Keramische Räume

Mit seinen durchlöcherten und aufgeschlitzten Leinwänden ("Buchi" und "Tagli") hat Lucio Fontana (1899–1968) seit den späten vierziger Jahren des 20. Jahrhunderts die Kunstgeschichte revolutioniert und das zweidimensionale Bild systematisch in die Tiefe des Raums geöffnet. Die Ausstellung "Keramische Räume" im Museum Morsbroich ist dem epochalen Werk des argentinisch-italienischen Bildhauers und seinem Einfluss auf die Kunst der Gegenwart gewidmet.

In genau dem Haus, das dem Künstler im Jahr 1962 die erste Retrospektive seines Werks ausgerichtet hat, stehen nun seine wegweisenden keramischen Werke im Fokus. Auf deren Raumkonzepte beziehen sich seit den frühen 1980er Jahren intensiv und auf je unterschiedliche Weise die Künstler Norbert Prangenberg, Thomas Schütte, Rosemarie Trockel und Markus Karstieß.

Lucio Fontana war ein Grenzgänger, der Kunst, Wissenschaft und Leben auf einzigartige Weise miteinander verband. Er entwickelte im Jahr 1949 das erste Ambiente der Kunstgeschichte, eine raumbezogene Installation, für die er unter anderem Schwarzlichtröhren und phosphoreszierende Lacke einsetzte. Er forderte die Einbeziehung von neuen Medien wie dem Fernsehen in die Kunst und verwendete Glasscherben, Metallfolien, Leinwand, Pappmaché und Keramik gleichberechtigt nebeneinander. Er schuf barocke Schlachtenbilder in Ton, Medusenhäupter und Kreuzigungen genauso wie monumentale Wandreliefs, abstrakte "Cratere" oder kleine, durchlöcherte Vasen.

Dabei verdeutlichen bereits die Titel seiner Werke, die er seit 1949 fast ausnahmslos "Concetto spaziale" (Raumkonzept) nannte, die Vorrangstellung der Ideen und Konzepte in seinem Werk. In Leverkusen sind sämtliche keramischen Werkgruppen Fontanas von den frühen, archaisierenden Skulpturen des Jahres 1931 bis zu den späten abstrakten "Nature" (1959/60) mit repräsentativen Arbeiten vertreten. Nachdem Lucio Fontana in den späten 1950er Jahren bereits die ZERO-Künstler Otto Piene, Heinz Mack und Günther Uecker inspiriert hatte, entdeckte Norbert Prangenberg (1949–2012) ab 1984 dessen keramisches Werk für eine junge Generation neu. Er übertrug Fontanas Vasen in monumentale "Figuren" und studierte dessen Rezeption barocker Skulpturen genau.

Thomas Schütte (* 1954), der 1992 während der Documenta IX seine Keramikfigurengruppe "Die Fremden" prominent auf dem Säulenportal am Friedrichsplatz positionierte, interessiert sich für den Widerspruch, den die Gattung Keramik bei der traditionellen Kritik heute noch auszulösen vermag. Er schätzt sie daher auch als ein strategisches Werkzeug, mit dem sich abrupte Richtungswechsel innerhalb des eigenen Werks herbeiführen lassen. Rosemarie Trockel (* 1952) ist vor allem an dem Konzeptkünstler Fontana interessiert, zum Beispiel, wenn sie skulpturale Grundformen mit weichem Ton bewirft und dabei den gelenkten Zufall in ihr Werk integriert. Markus Karstieß (* 1971) hingegen knüpft eher am kosmologischen Weltbild Fontanas an und verbindet musikalische und literarische Themen mit seiner Interpretation der Keramik.

Thomas Schütte, Rosemarie Trockel und Markus Karstieß haben speziell für diese Ausstellung eine Reihe neuer Werke erarbeitet, während gleichzeitig das Museum aus dem Nachlass von Norbert Prangenberg eine umfangreiche Auswahl bisher noch nicht dokumentierter Arbeiten treffen konnte. Ergänzt wird diese Auswahl um Werke aus der Schenkung Niels Dietrich, der in Köln die Keramikwerkstatt leitet, in der die vier rheinischen Künstler ihre Arbeiten ganz oder teilweise entwickeln.

Zur Ausstellung erscheint ein Katalog im Verlag Kettler, hrsg. von Markus Heinzelmann, mit Essays von Barbara Engelbach, Hans-Jürgen Hafner, Markus Heinzelmann, Martin Hentschel, Ulrich Loock und Stephan von Wiese, 296 Seiten mit 150 überwiegend farbigen Abbildungen, 29,90 Euro an der Museumskasse, 34,90 Euro im Buchhandel, ISBN 978-3-86206-362-8.


Keramische Räume
25. Mai bis 31. August 2014