51. Solothurner Filmtage: Starker Jahrgang

Vielfältig und stark präsentierte sich der Schweizer Film bei den 51. Solothurner Filmtagen. Spannende Entdeckungen konnte man sowohl bei den Dokumentarfilmen als auch bei den Spielfilmen machen.

Als Domäne des Schweizer Films galt über Jahrzehnte der Dokumentarfilm. Heuer präsentierte sich aber auch der Spielfilm sehr stark und vielfältig. Der Bogen spannte sich dabei vom Genrefilm übers engagierte Drama bis zur schwarzen Komödie.

"Sibylle", in dem Michael Krummenacher von einer Frau erzählt, für die zunehmend Wahn und Wirklichkeit verschwimmen, hat zwar dramaturgische Schwächen, aber wie der Absolvent der HFF München hier mit Bildsprache und Sounddesign Verunsicherung und Beunruhigung erzeugt beeindruckt und hält das Interesse an folgenden Projekten hoch.

Spaß macht es einfach zuzusehen, wie ein lustvoll agierender Devid Striesov in Micha Lewinskys "Nichts passiert" versucht, es allen – vor allem Frau und Tochter – recht zu machen und sich dabei immer mehr in ein Lügennetz verstrickt. Unglaubwürdigkeit kann man diesem Film sicher vorwerfen, doch wie Lewinsky mit stets neuen Wendungen das Interesse hoch hält und die Komödie sich langsam in einen düsteren Thriller wandeln lässt, beeindruckt doch.

Ganz auf der Augenhöhe von Teenagern ist Niklaus Hilber in "Amateur Teens". Mit quasidokumentarischem Blick erzählt er von ihren Sehnsüchten, von Cliquen, Gruppendruck und Mobbing. Bestechend ist hier auch das dramaturgische Konzept nicht eine Handlung linear zu entwickeln, sondern in ebenso kurzen wie prägnanten, durch Weißfilm getrennten Szenen mehrere Handlungsfäden parallel voranzutreiben.

Nur am Rande verknüpft die türkischstämmige Esen Işik in ihrem Langfilmdebüt "Köpek" die Geschichten einer Transsexuellen, eines kleinen Jungen und einer verheirateten Frau, die unabhängig voneinander an einem Tag in Istanbul patriarchale Macht und Homophobie auf brutale Weise erfahren: Ein dicht inszeniertes Bild einer Gesellschaft und einer Stadt, das durch den ebenso mitfühlenden wie genauen Blick sowie starke Schauspieler packt.

Während "Köpek" im Rahmen der Solothurner Filmtage in fünf Kategorien für den Schweizer Filmpreis nominiert wurde, kann "La Vanité" von Lionel Baier sich in vier Nominierungen Hoffnungen auf eine Auszeichnung machen. Wie der Westschweizer leichthändig und mit trockenem schwarzem Humor in diesem Kammerspiel mit drei wunderbar harmonierenden Darstellern von Sterben, Vergänglichkeit und der Schönheit des Lebens, unterhält nicht nur kurzweilig, sondern lässt auch melancholisch über die eigene Endlichkeit nachdenken.

Ums Sterben – oder genauer um das, was danach kommt – kreist auch Stéphane Goëls "Fragments du paradis". In feinfühliger Montage verknüpft Goël eine Wanderung mit seinem Vater, in der die Naturbilder dominieren, mit in schwarzweiß gehaltenen, statisch gefilmten Interviews, in denen sich vorwiegend ältere Menschen über ihre Vorstellungen zum Leben nach dem Tod äußern.

Der Meinung, dass mit dem Tod alles endet, steht dabei die Hoffnung auf ein Paradies gegenüber, in dem man seine Lieben – bis hin zum Wellensittich – wiedersieht und sorgenlos auf einer Blumenwiese lebt oder das Licht Gottes schaut. Geschickt korrespondieren diese Aussagen mit Super-8-Filmen aus den 1950er Jahren, die ein paradiesisches Glück mit kindlichem Spiel, einem Picknick im Grünen oder einem badenden Paar beschwören.

Der Tod des Vaters war Ausgangspunkt für Eva Vitijas "Das Leben drehen – Wie mein Vater versuchte, das Glück festzuhalten", der mit dem mit 60.000 Schweizer Franken dotierten "Prix de Soleure" ausgezeichnet wurde, während der "Prix du public" an Michael Schaerers engagiertes Drama "Lina" ging.

In ihrem Debütfilm spürt Vitija dem Leben ihres Vaters nach, der sie von Geburt an in jeder nur erdenklichen Situation gefilmt hat, sie fast nur durch die Kameralinse wahrnahm. In einer Mischung aus diesen Home-Movies, Interviews mit ihrer Mutter, ihrem Bruder und weiteren Bekannten sowie Ausschnitten aus den Filmrollen des Vaters Joschy Scheidegger, versucht Vitija zu ergründen, wieso er alles mit der Kamera festhalten wollte.

Zunehmend muss die Regisseurin dabei feststellen, dass ihr Bild des Vaters bruchstückhaft oder falsch war. Sukzessive deckt sie Familiengeheimnisse auf, erkennt, wie selektiv die Wahrnehmung des Vaters war, wobei die kritische Auseinandersetzung sich langsam zu einer Hommage an den Vater wandelt.

So privat "Das Leben drehen" auch ist - und schon fast exhibitionistisch die eigene Familiengeschichte ausstellt -, so wirft dieser Film doch auch weit über das Private hinaus für eine Zeit von Selfies, permanenten Fotografierens und sozialen Netzwerken nicht nur die allgemeine Frage nach diesem Drang alles bildlich festzuhalten und publik zu machen, sondern auch nach dem Verhältnis von dem Bild, das man der Öffentlichkeit präsentiert, und der Wirklichkeit auf.