Märzôschnee ûnd Wiebôrweh sand am Môargô niana më

Es gibt nur wenige Künstler, die wie Rosemarie Trockel trotz ihrer großen Popularität zu keiner Zeit ihre formale und inhaltliche Eigenwilligkeit eingebüßt haben. In ihrer mehr als 30-jährigen Karriere, die über die wichtigsten internationalen Ausstellungsstationen von documenta (1997 und 2012) über den deutschen Pavillon auf der Biennale Venedig (1999) bis hin zu den großen Museen führte, ist es der Künstlerin gelungen, immer wieder mit neuen Werkkomplexen und Objekt- und Bildfindungen zu überraschen.

Bereits in den 1980er Jahren sorgten ihre Strickarbeiten, maschinell gestrickte Wollstoffe auf Keilrahmen aufgezogen und als Bilder präsentiert, für großes Aufsehen. In den heute legendären Strickbildern verwendete sie zum Beispiel das Piktogramm für Wolle, den Playboy-Bunny oder Hammer und Sichel als institutionsreflektierende, feministische und politische Symbole.

In einer zweiten Werkgruppe kombinierte sie in minimalistisch anmutenden Wandobjekten und Skulpturen herkömmliche Herdplatten mit meist emaillierten und glänzenden Metalloberflächen. Sie changieren zwischen Bild und Skulptur, Fläche und Objekt. Wie schon in den Strickbildern werden hier geschlechtsspezifisch konnotierte Objekte neu kontextualisiert. Diese abstrakten Werke entstanden vor allem in den 1990er Jahren und manifestieren Trockels Platz in der Kunstgeschichte des 20. Jahrhunderts.

Parallel dazu hat Rosemarie Trockel immer auch in vielfältigen anderen Medien und Techniken gearbeitet und lässt sich nicht auf diese beiden ihrer bekanntesten Werkgruppen oder auf ein bestimmtes Themenfeld reduzieren. Zeichnungen, Collagen, Skulpturen, Keramikarbeiten, raumgreifende Installationen sowie filmische oder fotografische Arbeiten nehmen einen nicht weniger prominenten Platz in ihrem Schaffen ein und fügen sich zu einem umfassenden und abwechslungsreichen OEuvre, in dem werkimmanente Bezüge eine ebenso wichtige Rolle spielen wie Themen und Einflüsse aus Kunst, Literatur, Wissenschaft oder aktueller Zeitgeschichte.

In Bregenz ist Rosemarie Trockel keine Unbekannte, sie war bereits Anfang 2013 mit ihren collagierten Plakaten in der Gruppenausstellung "Liebe ist kälter als das Kapital" vertreten. Während in dieser Schau über den Wert der Gefühle eine bereits realisierte Arbeit präsentiert wurde, besteht die aktuelle Einzelausstellung zu großen Teilen aus neuen Werken. Speziell für das Kunsthaus Bregenz hat Rosemarie Trockel eine umfangreiche Ausstellung mit dem Titel "Märzôschnee ûnd Wiebôrweh sand am Môargô niana më" realisiert.

Für die regionalen Besucher erschließt sich dieser Titel, der eine Vorarlberger Mundart-Redeweise zitiert, ohne Übersetzung. Jedoch selbst das Wissen, dass der Ausstellungstitel frei übersetzt "Neuschnee im März und Frauenschmerz sind am nächsten Morgen verschwunden" bedeutet, ändert wenig am kryptischen Gehalt des Satzes. Er erzeugt vielmehr eine Atmosphäre und versieht die Bregenzer Ausstellung von Rosemarie Trockel nicht nur mit einer für die Künstlerin charakteristischen Haltung, sondern unterstreicht auch ein lokales Kolorit und eine bewusste Verbindung zur Region des Ausstellungsortes.

Dieser Bezug findet sich ebenso in einigen der Exponate wieder, die nach Aufenthalten vor Ort entstanden, bei denen Rosemarie Trockel beispielsweise auch die Bregenzerwälder Trachten kennenlernte. Mode, Brauchtum sowie spezifische gesellschaftliche und geschlechtliche Rollenzuweisungen spiegeln sich in diesen Werken, in denen die traditionellen schwarzen, gewachsten Stoffe der lokalen Festtagstracht in einen neuen Zusammenhang gebracht werden.

Ein weiterer Fokus ihrer Bregenzer Ausstellung stellen die Printarbeiten dar, die Rosemarie Trockel erstmals in dieser Vielfalt und und zudem in enger Verbindung mit der Architektur des Kunsthaus Bregenz präsentiert. In den ambivalent zwischen kühler Eleganz und atmosphärischer Behaglichkeit changierenden Räumen von Peter Zumthor präsentiert sie auf einem weiteren Stockwerk mit ihren an Möbeln orientierten Skulpturen in mitunter karger Reduktion eine dritte Werkgruppe. Einige sind mit einer Plastikfolie abgedeckt und so evident ihrer herkömmlichen Nutzung entzogen.

Die Werkauswahl und exakt abgestimmte Präsentation Rosemarie Trockels ermöglichen so — in ihrer ersten großen Einzelausstellung nach mehr als zwanzig Jahren in Österreich — einen immer wieder neuen Blick auf das spannungsreiche und vielfältige Werk dieser Künstlerin. Yilmaz Dziewior


KUB Billboards - Rosemarie Trockel
12. Januar bis 6. April 2015
Seestraße Bregenz

Für die Billboards entwickelt Rosemarie Trockel neue Arbeiten, die in engem Zusammenhang mit der Ausstellung im Kunsthaus stehen. Für "Liebe Grüße, 2014", porträtierte sie einen androgyn wirkenden jungen Mann. Der quer über seine Stirn in altmodischer Schrifttype gedruckte Schriftzug erweckt im Zusammenspiel mit dem Habitus des Porträtierten den Geist der 1970er Jahre. Die Rautenform seines harlekinartig karierten Hemdes zeigt sich auch in "Schnellimbiss, 2010". Humorvoll spielt Rosemarie Trockel mit der Spiegelung und Wiederholung einfacher Dreieckswimpel auf verschiedene Strategien zeitgenössischer Kunst an.


Publikation: "Rosemarie Trockel. Märzôschnee ûnd Wiebôrweh sand am Môargô niana më." Herausgegeben von Yilmaz Dziewior, Kunsthaus Bregenz; Mit Beiträgen von Johanna Burton, Yilmaz Dziewior, Beate Söntgen und Sam Pulitzer. Grafik: Lars Heller, Heller & C, Köln; Deutsch |Englisch, ca. 160 Seiten, 22,2 x 30,2 cm, Hardcover. Erscheinungstermin: März 2015, 42,– EUR; KUB Online-Shop

Märzôschnee ûnd Wiebôrweh sand am Môargô niana më
24. Januar bis 6. April 2015