45. Solothurner Filmtage: Das Tier im Menschen

Für einen Höhepunkt bei den Solothurner Filmtagen sorgte die 34-jährige Séverine Cornamusaz mit ihrem wuchtigen Bergbauerndrama "Coeur animal", in dem sie von der Menschwerdung eines rohen Bauern erzählt. Als Raubtier erscheint der Mensch aber auch in "Petropolis", mit dem Peter Mettler den visuell wohl eindrucksvollsten Beitrag zur mehrfach thematisierten Ausbeutung und Zerstörung des Planeten vorlegte.

Ein Jeep kriecht langsam auf einer Schotterpiste durch eine raue, Nebel verhangene Berglandschaft. Schon die ersten Bilder stimmen auf die Abgeschiedenheit der Alp ein, die Bauer Paul (Olivier Rabourdin) mit Gattin Rosine (Camille Japy) bewirtschaftet. Nur zur Ablieferung der Milch kommt er ins Tal, ansonsten lebt man ohne Kontakt zur Außenwelt, aber keinesfalls idyllisch. Mit Menschen umzugehen hat Paul nämlich von seinem verstorbenen Vater nie gelernt und so behandelt er seine Frau wie sein Vieh, nimmt sie brutal wenn er das Verlangen nach Sex verspürt und behandelt sie mit Tabletten aus dem Erste Hilfe-Koffer für das Vieh: Was Tieren gut tut, kann dem Menschen nicht schaden.

Weil sich die Arbeit zu zweit aber nicht bewältigen lässt, stellt Paul eine Hilfskraft ein. Auch Eusebio (Antonio Nuil) zeigt er gleich mal, was ihn erwartet: Den Lohn drückt er auf die Hälfte, nennt ihn der Einfachheit halber nur "Spanien" und verlangt andererseits die Anrede als "Chef". Auf der Bildebene betonen starke Untersichten noch die Dominanz des Bauern gegenüber Frau und Helfer.

Wie der ungehobelte und brutale Paul unter dem Einfluss des Spaniers dann doch lernt menschliche Gefühle zu entwickeln, kommt zwar vielleicht etwas überraschend und zu plötzlich, doch die Konsequenz und Stringenz, mit der Cornamusaz diese Geschichte erzählt, wie sie zwischen schroffen Landschaftsaufnahmen und Innenszenen wechselt, und das herausragende Spiel der drei Protagonisten verleihen diesem archaischen Drama, in dem auch Momente trockenen Humors nicht fehlen, nicht nur eine Kraft und Wucht, die packen, sondern auch parabelhaften Charakter.

So nachdrücklich wie diese Auseinandersetzung mit der Condicio humana, brennen sich auch die Bilder von Peter Mettlers gut 40-minütigem Dokumentarfilm "Petropolis" ins Gedächtnis. Von Inserts mit Basisinformationen zur Erdölgewinnung aus dem Sand des kanadischen Alberta abgesehen kommentarlos lässt er die Kamera vom Hubschrauber aus über die Region gleiten.

Steht am Beginn eine unberührte Naturlandschaft mit endlosen borealen Wälder und dem unberührten Athabasca River, so nähert sich die Kamera bald einer Siedlung und dem Abbaugebiet, in dem die Erde tief aufgerissen ist und braune Sandflächen, die von lehmigen Straßen durchzogen sind, an die Stelle der Vegetation getreten sind. - Surreal wirken diese Bilder, lassen die Region wie eine Mondlandschaft erscheinen.

Mal kippt die Kamera nach unten und rückt mit einem Zoom groß einen Bagger oder Lastwagen ins Bild, mal erhebt sie sich zum horizontalen Blick um so das Ausmaß der Zerstörung, die im Endausbau ein Gebiet von der Größe Großbritanniens betreffen wird, zu erfassen. Klar wird da auch, dass man nur aus dieser Perspktive - "Petropolis" trägt den Untertitel "Aerial Perspectives on the Alberta Tar Sands" - einen ungefähren Eindruck von Größe des Gebiets bekommen kann. Unsichtbar oder höchstens auf Ameisengröße reduziert bleibt dagegen der Mensch als Urheber dieses gewaltigen Raubbaus an der Natur.

Suggestiven Sog entwickeln diese von zurückgenommener, mal an- und dann wieder abschwellender Musik begleiteten langen Kamerafahrten und regen an über die menschliche Barbarei zu meditieren. Und erst am Ende, den Kreis zu den Inserts am Anfang schließend, meldet sich Mettler kommentierend zu Wort und lässt mit der Frage "What´s next?" diesen Blick in menschliche Zerstörungskraft schließen.

Auch andere Dokumentarfilme in Solothurn setzten sich mit der Zerstörung des Planeten auseinander. Lisa Faessler vermittelt in "Trans-Cutucú" mit einem assoziativen Bilderfluss Eindrücke vom Bau einer Straße mitten durch ein Bergmassiv im Amazonasdschungel und mischt diese Aufnahmen mit Szenen aus einem 1986 entstandenen Dokumentarfilm. Wie Mettler arbeitet sie kommentarlos, doch bleibt ihr Film auf der Ebene eines wenig fokussierten Bilderbogens stecken, der die ordnende Hand des Regisseurs (oder Cutters) vermissen lässt.

Von einer schon fast verschwundenen Kultur erzählt dagegen Thomas Lüchinger in "Luminawa". Doch es geht Lüchinger nicht um die Schilderung der Verdrängung der philippinischen Kalinga, sondern vielmehr um Dokumentation ihrer Bemühungen ihre Traditionen, ihre Musik, Tänze, Webkunst und Handwerk wieder zu beleben und dadurch zu einem besseren Leben ("Luminawa") und ihrer Identität (zurück) zu finden. Die Kalinga sind für Lüchinger vor allem ein konkretes Beispiel um allgemein aufzufordern seine Wurzeln zu pflegen. Dies wird spätestens dann klar, wenn er eine Kalinga-Gruppe am Säntis und zusammen mit einer Schweizer Volksmusikgruppe auftreten lässt.

Mehr Hintergrundinformationen über die Situation auf den Philippinen und auch eine differenzierte Schilderung der Kalingas hätte man sich aber schon gewünscht. Denn redundant bemüht sich der Film um die Feier der Bemühungen eines Lehrers der Kalinga und seiner Familie, wobei man auch den Eindruck nicht los wird, dass da Einiges für das Anliegen des Films beschönigt und alles Negative oder Kritische ausgeblendet wurde.