Eltern, der etwa 15-jährigen Dora und des etwa 12-jährigen Matteo.

Aus unterschiedlichen Perspektiven wiederholen sich dabei Szenen, nur beim Abendessen – quasi ein letztes Abendmahl – sitzt die Familie gemeinsam am Tisch, ansonsten geht jeder seine Wege, spielt Matteo bald Trompete, backt Dora mit einem Mädchen aus der Nachbarschaft einen Kuchen, kümmert sich der Vater um die Buchhaltung des Hofes und schließt eine Versicherung ab, während die unter einem blockierten Nerv – oder vielleicht doch einer Depression - leidende Mutter länger schläft und das Haus nicht verlässt.

Im Wissen um den nahen Tod der Familie, mit der man im Laufe der gut 70 Minuten vertraut wird, gewinnen für den Zuschauer Dialoge und kleine Momente freilich eine ganz andere Wertigkeit. Denn unsinnig sind hier die Vorbereitungen der Hochzeit der älteren Tochter oder Gedanken an die nächste Olivenernte und ins Leere führt der Wunsch des Vaters, dass sein Sohn auch einmal eine Frau heiraten werde, die ihn liebt. - Gerade angesichts des nahen Todes erzählt der wunderbar unaufgeregte Film so von der Bedeutung des Augenblicks, von der Notwendigkeit im Jetzt zu leben und die Momente, die einem geschenkt sind, auszukosten.