64. Berlinale: Kosslick-Mix

Auch bei der 64. Auflage der Berlinale (6. – 16.2. 2014) ist wie gewohnt Deutschland im Wettbewerb um den Goldenen Bären stark vertreten. Während die US-Amerikaner eher auslassen, darf China drei Produktionen ins Rennen schicken. Aus Österreich wurde von Festivaldirektor Dieter Kosslick und seinem Team Sudabeh Mortezeis Debüt "Macondo" eingeladen, dünn gesät sind aber die großen Namen.

Vielversprechend waren die Presseaussendungen im Dezember mit den Ankündigungen der ersten Wettbewerbsfilme. Mit Wes Andersons neuer Komödie "The Grand Budapest Hotel" als Eröffnungsfilm darf man auf einen lustvollen und anregenden Einstieg in den zehntägigen Filmmarathon hoffen. Für Kontroversen kann die Langfassung von Lars von Triers erstem Teil von "Nymphomaniac" sorgen, der in einer kürzeren Version freilich schon in Dänemark angelaufen ist.

Spannendes US-Kino klassischen Zuschnitts kann man von "Monuments Men" erwarten, in dem George Clooney von einer Truppe von Offizieren der Alliierten erzählt, die während des Zweiten Weltkriegs inkognito nach Deutschland geschickt werden, um Kunstwerke vor der Zerstörung durch die Nazis zu retten. Mit "Aimer, boire et chanter" wurde ein neuer Film des über 90-jährigen Altmeisters Alain Resnais ebenso angekündigt, wie mit "Aloft" der dritte Spielfilm der Berlinale-Siegerin Claudia Llosa.

Im Vergleich zu dieser ersten Ankündigung fiel die Bekanntgabe der zweiten Tranche der Wettbewerbsfilme Mitte Januar für ein Festival, das in einer Liga mit Cannes und Venedig spielen will, dann doch etwas enttäuschend aus. Ob das wirklich das Wunschprogramm von Festivaldirektor Dieter Kosslick ist, scheint fraglich. Eher sieht es schon nach einem aus vielfachen Zwängen resultierenden Mix aus.

Den Japaner Yoji Yamada, der mit "The Little House" eine Romanverfilmung über die zwischenmenschlichen Beziehungen in einer Kleinfamilie während des Zweiten Weltkriegs präsentiert, darf man zwar getrost zu den Altmeistern zählen, aber kaum zu den wirklich bedeutenden und innovativen Regisseuren des Gegenwartskinos. Das gilt schon eher für Richard Linklater, dessen "Boyhood" freilich vor seinem Berlinale-Start schon beim Festival von Sundance seine Uraufführung erlebt. Während in den letzten Jahren mehrfach unabhängige US-Produktionen von Sundance nach Berlin geholt wurden, ist dies zumindest im Wettbewerb heuer der einzige Film. Kein Unbekannter ist in Berlin auch der Norweger Hans Petter Moland, der mit "Kraftidioten" nach "The Beautiful Country" und "Ein Mann von Welt" schon zum dritten Mal im Wettbewerb dieses Festivals vertreten ist.

Während "Boyhood" der einzige US-amerikanische Film im Bären-Rennen ist, da "Monument´s Men" außer Konkurrenz läuft, ist Deutschland gleich mit vier Produktionen vertreten. Die großen Namen wie Petzold oder Dresen, deren neue Filme entweder nicht rechtzeitig fertig wurden oder auf eine Einladung nach Cannes hoffen, fehlen aber auch hier. Immer für Überraschungen und Ungewöhnliches gut ist aber auf jeden Fall Dominik Graf, der in seinem Kostümfilm "Die geliebten Schwestern" von zwei Schwestern erzählt, die sich beide 1788 in Friedrich Schiller verlieben.

Gespannt sein darf man auch, was Dietrich Brüggemann mit "Kreuzweg" seinem starken "Drei Zimmer/Küche/Bad" folgen lässt. Während Edward Berger, der in "Jack" von zwei Kindern erzählt, die sich auf die Suche nach der verschwundenen Mutter machen, bisher vor allem fürs Fernsehen arbeitete ("Tatort"), gelang Feo Aladag schon mit ihrem Spielfilmdebüt "Die Fremde" ein viel beachteter Kinoerfolg. Ihr neuer Film "Zwischen Welten" spielt in Afghanistan und erzählt von der Freundschaft zwischen einem Bundeswehrsoldaten und einem afghanischen Dolmetscher.

Österreich ist im Wettbewerb mit "Macondo" vertreten, in dem Sudabeh Mortezai mit Laiendarstellern die Geschichte eines tschetschenischen Jungen erzählt, der seinen Vater im Krieg verliert und in Österreich mit seiner Mutter und zwei jüngeren Schwestern Asyl bekommt.

Starke Präsenz zeigt auch China, das drei Filme ins Bären-Rennen schicken darf. Ye Lou, der vor etwa einem Jahrzehnt mit "Suzhou River" bekannt wurde, zeigt "Blind Massage", Yinan Dia präsentiert "Black Coal, Thin Ice" und Ha Ning "No Man´s Land". Auch Lateinamerika ist mit drei Produktionen gut vertreten, Osteuropa und Afrika fehlen dagegen.

Spannender als der Wettbewerb sind freilich bei der Berlinale oft die anderen Sektionen. So feiern im Berlinale Special unter anderem Andreas Prochaskas Alpenwestern "Das finstere Tal" und Volker Schlöndorffs "Diplomatie" Weltpremiere und als Europapremiere wird mit "Entente Cordiale – We Come As Friends" der neue Dokumentarfilm von "Darwins Nightmare"-Regisseur Hubert Sauper gezeigt.

Vielfalt verspricht das Programm des "Panorama" mit 36 Filmen aus 29 Ländern. Der Bogen spannt sich hier vom Hongkonger Action-Spezialisten Dante Lam, der "That Demon Within" zeigt, bis zum kurdischstämmigen Österreicher Umut Dag, der nach "Kuma" mit "Risse im Beton" seinen zweiten Spielfilm vorlegt. Gespannt sein darf man auch, was John Michael McDonagh nach seinem wunderbar pechschwarten "The Guard" mit "Calvary" gelungen ist und lange hat man bei Benjamin Heisenberg nach "Räuber" auf "Über-Ich und Du" warten müssen.

Auch im Internationalen Forum des Jungen Films ist mit 38 Filmen, davon 28 Weltpremieren das Angebot reich. Zahlreiche Spielfilmdebüts stehen hier auf dem Programm, thematisch geht es vielfach um Arbeitswelten und die in wirtschaftlich instabilen Zeiten verschärften Klassenverhältnisse. Im Gegensatz zum Wettbewerb sind hier osteuropäische Filmemacher stark vertreten, neben Newcomern fehlen mit dem Kanadier Denis Côte und dem Franzosen Guillaume Nicloux aber auch zwei Filmemacher nicht, deren Filme im letzten Jahr im Wettbewerb der Berlinale liefen.

Die Chance auf spannende Entdeckungen bietet sich aber auch in der Reihe "Perspektive Deutsches Kino", in der 14 Filme junger deutscher Filmemacher gezeigt werden, oder in der Sparte "Generation" mit über 60 Lang- und Kurzfilmen, die vielfach keineswegs nur für Kinder und Jugendliche attraktiv sind.

Und schließlich kann man auch wieder in die Filmgeschichte eintauchen, wenn in der Retrospektive unter dem Titel "The Aesthetics of Shadow. Lighting Styles 1915–1950" auf unterschiedlichen Beleuchtungsstile in verschiedenen Ländern und Zeiten fokussiert wird.